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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

das reizende Erlebniß und mehr davon hingenommen, als ich selber wußte. Wie ich dann zu Hause berichten mußte von dem Empfang, den ich gefunden, that ich es mit aller Gewissenhaftigkeit, nur was sich zuletzt zwischen Franull und mir begeben, das verschwieg ich, um, wie ich mir einbildete, sie keinem Tadel auszusetzen.“

Josias lächelte bei den Worten, da er sah, daß es meine Mutter that.

„Ja,“ sagte er, „lächeln wir nur über unsere Jugend, wenn sie hinter uns liegt, weit, weit! Sie war doch schön!“ Er seufzte. – „Und,“ setzte er hinzu, „ich konnte damals am Ende meines Berichtes, trotz meiner Vorsicht, doch meinen Eltern gegenüber nicht den Ausruf unterdrücken: ‚Franull ist wirklich zum Verlieben schön!‘

Mein Vater, dem es offenbar recht gewesen war, daß Madame Fleuron die Schranke zwischen Franull und mir gezogen, machte bei meiner bewundernden Aeußerung eine leise Kopfbewegung, die ich kannte und die bei ihm immer ernste Abwehr in mildester Form bedeutete.

‚Gleich zum Verlieben!‘ sprach er mir nach. ‚Unterlassen Sie das Verlieben, wenn ich bitten darf, Monsieur Josias! Franull Wizkowich und ein Courville, das reimt sich nicht zusammen! Und das Fräulein von Dambow, selbst wenn es dem Grafen gefallen sollte, es als Gräfin von Dubimin anzuerkennen – was immer denkbar ist nach dem jetzigen Treiben an dem jetzigen preußischen und an manch anderem Hofe, mit welchem die Aristokratie sich abzufinden weiß – das Fräulein von Dambow gehört nicht in das makellose bürgerliche Haus der Courville von Schönfelde!‘

Meine Mutter, die es sehen mochte, wie befremdend die strenge Mahnung des Vaters mir erschien, wechselte den Gegenstand der Unterhaltung; in mir aber tönten und wirkten seine Worte fort und gruben mir in die Seele, was mich vorher nur wie ein Freudenstrahl flüchtig berührt hatte.

Ich konnte die Nacht nicht schlafen. Das war mir ein völlig neuer Zustand. Franull kam mir nicht aus dem Sinn. Ich rief mir die Zeit in das Gedächtniß zurück, in der ich sie als kleines Kind spielend auf dem Rasen gesehen und sie sich an meine Hand gehängt. Sie hatte mich immer lieb gehabt, mich – je mehr ich darüber nachdachte – lieber gehabt als alle Andern; und sie war mir, dem Knaben, schon das Urbild aller Schönheit gewesen, aller Holdseligkeit. Immer hatte ich sie geliebt!

Ich stutzte bei dem Worte und sagte, verwundert, meine Stimme laut an mein Ohr schlagen zu hören: ‚es ist aber doch wahr! ‘– Und mit dem Gedanken, daß ich sie liebe, der mich glücklich machte, tauchte das Bewußtsein auf, daß es etwas Besonderes sei, ein Mädchen zu lieben, das im Grunde noch ein Kind sei, und daneben regte sich in mir das sicherste Kennzeichen der Liebe in des Jünglings Herzen, der Vorsatz, einzutreten für die Geliebte, deren ungefestete Verhältnisse nicht sie verschuldet und die sie doch zu büßen hatte.

Damit kam der erste Zwiespalt in mein Leben. Konnte, durfte ich dem berechtigten Ehrgefühle meiner Eltern widerstreben, deren Güte sich nie verleugnet, denen mein Glück höchster Wunsch war? Oder konnte ich mich blind und taub machen gegen einen Zauber, dem dereinst das starke Herz des Grafen erlegen war? Und weshalb hatten meine Eltern, wenn ihre Grundsätze so unerbittlich waren, mich von früh an gewöhnt, daran zu denken, daß auch die strengste Zucht und Sitte Nachsicht in Ausnahmefällen zu üben verstehen und für geboten halten solle? Durften, konnten sie weniger nachsichtig sein, wenn einmal die Zeit und Stunde gekommen sein würde, in welcher ihr eigener Sohn ihr Nachgeben für sich und sein Glück von ihnen zu heischen hätte? Ich fing zu rechnen, zu überlegen an, wann ich das von ihnen fordern würde. Dann wieder suchte ich mir klar zu machen, welche Absichten der Graf mit seiner Tochter haben könne. Ich dachte mit Schrecken an die Duldsamkeit der Höfe und des Adels, deren mein Vater erwähnt; denn wenn der Graf Franull anerkannte, so mußte ich auch von seiner Seite auf einen entschiedenen Widerstand gefaßt sein; und immer mehr gefiel mir der eigenwillige Gedanke, die Eltern und den Grafen meiner dereinstigen Verbindung mit dem reizenden Geschöpfe geneigt zu machen. Wie nun alle diese Vorstellungen sich durch einander zu wirren und in einander zu verschwimmen begannen, fühlte ich wieder die kühlen schlanken Arme sich schlingen um meinen Hals, und von ihnen umfangen schlief ich gegen den Morgen ein, um zu träumen – von der Geliebten, wie ich sie in der Nacht zum ersten Male in meinem Herzen nannte – und lachen Sie nur darüber! Ihr alter Freund Josias nennt sie heut noch so!

