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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

es ist doch hart, so jung noch und schon so gebrechlich! Ob es je besser wird?

Sie griff an ihre linke Seite, sie fühlte da einen sonderbar dumpfen Schmerz. „Merkwürdig, was kann es nur sein?“ War es körperlich? War es das Herz? – Wie lähmende eiskalte Angst kroch es durch ihre Adern und legte sich betäubend auf ihr Denken.

„Unmöglich!“ flüsterte sie. Sie wußte plötzlich, woher der dumpfe Schmerz kam. „Unmöglich!“ – Sie saß energisch im Bette hoch und schaute um sich, als wolle sie sich vergewissern, daß sie wach sei, daß kein schwerer Traum sie quäle. – Dort lagen die Brillanten auf der seidenen Decke des Toilettentisches, die vorhin die Kammerfrau aus ihrem Haar genommen. Sie hatte die Dienerin so eilig entlassen, daß diese nicht mehr forträumen konnte; sie hatte das dringende Bedürfniß empfunden, allein zu sein. Sonst sprach sie auch so gern noch mit ihrer guten Katzenstein über dies und jenes, heute war die liebenswürdige alte Dame schon im Korridor verabschiedet worden.

Dort hing die Spitzenmantille über dem rothseidenen Polster des Sessels, neben ihr lag noch eine der Centifolien, die Claudine an der Brust getragen und die sie sich ausgebeten, weil sie den Duft, diesen echten Rosenduft, so liebte.

Wie schön das Mädchen gewesen war!

Die Herzogin ergriff einen elfenbeingefaßten Handspiegel und schaute hinein. Zwei tief eingesunkene Augen, ein mageres gelbliches Gesicht sah ihr entgegen in der mattrosigen Beleuchtung. Sie ließ den Spiegel auf die Bettdecke fallen und legte sich zurück, an qualvolles Erschrecken auf ihren Zügen. „O Du lieber Gott!“ flüsterte sie. Und sie nahm das Bild des Herzogs vom Tischchen neben ihrem Bette, starrte das schöne stolze Gesicht an und drückte es dann leidenschaftlich an ihre Lippen.

O, sie wußte am besten, wie sehr man diesen Mann lieben mußte!

Das Bild an die Brust gedrückt unter ihren gefalteten Händen, blieb sie liegen, die Blicke unverwandt ins Leere gerichtet. Claudinens hinreißende Erscheinung, wie sie dieselbe vor ein paar Stunden gesehen, gaukelte vor ihren Augen; sie sah sie neben dem Herzog bei Tische, beim Tanz unter den Linden – das Mädchen hatte so oft die Farbe gewechselt. – Wie war sie nicht stets befangen, wenn Seine Hoheit ins Zimmer trat! Sie wollte immer so ungern singen, wenn er zugegen! Sie war zuweilen tief niedergeschlagen, dann wieder so fröhlich!

„Arme Claudine! Eine schöne Freundin, die hier an Dich denkt, die Dich mit aller Gewalt erst hergezogen, um dann an Dir zu zweifeln!“

Nein, sie zweifelte gar nicht. Unerhörter Klatsch! Die kleine Prinzessin war bisweilen nahezu unbegreiflich!

„Arme Claudine!“

Die Herzogin lächelte, und dennoch standen plötzlich perlende kalte Schweißtropfen auf ihrer Stirn, und durch das singende, summende Geräusch des aufgeregten Blutes in ihren Ohren war ein heller unbarmherziger Glockenton, die Stimme der Prinzessin, gedrungen – .„Hoheit wollen nicht sehen, Hoheit wollen nicht verstehen!“ – so bestimmt, so entsetzlich unabweisbar. „Vater unser“ – rang es sich aus ihrer Brust und die heißen Hände drückten das Bild fester gegen das unruhige, laut klopfende Herz. Ihre Lippen flüsterten weiter das alte Gebet des Herrn – „Amen! – Lieber todt, als das erleben – laß mich sterben, guter Gott, laß mich sterben!“

Ihr ganzes Eheleben zog vor ihren Augen vorüber. Sie selbst hatte den Altar ihres Glückes verschwenderisch mit Rosen geschmückt; sollte sie übersehen haben, daß er ohne dies ein recht, recht schmuckloser gewesen? Daß sie allein davor gebetet?

Wie kam sie nur darauf? Nein, sie hatte sich nicht hineinphantasirt in dieses Glück, sie besaß es wirklich! Er war doch stets so freundlich, so nachsichtig, so ritterlich gewesen, besonders jetzt, wo sie krank war.

Freundlich? Nachsichtig? Ist das alles, was die Liebe geben kann?

Sie stöhnte auf; es schien ihr plötzlich, als sei ein Schleier von ihren Augen gerissen und lasse sie in eine grenzenlose Nüchternheit und Aermlichkeit schauen.

