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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)


Liszt anwesend war. Man konnte Konzertanzeigen lesen mit der Bemerkung: Liszt wird anwesend sein. Familien, die er besuchte, bewahrten Tassen und Gläser, aus denen er getrunken, als Reliquien. Die Akademie der Künste ernannte ihn zu ihrem Mitglied, die Vorstände der von ihm bedachten Wohlthätigkeitsanstalten bereiteten ihm Ueberraschungen. Einmal erhielt er einen Morgenbesuch von einhundert Kindern, von denen keines über sechs Jahre alt war; sie wollten ihm im Namen von tausend anderen Kindern danken, reichten ihm Kränze und streuten ihm Blumen. Ein Hauptfest war das Festmahl im Jägerschen Saal, an welchem sich die angesehensten Männer der Künste und Wissenschaft betheiligten. Die Festlichkeit gipfelte in einer Ehrengabe, die Liszt von einer Deputation überreicht wurde, welche aus Vertretern der in Berlin gepflegten Künste, dem Maler Wach, dem Architekten Steir, dem Bildhauer Rauch und den Musikern Meyerbeer und Mendelssohn, bestand. Das Geschenk war ein goldenes Medaillon, das nach einer in Paris auf Liszt geprägten, aber sehr vergrößerten Medaille angefertigt war; dem Genius, dem Künstler von Geist und Gemüth, dem Ehrenmanne von Gesinnung und Charakter war es gewidmet. Am Tage seiner Abreise erwartete ihn ein mit sechs Schimmeln bespannter Wagen; der Künstler wurde unter dem Jauchzen der Menge fast die Treppe hinabgetragen und in den Wagen gehoben, wo er zwischen den Senioren der Studentenschaft Platz nahm. Dreißig einspännige Wagen mit Studirenden und zahllose andere folgten ihm; Volksgedränge überall, nicht nur Straßen und Plätze, auch die Fenster der Häuser waren besetzt, aus denen Kränze und Sträuße ihm zuflogen, und selbst die Chaussee draußen bis zur „neuen Welt“ war mit einer großen Menschenmenge bedeckt.

Rellstab nannte Liszts Aufenthalt in Berlin ein Ereigniß des öffentlichen Lebens. Ein Vergleich zwischen damals und jetzt mag uns zeigen, daß wir jetzt ein wahrhaftes öffentliches Leben besitzen und bei aller Anerkennung des künstlerischen Verdienstes solche übertriebene Huldigungen für einen Meister des Klavierspiels eine Unmöglichkeit geworden sind.

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Prinz Friedrich Wilhelm und Prinz Eitel Friedrich von Preußen. (Mit Illustration S. 201.) Ein idyllisches Bildchen – eine friedliche Kahnfahrt auf stillem Teich – aber es sind kleine Kahnfahrer, denen eine bedeutsame Zukunft winkt; die Söhne des Kronprinzen Wilhelm. Wie fest und sicher steht der eine da und führt das Ruder! Das ist der älteste Sohn, Prinz Friedrich Wilhelm, geboren zu Potsdam den 6. Mai 1882; der kleine Eitel Friedrich aber, geboren zu Potsdam den 7. Juli 1883, sitzt so lieb und traulich im Kahn, der Leitung des Bruders vertrauend, wenn er auch mit dem Händchen am Schiffsrand sich festhält. Und jener künftige Gebieter der deutschen Marine, der sich so tapfer für den Seedienst vorbereitet, hat außer seinem Brüderchen noch zwei Geschwister zu Hause, den Prinzen Adalbert, geboren 14. Juli 1884 und den Prinzen August Wilhelm, geboren 29. Januar 1887. Möge den Kindern des Kronprinzen und seiner Gemahlin, der Prinzessin Auguste Viktoria, von denen uns zwei aus unserem Bildchen mit so lieben Gesichtern ansehen, eine glückliche schöne Zukunft beschieden sein.

