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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Ein weiblicher Beruf.

Mit den stetig zunehmenden Lebensansprüchen und der dadurch hervorgerufenen Vertheuerung der Existenz wächst die Schwierigkeit der Gründung eines selbständigen Hausstandes. Die Zahl der Mädchen, welche nicht in die Ehe treten, wird immer größer und die Frage brennender, aber auch schwieriger zu lösen, wie das Dasein solcher nach dem Tode der Eltern oft beinahe mittelloser Frauen gesichert werden kann. Mehr noch als in den Handwerkerkreisen machen sich diese Nachtheile im gebildeteren Mittelstande bis zu den höheren Ständen hinauf fühlbar.

Diese Seite des menschlichen Lebens bildet einen wichtigen Theil der großen socialen Frage, an deren Lösung die besten Geister der Nation thätigen Antheil nehmen.

Vielfache Versuche werden in dieser Beziehung gemacht, dem Uebel abzuhelfen. Sie waren bis jetzt nicht von dem gewünschten Erfolge begleitet, da in Deutschland noch viel weniger als in den Nachbarländern, wie z. B. in Belgien und Frankreich, gebildete weibliche Kräfte im industriellen und kaufmännischen Leben Verwendung finden.

Von alledem, was in dieser Richtung bis jetzt geschehen ist, dürfte jedoch nichts so sehr die Aufgabe in befriedigender Weise lösen, nichts dem weiblichen Charakter besser entsprechen, als die Heranziehung der Frauen zur Krankenpflege.

Die großen Kriege, welche unsere Generation mit erlebte, gaben für die Ergreifung dieses Berufes einen mächtigen Anstoß, welcher aber in den Jahren des Friedens zu erlahmen droht. Kranke giebt es indessen nicht allein im Kriege zu pflegen. Die Zahl derselben ist leider stets eine große und deren Leiden können durch eine sachgemäße, richtig angewandte Pflege sehr wesentlich gelindert werden. In der Alltäglichkeit des Lebens ist es nicht mehr das erhebende Gefühl des Patriotismus, welches die Frauen und Mädchen in die Krankenhäuser führt, sondern die christliche Nächsten- und Menschenliebe beruft sie an das Siechenbett im Hause der Armen und der Reichen, um dort Hilfe und Trost zu spenden.

Mit dem guten Willen allein ist aber dabei noch lange nicht genug gethan. Eine gute Krankenpflege muß gelernt werden, wenn die Pflegerin die sachverständige Gehilfin des Arztes sein, wenn sie bei dem Beginne ihres thätigen Berufes mit denjenigen Kenntnissen ausgerüstet sein soll, deren sie in reichem Maße bedarf, um den an sie gestellten Ansprüchen gerecht zu werden. Einzelpersonen, welche außerhalb einer Korporation stehen, wird es meistens zu schwer, die erforderliche sachliche Bildung zu erringen. Den Meisten fehlen dazu die nöthigen Geldmittel. Manche schrecken auch davor zurück, sich einem Berufe zuzuwenden, der sie in allzu hohem Grade des Schutzes und der Anlehnung an andere gleichstehende und gleichgesinnte Menschen beraubt. Diesem Uebelstande abzuhelfen, werden jetzt mehr und mehr an den verschiedensten Orten Vereine und Anstalten (vergl. „Gartenlaube“ Jahrgang 1886, Seite 804) gegründet, deren Zweck die Ausbildung und Verwendung von Krankenpflegerinnen ist.

So trat vor wenigen Jahren auch in Wiesbaden ein derartiger Verein unter dem Namen „Wiesbadener Verein vom Rothen Kreuz“ in Thätigkeit. Die Schwestern werden in demselben auf Kosten des Vereins ausgebildet und erhalten neben freier Station ein entsprechendes Taschengeld. Altersversorgung nach eingetretener Arbeitsunfähigkeit ist in Aussicht genommen. Sie wohnen zusammen in dem Schwesterheim, wo sie unter der Leitung der Oberin, Fräulein von Baltenstern, ein gemüthliches Familienleben finden, gesichert in ihrer äußeren Existenz, geehrt und geliebt von ihren Mitmenschen, deren Wohlthäterinnen sie sind. Die Armenkrankenpflege der Stadt und der evangelischen Kirchengemeinde, die Pflege im städtischen Krankenhause und in Privatfamilien bieten in der Kurstadt reiche Gelegenheit zur Entfaltung der Berufsthätigkeit. Obschon die Zahl der Schwestern sich im letzten Jahre verdoppelt hat, kann der stets wachsenden Nachfrage nicht genügt werden. Der Vorstand des Vereins, unter dem Vorsitze des Prinzen Nikolaus von Nassau, ist gern bereit, Meldungen zum Eintritt entgegen zu nehmen.

