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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Blätter und Blüthen.

Anita Garibaldi. Der gefeierte italienische Freiheitsheld hatte nach 1834, nachdem er in Genua als republikanischer Verschwörer zum Tode verurtheilt worden, aber glücklich entkommen war, ein abenteuerliches Leben geführt. Eine Zeit lang stand er im Dienste des Bey von Tunis; dann hatte er sich nach Amerika begeben und den Republiken Rio Grande do Sul und Montevideo nach einander seine Dienste im Kriege gegen Brasilien gewidmet. Zu Land und Wasser ein kühner Freibeuter, that er den Brasilianern, besonders als Kommandant von Kapern, grossen Schaden. In seinen jetzt bei Barbéra in Florenz erscheinenden Memoiren, von denen der „Neuen Freien Presse“ die Aushängebogen mitgetheilt worden sind, schildert er diese Epoche seines Lebens mit der größten Ausführlichkeit. Eine interessante Episode darin bildete die Liebe zur Spanierin Anita, der Mutter seiner Söhne Menotti und Ricciotti und seiner Tochter Teresita.

Es ist dies eine Frauengestalt von romantischem Reiz; er selbst nennt sie „die Gefährtin seines Lebens in guten und bösen Tagen, die Frau, deren Muth er sich oft gewünscht“. Er schildert die erste Begegnung: „Wir betrachteten uns gegenseitig verzückt und schweigend wie zwei Menschen, die sich nicht zum ersten Male sehen, sondern einer in des Andern Zügen eine Stütze für sein Gedächtniß suchen. Endlich begrüßte ich sie und sagte: ‚Du mußt mein werden.‛ Ich sprach nur wenig portugiesisch und brachte die kecken Worte italienisch hervor; aber ich wirkte mit meiner Unverschämtheit magnetisch. Ich hatte einen Spruch gefällt, einen Knoten geschlungen, den nur der Tod lösen konnte; ich hatte einen verborgenen Schatz gehoben, aber einen Schatz von großem Werthe. War eine Schuld dabei, so fiel sie ganz auf mich.“ Dies bezieht sich darauf, daß Anita verheirathet war und ihre Ehe, nach katholischem Ritus geschlossen, nicht geschieden werden konnte.

Treulich begleitete sie Garibaldi auf allen seinen Kriegszügen, in seinen Kämpfen für Montevideo. Als seine Flotte, während er auf dem Lande verweilte, von feindlicher Uebermacht angegriffen wurde, übernahm Anita den Oberbefehl und feuerte selbst das erste Geschütz auf die Feinde ab. Während der langen Belagerung Montevideos durch die Brasilianer wich sie nicht von der Seite ihres Gatten. Auf dem schrecklichen Rückzuge durch den Urwald de las Antas, der im größten Sturm und unter tropischen Regengüssen ausgeführt wurde, gab ihr tröstlicher Zuspruch den verzagenden Soldaten neuen Muth: sie sahen ja, wie tapfer das Weib ihres Führers sich aufrecht hielt, während sie noch dazu ihr drei Monate altes Söhnchen im Arme trug.

Ein anderer Rückzug sollte ihr aber verhängnißvoll werden. Als Garibaldi, nach Europa zurückgekehrt, 1849 nach einer glänzenden Vertheidigung der ewigen Stadt den Franzosen weichen mußte, da begleitete ihn Anita auf seinen abenteuerlichen Hinundherzügen; doch diese Strapazen ertrug sie nicht; sie erlag bei Ravenna den Folgen einer Niederkunft. In rührender Weise beklagt Garibaldi in seinen „Memoiren“ Anita's frühen Tod: man muß in ihr eine Heldin sehen, ähnlich denjenigen, wie sie die Phantasie begabter Dichter geschaffen, die mit Unrecht überschwenglicher Erfindung angeklagt wurden: Anita Garibaldi hat die Romantik früherer Zeiten in der Gegenwart wieder auferweckt.


Austernbank. Illustrationsprobe aus „Pierer’s Konversationslexikon“ (siebente Auflage).