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Ein weiblicher Werther. Es ist bekannt, welchen seltenen Erfolg Goethes „Werther“ nicht nur in Deutschland, sondern auch bei allen europäischen Nationen hatte. Ueber Goethes „Werther“ in Frankreich berichtet Ferdinand Groß in einer interessanten Studie. Das Gespräch Napoleons und Goethes über Werther ist bekannt; weniger bekannt sind die verschiedenen Nachbildungen, welche Werther in der französischen Literatur und zwar bis in die neueste Zeit erfahren hat; darunter ist am interessantesten die „Werthérie“ von Pierre Perrin, welche in Paris im Jahre 1791 erschien, eine Verweiblichung und zugleich eine Verspottung des „Werther“, in welcher an allen Aeußerlichkeiten der goetheschen Dichtung festgehalten wird: die Heldin Augustine beginnt ihre brieflichen Bekenntnisse mit dem Zugeständniß, daß sie an der Welt, in der man sich amüsirt, Gefallen finde; sie betont die Leidenschaftlichkeit ihres Wesens und bezeichnet es als ihr Unglück, daß sie nichts schwächlich empfinden könne. In einer der künstlichen Grotten, die im Geschmack des vorigen Jahrhunderts gehalten sind, trifft sie mit ihrer Mutter ein Männerquartett; darunter ist Hertzberg, die männliche Lotte. Er ist ebenso geistreich wie gefühlvoll, und wenn Hertzberg dem Mädchen zum Abschied die Hand drückt, fühlt sich Werthérie elektrisirt. Hertzberg wohnt in Basel, doch er besucht sie in Zürich, ihre Schwärmerei ist im Zunehmen. „Er liest ihr einmal eines jener zärtlichen Bücher vor, die zur Zeit in Mode waren, er benetzt eine besonders rührende Stelle mit seinen Thränen und Küssen – sie drückt später diese Stelle tausend und tausende Male an ihre Lippen. Er betrachtet im Garten eine Rose, Werthérie findet nachts nicht eher Ruhe, als bis sie sich vom Lager erhoben und diese Rose gepflückt hat, um sie zeitlebens wie ein Heiligthum zu bewahren.“

Da kommt die Stunde einer schrecklichen Entdeckung. Werthérie erfährt, daß Hertzberg verheirathet ist; mit Frau Hertzberg ist der weibliche Albert auf den Plan getreten. Werthérie macht sich die bittersten Vorwürfe, sie sieht keinen andern Ausgang, als freiwillig aus dem Leben zu gehen: sie nimmt Opium und stirbt daran. Ihre Kammerfrau läßt ihr einen Grabstein setzen mit der Inschrift – „Werthérie – schön, tugendreich und zu gefühlvoll – ist, siebzehn Jahre alt, gestorben. Die Liebe hat sie getödtet. Wanderer, lies, weine und zittre!“

Wie das Schlußwort dieser Grabschrift und manche andere Stellen des Werkes beweisen, ist es zum Theil eine Parodie, im Ganzen eine Mischung von Ernst und Scherz. Jedenfalls zeigt diese Erzählung aber, wie volksthümlich Goethes „Werther“ damals in Frankreich war, denn auch Parodien sind nur dort möglich, wo das Publikum mit dem Original vollständig vertraut ist.

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Der Soxhletsche Milchapparat für Säuglinge. Wenn eine deutsche Hausmutter alten Schlages nur einen Blick auf die nachstehende Abbildung werfen, die vielen Flaschen, Gestelle, Büchsen, Pfropfen und Gläser sehen sollte, dann würde sie bedenklich den Kopf über die neumodische Sitte schütteln, welche gar ein ganzes chemisches Laboratorium in die Kinderstube bringt. Sie würde gewiß für den alten guten Brauch eintreten, bei dem sie selbst und ihre Kinder groß und kräftig geworden sind. Wenn die Hausmutter damit die natürliche Ernährung des Säuglings an der Mutterbrust meinen wollte, dann würden wie ihr von Herzen beipflichten, sonst aber müßten wir ihr die statistischen Tafeln der Kindersterblichkeit entgegenhalten und ihr erwidern, daß die künstliche Ernährung des Säuglings besser gehandhabt werden muß, damit nicht so viele schöne Hoffnungen der Eltern schon im Keime erstickt werden.

Nach vielen Versuchen ist die medicinische Wissenschaft zu dem Ergebniß gelangt, daß gute Kuhmilch den besten Ersatz für die Mutterbrust bildet und allen Kindermehlen und -Extrakten vorzuziehen ist. Gleichzeitig aber beschränkte sie den Satz dahin, daß wir unter einer guten Kuhmilch nur eine solche von gesunden Kühen und eine von allen Zersetzungskeimen freie Milch verstehen dürfen. Um die erste Bedingung zu erreichen, hat man sog. Säuglings-Kuhställe unter ärztlicher Aufsicht errichtet und damit sehr gute Erfolge erzielt. Aber selbst der idealste Kuhstall vermag nicht eine Milch zu liefern, die von Zersetzungskeimen frei ist, und darum ist es die Pflicht der Mutter, diese Keime unschädlich zu machen, bevor die Milch dem Säugling verabreicht wird. Ein genügendes Abkochen der Milch, die peinlichste Reinlichkeit der Saugflaschen und Saugstöpsel genügen an und für sich zur Tödtung und Fernhaltung der Zersetzungs- und Gährungskeime, und eine Frau, die verständig genug ist, die Bereitung und Verabreichung der Nahrung für den Säugling selbst zu besorgen, und sich die Mühe nicht verdrießen läßt, für die peinlichste Reinlichkeit unablässig zu sorgen, wird mit der Kuhmilch die besten Resultate erreicht haben und glauben, ein Apparat, wie wir ihn abbilden, sei überflüssig.