Möchten doch weibliche Angehörige der gebildeten Stände, welche über die nutzbringende Verwendung ihrer Kräfte im Zweifel sind, diese Gelegenheit benutzen und sich dem besten und schönsten Berufe widmen, welcher dem weiblichen Geschlechte geboten werden kann.




Blätter und Blüthen.

Der Zierbrunnen auf dem Postplatz zu Görlitz. (Mit Illustration S. 125.) In der „Perle der Lausitz und Schlesiens“, wie man Görlitz zu nennen pflegt, ist jüngst ein Kunstwerk von hoher Bedeutung, der Monumental- oder Zierbrunnen auf dem Postplatz, aufgestellt worden. Staat und Stadt hatten sich für dasselbe zu gemeinsamem Wirken verbunden. Die Vollendung des Görlitzer Zierbrunnens hat 10 volle Jahre in Anspruch genommen; das Unternehmen hat seine Schmerzens- und Leidensgeschichte. Darum betonte auch Oberbürgermeister Reichert bei der Enthüllung des Brunnens am 12. November vorigen Jahres ausdrücklich in seiner Rede, ein Unternehmen sei zum Abschlusse gebracht worden, welches im Entstehen mit allgemeiner Freude begrüßt, in der weiteren Entwickelung vielfach angezweifelt, zuweilen mit spöttischen Reden kritisirt, ja unverdient verhöhnt und doch – freilich nach Ueberwindung mancher Hindernisse – zu Ende geführt worden sei. Gut Ding wolle eben Weile haben.

Der Zierbrunnen ist nach dem Entwurfe des Professors Robert Toberentz in Breslau im Stil der modernen nach der realistischen Seite hinneigenden Renaissance ausgeführt.

Mächtig ragt aus einem mit farbigen Steinchen ausgelegten Marmorbassin der wundervolle Aufbau empor. Am Fuße des Postaments, welches nach oben zu sich zu einem Achteck verjüngt, befinden sich vier durch Festons verbundene Muscheln; oberhalb derselben Masken, welche das ihnen entströmende Wasser in die Muscheln gelangen lassen. An den Ecken des Postamentes sind reichornamentirte, mit charakteristischen Arabesken versehene Konsolen angebracht, auf welchen vier Figuren, ein Jäger, ein Fischer, eine Nixe und eine Nymphe mit einem Schlangenleibe in anderthalbfacher Lebensgröße, Aufstellung gefunden haben. Bei der spärlichen Draperie fallen sofort die edlen Formen der Körper ins Auge. Auf der Spitze des Postamentes thront eine nymphenhafte Figur aus Bronze (gegossen im Hüttenwerk Lauchhammer), die beiden Arme emporgestreckt, über dem Kopf eine Muschel haltend, welcher Wasserstrahlen entströmen. Diese Gestalt, um deren Unterkörper sich leicht ein Gewand schlingt, erinnert lebhaft an die Venus von Milo. Vier meisterhaft modellirte und in wohlgelungenem Guß ausgeführte Greife innerhalb des Marmorbassins sorgen ebenfalls für die Füllung desselben mit Wasser.

Der Eindruck, welchen das Kunstwerk mit seinen poetischen Gestalten auf den Beschauer ausübt, ist bedeutend. Görlitz darf mit Stolz auf ein Kunstwerk blicken, wie es ähnlich zu besitzen vielen gleichbedeutenden Städten des deutschen Vaterlandes versagt ist.

Volksbühne und Theaterdekorationen. Bei den Aufführungen des Hans Herrig’schen Lutherfeststückes, die in Leipzig länger als eine Woche alltäglich stattfanden und bei denen die Rollen von Studirenden gespielt wurden, waren gar keine Dekorationen zu sehen, nur Vorhänge! Allerdings stand damit im Widerspruche der Glanz der Kostüme, denn Kostüme und Dekorationen ergänzen sich gegenseitig.

