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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

den Einflüssen einer stürmischen Seefahrt aus. Eine Erkältung und Erkrankung waren Folge davon, welche jedoch, dank der glücklichen Natur unseres Kaisers, noch einmal durch die alljährlich üblichen Badereisen nach Ems und Gastein beseitigt wurde, an welchem letzteren Orte auch diesmal, wie gewöhnlich, und zwar am 6. August, eine Zusammenkunft – die letzte! – mit seinem Freunde und Bundesgenossen, dem Kaiser Franz Joseph, stattfand.

Als Kaiser Wilhelm vor seiner Abreise nach Ems zum ersten Male nach der Erkrankung mittags beim Aufziehen der Schloßwache wieder an dem Eckfenster seines Arbeitszimmers erschien, wurde ihm von der täglich des Anblickes harrenden Menge eine jener stürmischen Huldigungen der Volksliebe zu theil, die trotz regelmäßiger Wiederkehr bei ähnlichen Anlässen auf jeden, der einmal Zeuge derselben gewesen, einen unauslöschlichen Eindruck machte.

Das historische Eckfenster.
Originalzeichnung von H. Lüders.

Vor dieser Erkrankung hatte der neunzigste Geburtstag des Kaisers am 22. März 1887 – der letzte, welchen zu begehen ihm beschieden war! – den Höhepunkt des unmittelbaren Ausbruchs der allgemeinsten Volkssympathien gesehen. Die Vorgänge dieses unvergeßlichen, von der ganzen civilisierten Welt mitgefeierten Tages, an welchem nicht weniger als fünfundachtzig Mitglieder souveräner Häuser Wilhelm I. umgaben und er auch noch die Freude hatte, die Verlobung des Prinzen Heinrich mit der Prinzessin Irene von Hessen zu verkündigen, leben noch im Gedächtniß aller Leser.

Und was das Tröstlichste und Erhebendste bei dem Volksdanke war, welcher dem Kaiser an seinem 90. Geburtstage zu theil wurde: alle Stämme, Stände und Parteien wetteiferten – ohne Rücksicht aus die heftigen politischen Kämpfe, welche sie noch soeben wegen der Militärvorlage und des wieder zu bewilligenden Septennats in zwei Lager getheilt hatten – unter einander in der Wärme, mit welcher sie dem geliebten Kaiser ihre Gefühle kundgaben. Hier, am Kaiserthron war die Einigkeit der Nation wieder voll und ganz hergestellt – eine Einigkeit, in welcher auch dem feindlichen Auslande gegenüber stets die sicherste Bürgschaft für die Zukunft des Deutschen Reiches gegeben sein wird!

Kaiser Wilhelm aber sprach seinem Volke, „tief ergriffen von solcher durch alle Schichten der Bevölkerung gehenden Bewegung“, in einem Erlaß vom 23. März seine „innigste Dankbarkeit für alle diese patriotischen Kundgebungen“ in den ergreifenden Worten aus: „Es giebt wahrlich für mich kein größeres Glück, kein erhebenderes Bewußtsein, als zu wissen, daß in solcher Weise die Herzen meines Volkes mir entgegenschlagen. Möge mir diese Treue und Anhänglichkeit als ein theures Gut, welches die letzten Jahre meines Lebens hell erleuchtet, erhalten bleiben! Mein Sinnen und Denken aber soll wie bisher, so auch ferner für die Zeit, welche mir zu wirken noch beschieden sein wird, darauf gerichtet sein, die Wohlfahrt und Sicherheit meines Volkes zu heben und zu fördern.“

Eine der letzten öffentlichen Kundgebungen Kaiser Wilhelms über seine hohe Auffassung des ihm zugefallenen Herrscherberufs und über die innigen Beziehungen, welche zwischen ihm und seinem Volke bestanden, ist die schöne, uns heute doppelt ergreifende Erwiderung, welche er unter dem 4. Januar 1888 dem Glückwunschschreiben des Berliner Magistrats zu theil werden ließ. Es heißt darin:

„Nicht oft genug aber kann ich Gottes Gnade dankend rühmen, welche Mir in der Erhaltung Meiner Kräfte zugleich den Willen der Vorsehung kundgiebt, auch noch in Meinem hohen Alter Meines fürstlichen Amts zu walten. In der Erfüllung dieser Mir obliegenden Pflicht liegt die höchste Befriedigung Meines Lebens. Gestützt auf festes Gottvertrauen, gehört Mein ganzes Streben, Meine unablässige Sorge allein dem Wohle Meines geliebten Volkes. Ich gebe Mich vertrauensvoll der Hoffnung hin, daß unter dem Schutze dauernden Friedens, welchen Gott unserem Vaterlande erhalten wolle, infolge der auf wirthschaftlichem und sozialem Gebiete getroffenen gesetzlichen Maßnahmen die Wohlfahrt der Nation sich ferner kräftig entwickeln und daß durch eine billig angemessene Vermittelung der in den gesellschaftlichen Klassen bestehenden Verschiedenheiten eine ausgleichende Zufriedenheit gefördert werde.“

Lesen sich diese Sätze nicht wie ein wehmüthiger und doch von vollem Vertrauen für die Zukunft seines Reiches und von harmonischer innerer Befriedigung getragener Scheidegruß des Kaisers an sein Volk?

Welcher Herrscher aber auch hätte mehr Ursache gehabt, als Kaiser Wilhelm, am Ende seiner Regentenlaufbahn mit beglückender Befriedigung auf die Summe des von ihm erreichten zurückzuschauen und mit beruhigtem Ausblick auf das nach ihm Kommende sein Haupt zur letzten Ruhe zu legen!

Der rasche Verlauf der letzten Krankheit des geliebten Kaisers, die bange Sorge um sein Leben, welche ganz Deutschland ergriff, als man erfuhr, daß dasselbe in Gefahr schwebe, und die tiefe Erschütterung, als die Nachricht von seinem Tode durch die Welt flog, sind in der frischen schmerzlichen Erinnerung aller

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_268.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)