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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Ach, das ist ja ein Streiten um des Kaisers Bart, bestes Kind,“ unterbrach abermals die Herzogin; „eine Treue, die erst mit sich kämpfen muß, hat überhaupt ihre Bedeutung verloren. Wenn zum Beispiel – sans comparaison – wenn der Herzog,“ sie stockte einen Augenblick und ein schalkhaftes Lächeln glitt über ihr Gesicht, „wenn – nun, wenn er mit seinen Gedanken zuweilen – sagen wir einmal – bei Ihnen, Claudine, wäre, dann würde doch seine Gattentreue keinen Werth mehr haben und wäre er thatsächlich der tadelloseste Ehemann. Hörst Du, Adalbert? Dann hättest Du, nach meiner Ansicht, überhaupt schon die Treue gebrochen.“

Der Herzog hatte sich umgewendet und schaute zum Fenster hinaus; Claudine saß mit fast entstellten Zügen da; die Herzogin bemerkte es nicht; sie lachte jetzt, es war eine so drollige Idee, die sie eben ausgesprochen. Und sie lachte weiter, so kindlich glücklich, wie nur der zu lachen versteht, der ein großes Glück sein eigen nennt und spielend von einem möglichen Verlust spricht, weil er so sicher weiß, daß dies niemals möglich sein kann.

„Claudine!“ rief sie dazwischen, „wie sehen Sie aus! Aengstigen Sie sich nicht, es ist kein Hochverrath; nicht wahr, Adalbert, Du weißt, wie ich oft necke? Mein Gott, und nun thut mir die Brust weh – o das Lachen. – Claudine! Claudine!“ Das Wort erstarb in einem heftigen Hustenanfall. „Wasser! Wasser!“ stieß sie hervor.

Das erschreckte Mädchen war aufgesprungen und zu dem Tischchen geeilt, das stets eine Wasserflasche trug. Frau von Katzenstein, die in das Zimmer gestürzt war, hielt die nach Athem Ringende in den Armen; der Herzog stand mit finsterer Miene neben der Chaiselongue; die Leidende hatte seine Hand wie im Krampf erfaßt.

Sie war wie geschüttelt von dem furchtbaren Husten und vermochte nicht zu trinken. Mit leisem Schritte kam der herbeigerufene Arzt durch das Zimmer; Claudine trat zur Seite und gab dem alten liebenswürdigen Herrn Raum.

„Lieber Doktor Westermann!“ stieß die Kranke hervor, „es wird schon besser, es geht vorüber – o mein Gott, ich athme wieder!“

Die allerletzte graue Dämmerung füllte das Zimmer. Claudine hatte sich in die Fensternische zurückgezogen; sie stand wie auf glühenden Kohlen und sah, fast abwesend, auf die Gruppe inmitten des Gemaches.

Jetzt trat der Herzog zurück, und die Leidende fragte mit matter Stimme: „Habe ich Dich sehr erschreckt, Adalbert? Vergieb mir!“

Er machte eine verneinende Bewegung, aber es lag viel heimliche Ungeduld darin.

„Hoheit müssen sich sogleich niederlegen,“ erklärte der Arzt.

Der Herzog, der sich bereits der Thür genähert hatte, kam plötzlich zurück. Frau von Katzenstein stützte die Kranke, die sich gehorsam erheben wollte. Sie winkte freundlich zu Claudine hinüber:

„Auf Wiedersehen! Ich werde Sie bald rufen lassen, Liebste! Gute Nacht, mein Freund,“ wendete sie sich dann zum Herzog; „morgen bin ich wieder ganz wohl.“

Der Arzt trat, nachdem die Kranke hinter dem Vorhang verschwunden war, zum Herzog.

„Hoheit, es ist nichts Aengstliches; nur muß die hohe Patientin sehr geschont werden – keine aufregenden Gespräche, keine geistreichen Debatten, wie Ihre Hoheit es lieben. Das Temperament Ihrer Hoheit spielt mir ohnehin schon böse Streiche; ebenmäßig langweilig soll die Kranke leben.“

„Bester Medicinalrath, Sie kennen ja die Herzogin – eben hat sie übrigens bloß ein wenig gelacht.“

„Ich erlaube mir nur, Ew. Hoheit nochmals darauf aufmerksam zu machen,“ erwiderte der alte Mann sich verbeugend.

Der Herzog winkte sichtlich zerstreut und ungeduldig mit der Hand. „Guten Abend, lieber Westermann.“

Claudine erschrak; sie preßte sich tiefer hinein in die Dämmerung der Fensternische und blickte dem sich entfernenden Arzte mit seltsam bangen Augen nach. Sie war allein – allein mit dem Herzog. Das, was sie stets klug zu vermeiden gewußt, was er unverkennbar gesucht, heiß gesucht, war geschehen. Aber – vielleicht hatte er ihre Gegenwart vergessen; er schritt so erregt auf und ab im Zimmer. O, er würde sie nicht bemerken; das einzige Licht des Armleuchters, das man vorhin so eilig angezündet hatte, genügte kaum, den nächsten Umkreis des Kamins zu erhellen, und sie stand geborgen hinter dem seidenen Vorhang der Fensternische.