Das hat natürlich die Frage nach dem Werth der Theaterdekorationen wieder in den Vordergrund gerückt. Da sehen wir auf der deutschen Bühne die entgegengesetzten Experimente. Auf der einen Seite macht das Richard Wagner’sche Kunstwerk der Zukunft von dem dekorativen Aufputz und den Bühnenmaschinerien den ausgedehntesten Gebrauch, ohne daß sich dies Kunstwerk, wenn es die Malerei mit in den Bund der Künste aufnimmt, hierin sonderlich von der bisherigen Oper unterscheidet, bei der ja der Pomp der Dekorationen stets eine Rolle spielte; wir sehen das berühmte Ensemble der Meininger dem Gesammteindruck mit geschmackvollen und stimmungsvollen Dekorationen zu Hilfe kommen, bei denen die archäologische Treue noch dazu eine große Rolle spielt; wir hören von den glänzenden Inscenirungen Shakespeare’scher Historien und Schiller’scher Tragödien an den großen Hoftheatern. Hierzu kommt die Pracht der Zaubermärchen und Weihnachtsstücke mit ihren Marinebildern, ihren unterirdischen und unterseeischen Wundern, ihren Lichtgewölken, ihrer Sternenglorie und den in Magnesialicht leuchtenden Feen- und Engelsgruppen.

Auf der andern Seite ist ebenso wenig ein der Entfaltung des dekorativen Glanzes feindlicher Zug zu verkennen. Schon der berühmte Berliner Dramaturg Ludwig Tieck wollte unser Theater zur Einfachheit der Shakespeare-Bühne zurückschrauben, wo die Phantasie allein die Kosten der dekorativen Ausstattung bestritt und nur ein Pfosten mit einem Zettel angab, ob die Handlung im Wald, auf dem Schlachtfelde oder im Salon eines Fürstenschlosses spiele. Fast bis zu dem Standpunkte Tieck’s zurück geht das neueste Volksstück. Wie stellt sich nun der gesunde Sinn des Publikums und die vorurtheilsfreie Kritik zu diesen extremen Richtungen? Die Entwicklung unseres Bühnenwesens muß hier den Ausschlag geben: unsere Schauspiel- und Opernhäuser sind, nach ihrer ganzen Einrichtung, auf Inscenirungen angewiesen, bei denen die Koulissen, Versetzstücke und Hinterwände mitwirken, bei denen die Kunst des Dekorationsmalers ihr gutes Recht verlangt. Eine Rückkehr zum ABC der Kunst, zu ihren ersten schüchternen Anfängen ist heutigen Tags unmöglich, und auch die Volksbühne, für deren Festvorstellungen man eine Ausnahme einräumen könnte, wird sich zu weiteren Zugeständnissen entschließen müssen.

Daß die Poesie der Scene den Eindruck der dichterischen Handlung nicht abschwächt, sondern hebt, ist wohl fraglos: der Zauber einer italienischen Liebesnacht in „Romeo und Julie“, die düstere, für einen Hexensabbath geeignete Nordlandscenerie in „Macbeth“ wird, mit Hilfe der malenden Kunst ausgeführt, wesentlich dazu beitragen, die rechte Stimmung des Publikums hervorzurufen und das dichterische Wort in demselben Bestreben zu unterstützen; aber dies Zusammenwirken darf eben nicht fehlen. Das ist der entscheidende Punkt: wo die Dekoration zum Selbstzweck wird und das Interesse von der Handlung und von der Dichtung ablenkt, wo sie z. B. das Studium ihrer Details und ein kunstgeschichtliches Interesse in Anspruch nimmt: da ist sie nicht mehr berechtigt und die größte Einfachheit der Inscenirung vorzuziehen.

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Albert Lindner †. Es geht uns die Kunde zu, daß der dramatische Dichter Albert Lindner im Irrenhause zu Dalldorf bei Berlin, wo er bereits zu den Unheilbaren und Aufgegebenen gehörte, am 4. Februar gestorben ist. Wir brachten in unserem Blatte unter dem Titel „Ein irrsinniger poëta laureatus (S. 329, Jahrgang 1887) eine eingehende Lebensbeschreibung des bedauernswerthen Dichters, dessen Schicksal demjenigen eines Hölderlin und Lenau verwandt war. Der Schiller-Preis, den er für sein Drama „Brutus und Collatinus“ erhielt, ist ihm zum Verhängniß geworden: er füllte seine Seele mit dem Glauben an eine

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