Seegrasernte bei St. Malo. (Mit Illustration S. 161.) Das Meer birgt in seinen Tiefen Gärten von bezaubernder Schönheit. Taucher berichteten uns von deren unbeschreiblicher Pracht, und Forscher stiegen, gelockt von diesen Märchenberichten, in die Tiefe hinab und brachten uns Kunde von der unterseeischen Welt. Sie sagten uns aber, daß die prachtvollen Gärten Werke der Korallenthierchen seien, und sie stellten fest, daß das Meer wohl Pflanzen beherberge, aber keine Blumen trage. Die anmuthige Flora meidet das düstere Reich des Poseidon. Nur Pflanzen niedrigster Gattung gedeihen in der Salzfluth; es sind die Algen, die „blatt- und blüthenlosen Aschenbrödel“ unter den Kindern des Lichtes. Von den höheren Arten haben sich nur etwa zwanzig mit dem rauhen Element zu vortragen gewußt; es sind harte und rauhe Gewächse, die man „Seegräser“ genannt, weil sie unsern Gräsern ähnlich sehen. Und wie unsere Gräser wuchern sie gesellig neben einander, bedecken an den Küsten weithin den Boden des Meeres und bilden Meereswiesen, welche für die Bewohner der Salzfluth willkommene Schlupfwinkel abgeben. – Sie locken aber auch den Menschen. Der Küstenbewohner weiß die Meereswiesen eben so gut auszunutzen wie der Landmann die blumengestickten Wiesen des Festlandes. Er erntet das gemeine Seegras (Zostera marina, Wasserriemen) und weiß es nützlich zu verwenden: er verschickt es landeinwärts, wo es als Matratzenpolster oder Packmaterial verbraucht wird, oder er baut mit dem „Wier", wie der Holländer es nennt, feste Deiche, die das Land vor dem feindlichen Meer schützen. Er erntet auch die Algen und verwendet sie bald als Nahrungs-, bald als Heilmittel, kocht aus ihnen schmackhafte Suppen oder bereitet das Carrageen oder Irländische Moos; ja diese Meerespflanzen bilden sogar die Grundlage nicht unbedeutender Industrien. Agar-Agar, jene leimartige Gelatine der Chinesen, wird aus verschiedenen Algenarten hergestellt, und aus Algen werden gleichfalls die heilkräftigen Jodsalze gewonnen.

Nirgends aber wird die Seegrasernte mit solchem Nachdruck betrieben wie in jenen Gegenden Frankreichs, in welche uns die stimmungsvolle Illustration Arthur Calame’s versetzt. In vielen Baien der Normandie und Bretagne sind nach Schleiden’s Angabe gegen 30 000 Menschen mit Einsammeln der Tange beschäftigt, und alte Bräuche, die sich in der Bretagne bis jetzt erhalten haben, regeln die Ausbeutung der Meereswiesen. Der erste Tag für das Schneiden des „Goëmon“ (Tang) im Herbst heißt „der Tag der Armen“; vom frühen Morgen an ist der Priester am Strande, und wenn etwa ein Reicher sich blicken läßt, so weist er ihn mit den Worten zurück: „Lasset die Armen ihr täglich Brot sammeln.“ – Düstere Herbststimmung liegt auf dem Strandbild von St. Malo, welches uns Calame vorführt; öde erscheint die Landschaft; aber die zerklüfteten Felsen am linken Rande des Bildes erinnern uns daran, daß die Bucht von St. Malo malerischer Reize nicht entbehrt. Ja, im Sommer pflegt an diesem Strande fröhliches Badeleben zu herrschen und man weilt gern in dem Städtchen, in dessen Mauern die Wiege Chateaubriand’s stand, und läßt sich mitten in die Bucht auf das Felseneiland Ile du Grand Bey hinausrudern, zu dem stillen Grabe des Sängers der Atala.

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Joseph Freiherr v. Eichendorff. (Mit Illustration S. 153.) Der 10. März ist der Gedenktag eines der liebenswürdigsten Dichter der romantischen Schule, der an diesem Tage 1788 auf dem Gute seines Vaters Lubowitz bei Ratibor in Schlesien geboren wurde. Er studirte die Rechte, machte die Befreiungskriege von 1813 bis 1815 mit, wurde dann Referendar bei der Regierung in Breslau und verfolgte diese Karrière, bis er als Geheimer Regierungsrath im preußischen Kultusministerium im Jahre 1844 seinen Abschied nahm. Er starb am 26. November 1857 in Neiße.

Bei der Säkularfeier litterarischer Größen hat das deutsche Volk das Recht, das Bleibende vom Vergänglichen zu sondern; auch Eichendorff hat vieles für den Papierkorb der Litteraturgeschichte geschrieben; wir rechnen dazu seine Dramen, einige seiner Romane, vor allem seine späteren von einseitiger Tendenz beherrschten kritischen Schriften. Von unvergänglichem Zauber aber sind seine Gedichte! Eichendorff ist einer unserer ersten Liederdichter; das schlichte, aus der Tiefe der Seele hervorquellende Wort steht ihm zu Gebote wie wenigen; seine Lieder sind gleichsam gesättigt mit der Magie der Empfindung. Welch köstliches Schlummerlied ist das Ständchen:

„Schlafe, Liebchen, weil’s auf Erden
Nun so still und seltsam wird.“

Wie schwunghaft klingt der Schlußvers des Soldatenliedes:

„Trompeten nur hör' ich werben
So hell durch die Frühlingsluft,
Zur Hochzeit oder zum Sterben
So übermächtig es ruft.
Das sind meine lieben Streiter,
Die rufen hinaus zur Schlacht:
Das sind meine lustigen Reiter;
Nun, Liebchen, gute Nacht!
Wie wird es davon so heiter,
Wie sprühet der Morgenwind!
In den Sieg, in den Tod und weiter,
Bis daß wir im Himmel sind!“

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