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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Blätter und Blüthen.


Die Funkenfeuer am weißen Sonntage in Oberschwaben. (Mit Illustration S. 113.) Die Fastnacht ist noch ein Ueberbleibsel der Heidenzeit und die charakteristischen Volksfeste, mit denen sie so vielfältig bei den Volksstämmen unvermischter Rasse begraben zu werden pflegte, hat die katholische Kirche teilweise übernommen und gefordert, theilweise zu unterdrücken gesucht. Auch mit dem Funkenfeuerfest am ersten Sonntag in den Fasten, im Allemannischen der weiße Sonntag genannt, war dies letztere früher der Fall. Trotzdem hat es sich in Oberschwaben, auf den Dörfern zumal noch bis zum heutigen Tage erhalten und wird als Volkssitte daselbst jetzt geduldet. Ist es doch seit uralter Zeit das Frühlingsfest! In den Dörfern auf der Schwäbischen Alb ißt man dann zum ersten Mal wieder ohne Licht zu Nacht, weil das Tageslicht nun so lange dauert. Auch das Vieh wird noch bei der Tageshelle gefüttert und die Sonne, sagt da der Bauer, wird zum ersten Mal in den Stall gesperrt. Nach dem Abendessen gehen die Bursche auf den Berg oder auf eine Wiese vor dem Ort und machen das Funkenfeuer. Wer zuerst am Platze, macht das Feuer, das heißt den Funken, wie man sich volksthümlich ausdrückt. Aus der Mitte des Holz- oder Reisighaufens ragt eine Stange hervor um oben angebrachten Strohwischen, an die sich noch immer theils der Aberglaube, theils die derbe Schelmerei des Landvolks knüpft. Im Kreise Waldsee z. B. stellt man sich unter dem größten Strohwisch die Hexe vor, die verbrannt wird, damit Feld und Vieh vor ihr sicher seien.

Anderwärts bedeutet es Uebles für ein Mädchen, wenn die brennende Stange ihm entgegenfällt. Dann verdiene es nämlich eine Strohkrone. Die Mädel müssen durchaus beim Funkenfest mit dabei sein; theils holen die Burschen sie dazu aus den Häusern ab, theils stellen sie sich mit Alt und Jung dem Volksfest zu Ehren selber dazu ein. Die Liebe auf dem Lande erklärt sich urwüchsig. Bei solcher Gelegenheit spielt sie gern mit dem Feuer und die Funken fliegen oft wie ein Feuerwerksregen um diejenigen, denen die Burschen sagen wollen: Mädli, i bin Di guet! Das nennt man das Scheibenschlagen, was den alten Herren von der Geistlichkeit früher viel Aergerniß gegeben haben mag. Backen doch in Ehingen am weißen Sonntag die Mädchen auch zur Aufmunterung der „Kerle“ ihnen Küchlein und geben sie ihnen als Geständniß ihrer Liebe. Hier und da zieht die Schuljugend auch mit Fackeln oder Stangen, auf denen sich brennende Fettnäpfchen befinden, um den lodernden Holzstoß,tanzt, johlt und treibt Uebermuth dabei, bis die Fackel verbrannt ist, und dann machen sich die losen Buben daran, heimlich mit dem Ruß die verliebten Mädchen, die mit ihrem Schätzle abseits charmiren, im Gesicht anzuschwärzen und so womöglich alle Dorfschönen zum Gaudium des anderen Publikums kamerunartig herzurichten. Ums Feuer tanzen ist ja auch zur Herbstfeier (Weinlese) schwäbische Volkssitte, wo es nämlich, wie in Heilbronn, eine Weinlese giebt.


Die Schlösser König Ludwig’s II. Wir haben unsern Lesern in Text und Bild die hervorragenden Kunstbauten des verstorbenen Königs vorgeführt: Es wird für sie jedenfalls von Interesse sein, zu erfahren, wie einer der berühmtesten deutschen Kunstgelehrten, Wilhelm Lübke, in seinem Werke „Kunstwerke und Künstler“ (Breslau, Schottländer) über diese Schlösser urtheilt.

