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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

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Das Eulenhaus.
Hinterlassener Roman von E. Marlitt. Vollendet von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


Fräulein Lindenmeyer schüttelte verwundert den Kopf unter der rothbebänderten Haube. Merkwürdig, was aus dem sonst so verlassenen Paulinenthal geworden war! In den Waldwegen leuchteten helle Damenkleider auf und schollen fröhliche Stimmen; es schien, als habe die ganze Stadt sich gerade diese Gegend zu ihren Sommerpartien ausgewählt. Eine Menge eleganter Wagen fuhr seit kurzer Zeit vorüber, und in Xleben war kein Ei mehr zu haben. Alles ging nach Brötterode, dem Duodezbade, eine halbe Stunde vom Eulenhause, wo, wie die Frau Försterin sagte, die fremden Herrschaften in diesem Jahre nur so wimmelten. Jede noch so kleine Wohnung sei vergeben und der Wirth in der „Forelle“ zum Platzen hochmüthig geworden, er habe zwei Grafenfamilien im ersten Stocke, und im Hinterhause wohne eine Frau von Steinbrunn mit zwei Töchtern; alle hätten Equipage mit, und das sei ein ewiges Gefahre nach Altenstein und nach Neuhaus. –

Ja, der ganze Hofschwarm war den fürstlichen Herrschaften nachgezogen, wie der Schweif mit seinen unzähligen Papierschnitzeln dem Drachen nachfliegt. Man fand in diesem Sommer die heimischen Gebirge unvergleichlich schön in den höchsten Kreisen der Residenz, es war einmal etwas Anderes als die Schweiz oder Tirol, als Ostende oder Norderney. Diejenigen, die bereits abgereist waren, kamen hierher zurück. In dem primitiven Speisesaal des Brötteroder Gasthofes, wo die Bilder des Herzogs und der Herzogin in wahrhaft empörendem Farbendruck die getünchten Wände zierten, wo man auf tannenen Stühlen an schmalen Tischen saß, trockenen Rinderbraten und Backpflaumen als Kompott aß und zweifelhaften Rothwein trank, herrschte trotz alledem eine animirte Stimmung. Hatte man doch Aussicht auf Picknicks im Walde, auf Croquet und Lawn Tennies im Altensteiner Park. Die Herzogin sollte sogar von einem bal champêtre gesprochen haben, einem Kostümball im Mondenschein unter den Eichen des Schloßgartens.

Es versprach diese Sommerfrische nach allen Seiten hin eine ganz ungewöhnliche zu werden; außer allem Andern war es auch schon höchst interessant, diese romantische Freundschaft Ihrer Hoheit zu der schönen Claudine zu beobachten; wahre Wunderdinge hatte man schon gehört.

„Sie sollen sehr intim sein,“ erzählte die Gräfin X.

„Neulich hat man sie in ganz gleichen Kleidern gesehen,“ berichtete Frau von Steinbrunn.

„Pardon! Das ist nicht der Fall. Die Herzogin trug rothe Schleifen, Claudine von Gerold blaue,“ ereiferte sich ein junger Offizier in Civil, der seinen Urlaub anstatt in Wiesbaden hier verlebte.

Im Park von Babelsberg im Jahre 1878.
Originalzeichnung von H. Lüders.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_241.jpg&oldid=- (Version vom 24.7.2016)