In athemloser Angst verharrte sie, wie ein verfolgtes Reh, das dem Jäger nicht mehr zu entrinnen weiß. Sie hörte das Klopfen ihres Herzens so deutlich, wie seine gedämpften Schritte dort auf dem weichen Teppich. Dann zuckte sie empor – die Schritte näherten sich; eine hohe Gestalt war unter den Vorhang getreten und eine Stimme, welche von einer leidenschaftlichen Aufregung seltsam klanglos gemacht wurde, nannte ihren Namen: „Claudine!“

Sie trat furchtsam einen Schritt seitwärts, als wollte sie eine Gelegenheit erspähen, zu fliehen.

„Claudine,“ wiederholte er und bog sich herab zu ihr, daß sie trotz der tiefen Dämmerung den flehenden Ausdruck seiner Augen sehen mußte. „Die Scene that Ihnen weh? Sie war nicht meine Schuld – ich möchte Sie um Verzeihung bitten.“

Er wollte nach ihrer Hand fassen; sie barg sie in den Falten ihres Kleides. Kein Wort kam aus ihrem fest geschlossenen Munde; so stand sie in stummer Abwehr, mit den schönen zornigen Augen ihn anblickend.

„Wie soll ich das verstehen?“ fragte er.

„Hoheit, ich habe den Vorzug, die Freundin der Herzogin zu sein!“ sagte sie dann verzweiflungsvoll.

Ein trauriges Lächeln flog einen Moment über sein Gesicht. „Ich weiß es! Sie sind im Allgemeinen nicht dafür, von heut auf morgen Freundschaften zu schließen; indessen – Sie meinen, man müsse alles benutzen?“

„So scheinen Ew. Hoheit zu denken!“

„Ich? Auf Ehre nicht, Claudine! Aber Sie, Sie haben sich mit wahrer Sturmeseile hinter die Schranke geflüchtet, die diese Freundschaft zwischen Ihnen und mir errichtet.“

„Ja!“ sagte sie ehrlich, „und ich hoffe, daß Hoheit diese Schranke achten – oder –“

„Oder? – Ich ehre und erkenne Ihre Zurückhaltung an, Claudine,“ unterbrach er sie, in respektvoller Entfernung von ihr stehen bleibend. „Glauben Sie nicht, daß ich Ihnen wie ein verliebter Page nachschleichen werde. Nichts soll Sie daran erinnern, daß ich Sie liebe, so leidenschaftlich, wie je ein Mann ein Mädchen geliebt hat. Aber erlauben Sie mir, daß ich in Ihrer Nähe sein darf, ohne dieser eisigen Kälte begegnen zu müssen, die Sie mir gegenüber zur Schau tragen; lassen Sie mir die – Hoffnung auf eine Zukunft, in der die Sonne auch für mich scheinen wird, nur diese Hoffnung, Claudine!“

„Ich liebe Sie nicht, Hoheit!“ sagte sie stolz und kurz und richtete sich hoch auf; „gestatten Sie, daß ich mich zurückziehen darf.“

„Nein! Noch ein Wort, Claudine! Ich verlange kein Zugeständniß Ihrer Neigung; es ist weder die Zeit dafür noch der Ort; Sie haben Recht, mich daran zu erinnern! Daß ich die Herzogin nicht aus Liebe gewählt habe, daß meine erste innige Liebesleidenschaft Ihnen gehört – kann ich dafür? Ich meine, das geschieht Besseren als mir! Es kommt ohne unser Zuthun, ist da und wächst mit jeder Stunde; wächst, jemehr wir dagegen kämpfen. Ich weiß nicht, ob Sie so fühlen wie ich? Ich hoffe es nur und will ohne diese Hoffnung nicht leben.“ Er trat näher und bog sich zu ihr nieder. „Nur ein Wort, Claudine,“ bat er leise und demüthig, „darf ich hoffen? Ja, Claudine? – Sagen Sie ja! und kein Blick soll verrathen, wie es um Sie und mich steht.“

„Nein, Hoheit! Bei der Liebe zu meinem Bruder schwöre ich Ihnen, ich fühle nichts für Sie!“ preßte sie hervor und wich zurück bis an das Fenster.

„Für einen Andern, Claudine, für einen Andern? Wenn ich das sicher wüßte!“ tönte es leidenschaftlich.

Sie antwortete nicht.

Er wandte sich mit einer verzweiflungsvollen Bewegung und ging zu der gegenüberliegenden Thür; dann kam er noch einmal zurück.

„Glauben Sie denn, daß nicht allen Rücksichten der Ehre genügt werden würde? Glauben Sie, ich könnte Sie erniedrigen?“ fragte er, „glauben Sie –“

„Hoheit beginnen bereits damit,“ unterbrach sie ihn, „indem Sie mir in dem Zimmer Ihrer kranken Gemahlin von Liebe sprechen.“

„Wenn Sie die Sache so auffassen …“ sagte er schmerzlich.

„Ja, das thue ich, Hoheit, bei Gott, das thue ich!“ rief das schöne Mädchen fassungslos.

„Claudine, ich bitte Sie!“ flüsterte er, und wieder schritt er hastig im Zimmer auf und ab, daß die Flammen des Armleuchters

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