Aber niemals hatte er ihr doch einen Grund zur Eifersucht gegeben, dieser bürgerlichen Leidenschaft, wie Prinzeß Thekla sagte, die eine Fürstin nie besitzen dürfe.

„Ich kenne diese Leidenschaft nicht,“ hatte sie damals geantwortet, „ich habe noch, Gott sei Dank, keine Gelegenheit dazu gehabt.“ In diesem Augenblick aber fühlte die regierende Herzogin, die königliche Prinzessin, daß auch sie dieser Leidenschaft verfallen war in furchtbarem Grade, daß auch sie auf dieser Folterbank liegen werde, ohne Rettung.

Wieder blickte sie in den Spiegel, dann schlug sie die Hände vor die Augen. War sie denn blind gewesen? Was konnte sie ihm noch sein, sie, die Kranke, dem Grabe Zuwankende? Nichts, nichts als eine Last. Nur das nicht, das nicht!

Aber konnten sie nicht warten, bis sie todt war? Wie lange würde es denn noch dauern? „Ach, nur Schonung, Mitleid so lange, nur so lange! Erbarmt Euch!“

Sie sank zurück in einem ohnmächtigen Zustande, unfähig sich zu bewegen und doch fühlend, daß sie wache, daß es entsetzliche Wirklichkeit sei, daß ihr Schicksal die lächelnde Maske abgeworfen, um sein wirkliches Antlitz zu zeigen, ein so trostloses, verzweiflungsvolles Antlitz.

Sie wußte nicht, wie lange sie so gelegen. Sie hatte nicht mehr die Kraft sich selbst zu widersprechen; sie sah immer ein blondes Haupt, das sich an seine Brust schmiegte, wie das ihre einst gethan; und sie selbst lag im Sarge und konnte sich nicht rühren, so sehr sie sich mühte. Der kalte Schweiß rieselte ihr über die Stirn; mit einer entsetzlichen Anstrengung schnellte sie endlich empor und riß an der Klingel in wilder Verzweiflung. Erschreckt stürzte die Kammerfrau herzu.

„Die Fenster auf!“ stöhnte die Herzogin, im Bette hochsitzend, „ich ersticke!“

Die Kammerfrau eilte zum Fenster, raffte die Vorhänge zurück und da brach der erste funkelnde dunkelglühende Strahl der Morgensonne in das Gemach und traf das geängstigte fieberhaft erregte junge Weib auf seinem Lager.

Sie starrte wie fragend hinaus in diese wunderbar schöne Welt, über die im Morgenwind zitternden Wipfel der Bäume des Parkes hinweg zu den blaugrünen tannenbewaldeten Bergen. Sie athmete die reine frische Luft; sie hörte das Zwitschern der Vögel im Geäst und sie brach in Thränen aus, in Thränen der Scham über ihre Verzweiflung, über ihr Mißtrauen.

Lange noch lag sie schluchzend und schlief endlich ein. Als sie erwachte, saß Claudine an ihrem Lager.

Sie ordnete einen Strauß Rosen, die sie von Heinemanns Stöcken erbeten, und war damit so lautlos emsig beschäftigt, daß sie nicht merkte, wie die Augen der Herzogin schon eine ganze Weile auf ihr ruhten. Als sie endlich aufblickte, ging ein froher Zug über ihr sorgenvolles Gesicht.

„O, Du!“ rief sie und knieete an dem Bette nieder mit ihren Rosen. „Wie hast Du mich erschreckt, Elisabeth! – Was fehlt Dir? In aller Morgenfrühe ließ mich Frau von Katzenstein schon holen. Ist Dir das Fest gestern nicht bekommen?“

Die Herzogin hatte den Kopf schwer auf die Hand gestützt und sah unverwandt in das schöne Antlitz, aus dem Angst und Betrübniß so deutlich sprachen. Dann strich sie wie liebkosend über das duftige Blondhaar. „Mir ist schon besser,“ sagte sie leise; „wie gut, daß Du gekommen bist!“

Sie blieb sonst stumm während des ganzen Vormittags; aber sie folgte Claudine immerwährend mit den Augen. Gegen Mittag wollte sie aufstehen, aber sie taumelte wie eine Trunkene und mußte wieder zu Bette.

„Bleib’ bei mir, Claudine,“ bat sie.

„Ja, Elisabeth.“

Die Kranke machte die müde zugesunkenen Augen auf, und als wundere sie sich über diese rasche Zusage, fragte sie: „Du kannst doch ohne Sorge fort von daheim?“

„Sprich davon nicht, Elisabeth. Selbst wenn es dort eine Lücke gäbe, ich würde dennoch kommen. Ich schreibe ein paar Worte an Joachim und lasse mir einiges Notwendige holen. Aengstige Dich nicht!“

„Erzähle mir etwas,“ bat die Herzogin gegen Abend. Sie hatte den Tag über fast regungslos gelegen mit geschlossenen Augen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_279.jpg&oldid=- (Version vom 24.7.2016)