Es mag sein; denn hier und dort wird ein und dasselbe Princip befolgt; die Zersetzungskeime sollen durch die Siedehitze getödtet oder wenigstens abgeschwächt werden. Der Soxhletsche Apparat bietet jedoch unendlich mehr Sicherheit als das schärfste Mutterauge; wir werden dies schon aus einer flüchtigen Beschreibung desselben ersehen.

Die Abbildung zeigt uns den Apparat in seinen Einzeltheilen, als ob er auf einem Tische vor uns aufgestellt wäre.

Der „Milchmann“ hat die Milch gebracht, und die Mutter tritt nun an ihr „Laboratorium“. Das Erste, was sie thut, ist, daß sie die Milch nach der Angabe des Arztes mit Wasser verdünnt. Dabei leistet ihr das rechts stehende Glas gute Dienste, dessen Inhalt durch eine Skala in Strichen angedeutet ist. Hierauf füllt sie die verdünnte Milch in die Flaschen, von denen 20 Stück dem Apparate beigegeben sind. Auch ein Gestell, auf welchem die gereinigten Flaschen aufbewahrt werden können, fehlt nicht. Eine jede der Flaschen faßt 150 Kubikcentimeter, und es müssen so viel Flaschen gefüllt werden, daß sie für einen Tagesverbrauch reichen. Die Flaschen werden mit besonders dazu beigegebenen Kautschukstöpseln verschlossen und in den Wassertopf (auf der Abbildung links) gestellt. Nachdem der Deckel auf den mit kaltem Wasser gefüllten Topf festgedrückt worden, läßt man das Wasser kochen. Nach etwa 5 Minuten öffnet man den Deckel und steckt in die Kautschukstöpsel kleine Glasstäbchen, wodurch die Flaschen luftdicht abgeschlossen werden. Jetzt kocht man bei festgedrücktem Deckel 35 bis 40 Minuten fort, hebt nach dieser Zeit die Flaschen aus dem Topf und läßt sie erkalten. Die so behandelte Milch hält sich bei Zimmerwärme 3 bis 4, und an einem kühlen Orte aufbewahrt 4 bis 5 Wochen, ohne zu gerinnen; gleichzeitig wird durch dieses Kochverfahren die Bildung der lästigen Milchhaut verhindert, welche die Saugvorrichtung verstopft und verunreinigt.

Soll nun eine Flasche dem Kinde gereicht werden, so stellt man sie in den kleineren mit Wasser gefüllten Topf auf den Herd oder auf eine Spirituslampe, bis die Milch trinkwarm wird, und erst unmittelbar vor der Verabreichung befestigt man die Saugvorrichtung an derselben.

Die Handhabung des Apparates ist, wie wir gesehen haben, keineswegs komplicirt, und doch sind dabei alle Bedingungen erfüllt, welche die Milch vor Zersetzung schützen, während bei den gewöhnlichen Aufbewahrungsmethoden der abgekochten Milch in Töpfen etc. die Mutter nie sicher sein kann, ob sich schädliche Keime der Milch beigemengt haben.

Professor Dr. Soxhlet hat die Fabrikation des Apparates der Firma Metzeler u. Komp. in München übertragen und denselben durch seinen Namenszug vor Nachahmungen geschützt; der Apparat ist vielfach geprüft worden, und die Erfolge sind von Autoritäten wie Professor Dr. F. Winkel „vorzüglich“ genannt worden. Auch wir empfehlen ihn den Müttern, die ihre Kinder selbst nicht stillen können.

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Am Feinde. (Mit Illustration S. 205.) Das ist ein inhaltschweres Wort, das auch dem Muthigsten das Blut für Augenblicke aus den Wangen treiben kann; denn es bezeichnet die Erwartung eines Ungewissen, die bange Stille vor dem Sturm, die Pause vor der Schlacht.

Ist das Ungewisse einmal erkannt, der Sturm mit Donner und Blitz losgebrochen, so löst sich’s wie ein Alp von jeder Brust und im Bewußtsein der Pflicht, im Vertrauen auf seine Führer geht der Soldat muthig der Gefahr entgegen.

Die Situation, die auf dem Bilde dargestellt wird, ist folgende: eine Armee – es ist, wie uns die Tracht belehrt, die des großen Preußenkönigs –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_219.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)