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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Von der Reise nach Frankreich mußte abgesehen werden, da die Revolution es durchtobte, und der Feldzug der Koalition gegen die Feinde der französischen Monarchie es für einen Preußen obenein unmöglich machte, sich dorthin zu begeben. So durchreiste ich Holland, England, Schottland, ging auf einem englischen Schiff nach Italien und war heimkehrend bis nach Genua gekommen, als mich, wenige Monate vor der Vollendung meines vierundzwanzigsten Jahres, in Genua die Nachricht erreichte, daß mein Vater hoffnungslos danieder liege. Ein unglücklicher Zufall hatte sein Pferd im Walde scheu gemacht. Die sonst so sichere Hand des Reiters hatte es nicht zu bändigen vermocht. Er war von dem durchgehenden Thiere gegen einen der riesigen Eichenbäume geschleudert worden; die Kinnlade war zerschmettert worden, er hatte eine schwere Gehirnerschütterung davongetragen, und sein Zustand war derart, daß man sein Fortleben nicht wünschen durfte.

Es war meine treue Mutter, die mir das Unglück selber meldete. Der Brief war sechs Wochen alt, als ich ihn erhielt, und wie sehr ich auch eilte, die Heimath zu erreichen, so deckte das Grab schon lange die Hülle meines Vaters, als ich nach Schönfelde kam.

Ich hatte noch fünf Wochen vor mir bis zur Vollendung meiner Minderjährigkeit. – Der Graf, wie er mein Pathe gewesen, war mit seiner Bewilligung von meinem Vater, als dieser dereinst sein Testament gemacht, auch zu meinem Vormunde ernannt worden. Die Nachbarschaft, die Freundschaft, welche die beiden Männer verbunden, hatte diese Einrichtung zu einer sehr wünschenswerthen gemacht, und meine Mutter konnte es nicht genug rühmen, wie sich der Graf ihr bewährt in dem Unglück, das uns betroffen hatte. Mein Vater hatte sein dreiundfünfzigstes Jahr noch nicht vollendet; meine Mutter war in der Mitte der Vierziger – die Silberhochzeit meiner Eltern, auf die unser Auge stets mit freudiger Hoffnung gerichtet gewesen war – sie hatten sie nicht erreicht. Ich schweige von dem, was Sie sich selber denken können, von meinem Empfinden bei dem Wiedersehen der Mutter. Meines Vaters Grab hatte man auf dem französischen Kirchhof in Berlin gegraben.

Was sich während der zwei Jahre meiner Abwesenheit in Dambow zugetragen, hatte ich durch die Briefe meiner Eltern erfahren; es war mir also nichts Neues mehr. Der Graf war, sich selber treu, nicht auf halbem Wege stehen geblieben. Es war gekommen, wie man es schon zu der Zeit vorausgesehen, in welcher ich die Heimath verlassen. Gleich im Beginn jenes Herbstes war das alte Herrenhaus am oberen Ende der Breitenstraße, nahe der Ritterakademie, wieder eröffnet worden, das die Dubimin in Berlin besessen schon in den Tagen des Großen Kurfürsten. Es hatte verschlossen dagestanden, seit der Graf seine Frau daraus verwiesen.

Nun war es neu hergerichtet worden; der Graf hatte es mit seiner Tochter den Winter hindurch bewohnt; überall in den Konzerten und Theatern hatte man sie an seiner Seite gesehen. Er hatte seine alten Verbindungen aufgenommen, war auf das verbindlichste empfangen, und die Herrenmittagbrote und die gelegentlichen Spielpartien in seinem Hause waren mit Vergnügen besucht worden. Einige alte Freundinnen von ihm hatten sich allmählich auch zu dem Boston und L’hombre eingefunden. Erst gegen Ostern war er nach Dambow zurückgekehrt, und damals hatte man erfahren, daß er – seinem Gewissen und der Ehre seiner Tochter zu genügen – diese gerichtlich anerkannt habe. Es ward hinzugesetzt, daß er diesen Schritt mit ausdrücklicher Zustimmung des Landesherrn gethan, der, wie der Graf selber, den Namen derer von Dubimin erhalten zu sehen wünschte, weil sie eines der ältesten wendischen Geschlechter in den Marken waren. Damit stand es denn natürlich nun auch fest, daß die Gräfin Franziska, wenn sie sich verheirathen würde, ihren Familiennamen dem Namen ihres künftigen Gatten beifügen und auf die Kinder übertragen werde, die man für das Fortbestehen des Geschlechtes von ihr erwünschte.

