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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

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Alle Rechte vorbehalten.
Das Eulenhaus.
Hinterlassener Roman von E. Marlitt.       Vollendet von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


Ja, Claudine fuhr zu Hofe. Sie saß da in dem Wagen mit dem stillen stolzen Ausdruck, den ihre Züge für gewöhnlich zeigten. Sie hatte heute früh ihren Haushalt besorgt und war dann nach Tische aus ihrem Aschenbrödelgewand geschlüpft, um die eben so einfache wie elegante Toilette aus dunkelblauer weicher Seide anzulegen, die sie noch einige Tage, bevor sie um ihre Entlassung gebeten, von dem Schneider zugeschickt bekommen. Es war keine Eitelkeit von ihr; sie war gezwungen, diese Robe zu wählen; denn Ihre Hoheit hatte gestern gesprächsweise erwähnt, daß sie schwarze Kleider nicht liebe.

Als Claudine, um Abschied zu nehmen, zu ihrem Bruder in das Thurmzimmer trat, betrachtete er sie verwundert.

„Wie schön Du aussiehst!“ sagte er stolz und küßte sie auf die Stirn.

Und sie blickte ihn ängstlich und verwirrt an; „ich habe kein anderes Kleid, Joachim – und bei diesem trüben Wetter – ?“

„Ich mache Dir doch keinen Vorwurf,“ erwiderte er freundlich, „ich freue mich nur über die harmonische Wirkung Deiner blonden Haare mit dem tiefen Blau. Leb’ wohl, Schwesterchen, geh’ ohne Sorgen; Elisabeth ist gut aufgehoben bei Fräulein Lindenmeyer, und ich schreibe. Was zögerst Du denn noch, Liebling? Hast Du Kummer?“

Sie war wie schwankend ein paar Schritte zu ihm hinüber getreten, und ihre Lippen bewegten sich leise, als wollte sie sprechen. Dann wandte sie sich rasch, murmelte ein „Adieu!“ und ging. Ihm, dem Träumer mit dem weichen Gemüth, durfte sie ihre Sache nicht zur Entscheidung vorlegen. Selbst handeln, das ist der einzig richtige Weg. So war sie denn in den Wagen gestiegen mit dem Unbehagen, das edle Naturen erfaßt, wenn nicht alles klar und durchsichtig um sie her erscheint, und dennoch mit dem festen Vorsatz, durch eigene Kraft sich aus diesem Irrsal herauszufinden.

Aber was in aller Welt sollte sie zunächst thun? Die Herzogin rief – und sie mußte kommen. Wenn sie nicht krank lag, hatte sie keinen einzigen Grund abzulehnen; eine Lüge wollte sie nicht sagen und die Wahrheit durfte sie ihr gegenüber nicht aussprechen. Und war sie denn nicht am sichersten neben der fürstlichen Gemahlin? In dem Boudoir der Gattin durfte keiner der heißen flehenden Blicke sie streifen; in Gegenwart dieser liebenswürdigen Frau mußte jeder selbstsüchtige Wunsch verstummen. Sie drückte das Batisttuch an die pochende Schläfe, als könne sie den Schmerz dämpfen, der dort schon den ganzen Tag gewühlt.

Dort unten tauchten jetzt die hochgiebligen Dächer des Altensteiner Schlosses aus den Gipfeln der Bäume, und gerade in diesem Augenblick brach nach langen düstern Regentagen der erste Goldblitz der Sonne aus den lichter gewordenen Wolken und ließ den vergoldeten Knauf des Thurmes aufleuchten, als sende ihr die alte Heimath einen Willkommengruß.

„Ihre Hoheit haben schon mit Ungeduld gewartet,“ berichtete flüsternd die alte Frau von Katzenstein in dem Vorzimmer, „Hoheit wollen von Ihnen ein neues Lied von Brahms hören und haben diesen Morgen zwei Stunden an der Klavierbegleitung geübt. Sie sind schrecklich nervös und aufgeregt, liebste Gerold; es hat einen kleinen Disput mit Seiner Hoheit gegeben.“

Das junge Mädchen sah fragend in das Gesicht der Hofdame.


„An das Fräulein!“
Nach dem Oelgemälde von H. Kotschenreiter.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_149.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)