Den Preis ertheilt er, was Originalität der Konception betrifft, dem Schloß Neuschwanstein bei Hohenschwangau: „Hier ist im Geiste des hohen Mittelalters eine Schöpfung erstanden, in welcher mit künstlerischer Genialität alle Motive der neuerblühten romanischen Kunst zu einer neuen glanzvollen Blüthe entwickelt sind. Der Bau enthält in freier malerischer Gruppirung alle Elemente der Burg des Mittelalters; den Palas, die Kemnate, den Burgfried etc. in einer Großartigkeit der Anlage, wie das ganze deutsche Mittelalter uns kein Beispiel bietet. Am ersten konnte man noch an die Wartburg erinnern; doch bleibt auch diese im Maßstabe und im Umfang weit hinter dem hier Gewollten zurück.“

Lübke rühmt die freie malerische Gruppirung, die auf kolossalem Unterbau hoch emporgethürmten Massen, die Ausbildung des Innern, die in dem großen Festsaale, einer freien Nachschöpfung des Saals auf der Wartburg, ihren Gipfelpunkt erreicht.

Der „Linderhof“ dagegen ist ein üppigreiches Prunkstück. „Wie anders wirkt das Zeichen auf mich ein!“ wird man ausrufen, wenn man sich von Neuschwanstein aus seiner Betrachtung zuwendet. Er ist ein kleines Lustschloß, das in der ganzen Anlage, in Form und Gruppirung, weit mehr noch in der üppigen Ausstattung der Räume an die Zeiten der Pompadour erinnert. Als Vorbilder für das kleine Zauberschloß sind aber nicht etwa französische Werke, wie Klein- und Groß-Trianon, sondern die zahlreichen Lustschlösser deutscher Fürsten aus dem vorigen Jahrhundert zu betrachten. Solche Bauten wie der Linderhof kommen für die Kunstentwickelung unserer Zeit nicht in Betracht. Bei dieser Schöpfung König Ludwig’s II. kommt noch hinzu, daß sie mit ihrem raffinirten Prunk und den Formen einer aufs äußerste gesteigerten Civilisation der Großartigkeit und Feierlichkeit der umgebenden Natur einen Schlag ins Gesicht versetzen. Wenn es die höchste künstlerische Aufgabe ist, das architektonische Werk gleichsam als feinste Blüthe der umgebenden Natur sich entwickeln zu lassen, so ist hier die schneidendste Dissonanz verwirklicht worden.“

Dies Alles sollte an Ueberschwänglichkeit und Maßlosigkeit noch überboten werden durch den neuen Palast auf Herrenchiemsee. Als Kopie des Schlosses von Versailles sollte er dieses Vorbild an Umfang noch übertreffen. Auch hier steht das Bauwerk mit seiner kolossalen Massenhaftigkeit, seinen prunkvoll kalten Formen, mit seinem raffinirten Luxus in Widerspruch mit der landschaftlichen Umgebung einer von Menschenhand unberührten Gebirgsnatur. Dem schöpferischen Genius wurden bei der strengsten Vorschrift der Nachahmung die härtesten Fesseln angelegt: auch waren es des Königs eigenste Gedanken, Weisungen und Befehle, die hier zur Ausführung gelangten. „So entstand,“ sagt Lübke, „das Riesenwerk als unheimlicher Ausdruck einer auf Irrwege geratenen Phantasie, die nur noch in Ungeheuerlichem sich zu genügen suchte. Ist es nicht ein erschütternder Beweis des Wahnsinns, einen so gigantischen Bau mit dem Aufgebot der kolossalsten Mittel ins Leben zu rufen, der nur dann einigen Sinn hätte, wenn man ihn als den Schauplatz eines glänzenden Fürstenhofs mit seinem pomphaften Ceremoniell und seinen rauschenden Festlichkeiten sich vorstellte? Nun denke man diese riesigen Räume, die nach einer Belebung durch einen zahlreichen glänzenden Hofstaat verlangen, einzig bevölkert durch die träumerische Gestalt dieses unglückseligen Königs in der Mitte einer Handvoll Kammerdiener und Chevauxlegers. Muß man nicht ausrufen: ‚Der Menschheit ganzer Jammer faßt mich an!‘?“