Ueberrascht hatte mich die Nachricht nicht, als ich sie in Palermo erhalten, und die überwältigende Fülle der rasch wechselnden neuen Eindrücke hatte sie mich leicht nehmen machen, denn es war ja schon früher die Rede davon gewesen; als ich jedoch später darauf zurückkam, that Franull mir leid wie ein eingefangener Vogel, während ich mir doch sagen mußte, welch ein großes Glück es für sie sei, durch ihres Vaters Liebe und Gerechtigkeit aus der falschen, rechtlosen Stellung befreit worden zu sein, in der sie bis dahin gelebt hatte. Aber mit dem fröhlich jubelnden Flattern, das sah ich ein, mit dem sie mir bei dem letzten Beisammensein die frischen Arme um den Hals geschlungen, mit dem war es freilich nun ein- für allemal vorbei – und sie war bezaubernd gewesen! Das stand fest, das konnte ich nicht vergessen; selbst nicht, als ich schweren Herzens in meinen Trauerkleidern zum ersten Mal nach meiner Rückkehr nach Dambow hinüberritt. Unwillkürlich fragte ich mich, inmitten all der Gedanken an die Pflichten, die mir jetzt oblagen, mitten in dem Erwägen der zunächst mit dem Grafen abzuthuenden Geschäfte: wie wird Franull geworden sein? Wie werde ich sie wiederfinden?

Als man mich bei dem Grafen angemeldet hatte, kam er mir bis an die Thür seines Arbeitszimmers entgegen. – Ich war kein Schwächling, ich hatte feste Nerven; dennoch traten die Thränen mir in die Augen, als der Graf mich umarmte und küßte. Er hatte das nie zuvor gethan, und es that mir wohl.

,Faß Dich, mein junger Freund!‘ sprach er – und auch mit dieser Anrede hatte er mich nie zuvor begrüßt. ‚Fasse Dich! Du darfst mit ruhigem Gewissen an Deinen Vater denken. Er hat Dich immer einen guten, gehorsamen Sohn geheißen, und es giebt ja auch kein festeres Band als das der Eltern- und der Kindesliebe. Es ist eine Naturbestimmtheit und bindend wie jedes Naturgesetz. Halte sie darum heilig, die beiden kostbaren Vermächtnisse, die kostbarsten Güter, die er Dir hinterlassen: seine treue Lebensgefährtin, Deine Mutter, und den alten guten Namen, den er noch höher gehoben – Deinen Namen und seine und Deine Ehre!‘

‚Man lehrt uns in der Jugend: was hülf’s dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele! und im Leben, mein lieber Josias, heißt es: was hülf’s dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden an seiner Ehre! Oder was kann der Mensch geben, daß er seine Ehre wieder löse! Und ich sage Dir: Alles muß der Mensch geben, alles muß er dransetzen, daß er seine Ehre wieder löse! Aber es ist nichts Kleines, wenn man dazu gedrängt wird! – Darum lebe mit Bedacht. Sei Herr über Dich, sei Dir ein strenger Richter und laß den Augenblick nicht Herr werden über Dich, denn er bindet Dich durch das, was Du ihm zugestanden! – Beherzige das und mache Dir das Leben leicht!‘

Er drückte mir die Hand bei diesen Worten und brach plötzlich ab. Ich fühlte, wie er großherzig und freimüthig mir mit seinen persönlichen Erfahrungen zu Hilfe zu kommen, wie er mir einen festen Halt zu geben gewünscht, nun ich auf mich selbst gewiesen, des Rathes und der Führung zu entbehren hatte, die mir bis dahin von meinem Vater gekommen waren. Ich dankte ihm aus vollem Herzen.

‚Und nun laß uns von Geschäften reden,‘ sprach er, während er sich in den großen alten Ledersessel vor seinem Schreibtische niederließ und mich anwies, ihm gegenüber Platz zu nehmen. ‚Wir wollen gleich in den nächsten Tagen abthun was uns obliegt, damit Du die Hand bald, wenn auch nicht an das Steuer, so doch an den Pflug auf den Feldern legen kannst, welche nun die Deinen sind. Ist Madame Courville dazu bereit, so fahren wir morgen in der Frühe nach Berlin, da Dein Vater dort sein Testament hinterlegt hat. Das Uebrige wird sich leicht abwickeln lassen in den paar Wochen, während deren Du noch unter meiner Vormundschaft bist; und heute, Herr Nachbar, sei mir wieder einmal ein willkommener Tischgast nach so langer Zeit.‘

Er stand auf und zog die Glocke.

‚Herr Courville wird mit uns speisen!‘ bedeutete er dem eintretenden Diener, ‚und sag’ Er der Komtesse, ich lasse sie ersuchen, zu mir zu kommen; Herr Courville von Schönfelde sei zurückgekehrt.‘

Mir war sonderbar zu Muthe. Alles was mich umgab, war mir vertraut und berührte mich doch wie ein Fremdes. Der Graf, der während meiner Abwesenheit in die Sechziger getreten, war noch immer dieselbe mächtige Gestalt, die frühere herrische Erscheinung. Das Roth der Gesundheit färbte sein Antlitz noch und er sah schöner aus als vordem, denn der düstere Schatten, der sonst auf seiner Stirn gelagert, die harten Züge um den stolzen, starklippigen Mund, der finstere Blick seiner Augen, vor

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_236.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)