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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Aus dem Leben des Kaisers Wilhelm I. [1]
(Fortsetzung.)
Deutscher Bundesfeldherr.

Vor die schwierige Aufgabe gestellt, in der „Gartenlaube“ nur einige Abschnitte aus dem Leben Kaiser Wilhelms I., das beinahe die weite Spanne eines Jahrhunderts umfaßt, unsern Lesern vorzuführen, glauben wir das Richtige zu treffen, wenn wir auf die Erinnerungen an die Mannesjahre das große Jahr der glorreichen Siege des Gründers der deutschen Einheit folgen lassen, jenes Jahr, in welchem der deutsche Bundesfeldherr in heißen Schlachten sich die Kaiserkrone, uns das Reich errang.

Am Abend der Schlacht von Gravelotte.
Originalzeichnung von H. Lüders.

Mit den friedlichsten Aussichten, schreibt Ernst Scherenberg in seinem Werke, war Deutschland in das Jahr 1870 eingetreten. In seiner Thronrede am 13. Februar noch hatte König Wilhelm verkündet. „Unter den Regierungen wie unter den Völkern der heutigen Welt ist die Ueberzeugung in siegreichem Fortschritte begriffen, daß einem jeden politischen Gemeinwesen die unabhängige Pflege der Wohlfahrt, der Freiheit und der Gerechtigkeit im eigenen Hause zustehe und obliege und daß die Wehrkraft eines jeden Landes nur zum Schutze eigener, nicht zur Beeinträchtigung fremder Unabhängigkeit berufen sei.“

Aber anders dachten die leitenden Kreise Frankreichs. Während König Wilhelm im tiefsten Frieden zu Ems Kräftigung und Erholung suchte, wurde plötzlich in den ersten Julitagen im gesetzgebenden Körper in Paris die Alarmtrommel gerührt. Dann schickte man den französischen Gesandten Benedetti nach Ems, um den König wegen seines persönlichen Einschreitens gegen die spanische Thronkandidatur des Prinzen Leopold von Hohenzollern in einer Weise zu bestürmen, die in den Annalen des diplomatischen Herkommens ohne Beispiel war. Prinz Leopold entschloß sich schon am 10. Juli, der Kandidatur in patriotischer Selbstlosigkeit zu entsagen, um nicht die Ursache eines Krieges zwischen Preußen und Frankreich zu werden, der den Schein erwecken konnte, als werde er um Familieninteressen geführt. Aber in Paris durfte man sich bei dem geheimen Zweck, den man verfolgte, mit dieser bloßen Verzichtleistung des Prinzen nicht begnügen; man suchte um jeden Preis die Person des preußischen Monarchen in die Angelegenheit zu verwickeln, um denselben zu dem Kriege, den man wollte, zu reizen oder ihn zu einer offenkundigen, sein und Preußens Ansehen in Deutschland wie im Auslande schädigenden Demüthigung zu nöthigen.

Das Verhalten des Königs Wilhelm in jenen Tagen zu Ems kann nicht genug anerkannt werden. Ohne jeden diplomatischen Beirath hielt er den immer dringenderen, ihm zuletzt auf offener Brunnenpromenade von Benedetti gestellten unerhört dreisten Zumuthungen eine wahrhaft staatsmännische Ruhe und bei aller Milde der Form unerschütterliche Festigkeit entgegen. Er ermächtigte den französischen Botschafter als Zeichen seiner Friedensliebe wiederholt, seinem Kabinett zu melden, daß er den Verzicht des Prinzen von Hohenzollern „vollständig und rückhaltlos“ billige. Mit unbeugsamer Entschiedenheit aber lehnte er es ab, dem Prinzen die Kandidatur zu „verbieten“, eine Forderung, welche nach Eingang der Verzichtleistung des Prinzen, gemäß der telegrafischen Korrespondenz zwischen Gramont und Benedetti, am 13. Juli sogar dahin erweitert wurde, daß der König sich dieser Verzichtleistung „anschließe“ und den Botschafter

  1. Nach Ernst Scherenbergs Gedenkbuch für das deutsche Volk „Kaiser Wilhelm I.“. (Leipzig, Ernst Keils Nachfolger.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 229. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_229.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)