Am andern Tage kamen Gäste in das Haus zur Jagd. Wir hatten eine fröhliche Woche. Von Dambow und von dem Grafen, von dem Fräulein von Dambow, das der Graf jetzt auch im Schießen unterweise und das er wohl dazu bestimme, dereinst als Amazone oder Fähnrich bei den rothen Ziethen-Husaren einzutreten, ward ein paarmal im Ernste und im Scherz gesprochen, aber man spottete nicht mehr darüber. Man hatte wieder einmal vor den feststehenden Thatsachen Front gemacht; und der erste Nachtreif schimmerte auf den Wiesen und glänzte an den Riesentannen des Ilsenburger Waldes, als ich, von Schönfelde kommend, nach Ablauf der Vakanzzeit, in das Rechnungszimmer unseres Herrn Zarenthin, des Gründers der Anstalt, eintrat, mich wieder bei ihm anzumelden.“

Josias erhob sich, als er so weit in seinen Mittheilungen gekommen war.

„Wenn man in späten Jahren, wie ich jetzt vor Ihnen, auf seine Vergangenheit zurückblickt,“ sagte er, „so sind es eigentlich immer nur die Wendepunkte in unserem Dasein, oder die großen Freuden und die großen Schmerzen, die sich uns wie die Berggipfel aus der weiten Ferne am deutlichsten vors Auge stellen, während die lange Reihe der ruhigeren Tage, in deren stillem Wechsel sich unsere Entwickelung allmählich vollzieht, gleich den Thälern, die zwischen den Bergen liegen, sich unserem Blick verbirgt. Auch nach jenem Besuche in Schönfelde und Dambow folgte eine Reihe von Jahren für mich, von denen ich Ihnen nichts zu sagen habe, was sich auf den Roman meines Lebens bezieht. Vielleicht werden Sie deß froh sein, denn ich bin kein Erzähler von Fach und mein einsames Leben hat mich nicht dazu veranlaßt, von mir selbst zu sprechen, wie man’s in der Familie gerne thut. Schreiben Sie es Ihrer Güte zu, Madame, wenn Ihre Freundschaft mir hier das Herz erwärmt und aufschließt, wie mir’s nie zuvor geschehen, und wollen Sie das Ende von dem Liede erfahren, so rufen Sie mich zu der Stunde, in welcher es Ihnen paßt!“

Wir wollten ihm danken, ihm aussprechen, mit welchem Antheil wir ihm folgten; er wehrte es von sich ab.

„Sie sind mir gegenüber immer die Gewährende gewesen, verehrte Freundin!“ versetzte er. „Mein Leben wäre seit vielen Jahren seiner besten Freude beraubt, ohne Ihre und Ihres Gatten Freundschaft, ohne den Antheil, den sie mir an Ihrem Kinde, an Franull gewährt, wie ich sie so gerne nenne – und daß jetzt unter Ihrem Dache noch einmal meine ganze Jugend wie in einer Fata Morgana vor mir aufersteht – wem habe ich’s zu danken als Ihnen, unserer Franull und Ihrer Güte!“




Wie Josias nach der ersten Unterbrechung seiner Bekenntnisse mit der Fortsetzung derselbe gezögert, so führte er diese jetzt schon am folgenden Tage von selbst herbei.

„Die Epoche, von der ich Ihnen zunächst zu spreche habe, war in der Welt eine ganz andere geworden als jene, in welcher der Große Friedrich seine letzte Jahre verlebt hatte. Der amerikanische Freiheitskrieg, dessen Wogen bis nach Europa herüberflutheten, hatte Preußen und vollends uns in den stillen Gefilden des märkischen Landes nicht berührt, aber mit der französischen Revolution war es anders; und abgesehen davon, war der preußisch-holländische Krieg, den König Friedrich Wilhelm der Zweite im Interesse seiner Schwester und damit seines Hauses unternommen, überall bei uns im Lande fühlbar geworden. Auch der Reiseplan, den mein Vater für mich entworfen, hatte eine Aenderung dadurch erfahren müssen. Er war auf zwei Jahre angelegt gewesen. Mit meinem zweiundzwanzigsten Jahre war meine Lehrzeit in Ilsenburg beendet; dann sollte ich, wie man es damals nannte, die große Tour machen, das heißt Frankreich, England, Holland und Italien bereisen, um zur Zeit meiner Volljährigkeit, mit vierundzwanzig Jahren, in das Vaterhaus zurückzukehren und dem Vater soweit zur Hand zu gehen, daß es ihm möglich wurde, den Winter theilweise in der Residenz zu verleben, wie meine Mutter es sich wünschte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_235.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)