Nach Lübke’s Ansicht waren die ungeheuren Summen, welche König Ludwig II. für seine Bauten ausgegeben hat, weit davon entfernt, der lebenden Kunst irgend eine wahre Förderung zu bringen.

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Der Rosengarten von Agstein. Am Ufer der Donau, unfern der berühmten Abtei Mölk, liegt auf steilem Felsen das alte Schloß Agstein, welches im 13. Jahrhundert einem Ritter von Schreckenwald gehörte. Der Ritter war ein wilder, fehdelustiger Mann, der nicht nur Wegelagerei trieb, sondern auch mit den benachbarten Städten und Edelherren in stetem Kampfe und Unfrieden lebte. Wehe aber dem Unglücklichen, welcher des Burgherrn Zorn auf sich geladen hatte und in seine Hände fiel oder nicht im Stande war, das von Schreckenwald geforderte Lösegeld zu bezahlen; seiner harrte ein schreckliches Schicksal. Wo der Schloßfelsen nach der Donau abfällt, führte aus einem Gemache des Schlosses eine kleine Thür nach einem Felsenvorsprung, drei Schritte breit und eben so lang, umgeben von jäher Tiefe. Diesen Platz nannte der Ritter mit unmenschlichem Hohn „seinen Rosengarten“. Das Opfer, welches der Ritter dem Verderben geweiht hatte, wurde in das Gemach am Rosengarten geführt, dort fürstlich mit Essen und Trinken traktirt und nichts gespart, um sein Herz zur Fröhlichkeit zu stimmen. Wenn nun der Gast, hocherfreut über die vermeinte Versöhnlichkeit seines Gewalthabers, schon von seiner bevorstehenden Freiheit träumte, hieß ihn der Ritter aufstehen und durch die von ihm geöffnete Thür in „den Rosengarten“ hinaustreten. Rasch fiel dann die eiserne Thür wieder ins Schloß, und hohnlachend von innen den Riegel vorschiebend und das Speisegemach verschließend, ging der Ritter von dannen. Für den Unglücklichen auf dem Felsenvorsprunge gab es keine Hoffnung mehr. Ihm blieb nur die Wahl, zu verhungern und zu verdursten oder sich in die schwindelnde Tiefe hinabzustürzen. Zahllose Opfer sollen auf diese Weise ihren Tod gefunden haben. Endlich wurde die Burg Agstein von verbündeten Edelleuten und Bürgern belagert und erstürmt und Schreckenwald, nach tapferer Gegenwehr, gefangen nach „dem Rosengarten“ geschleppt und über den steilen Felsen in die Donau hinabgestürzt.


Repetirgewehre des 18. Jahrhunderts. Ein Franzose, der zu Anfang des genannten Säkulums Deutschland bereiste, kam auch nach Nürnberg, woselbst er bei einem Enkel des berühmten kunstreichen Zirkelschmiedes Hans Hautsch Pistolen sah, die nach und nach hundert Schüsse abgaben, ohne daß man sie mehr als einmal loszubrennen brauchte. Hautsch verlangte für das Paar dieser merkwürdigen Feuerwaffen nur einen Dukaten.

Bilder-Räthsel.

Bilder-Räthsel.


Kleiner Briefkasten.
(Anonyme Anfragen werden nicht berücksichtigt.)


A. L. in B. Jedes die Jahreszahl 100 führende Jahr ist das Schlußjahr eines Jahrhunderts, und jede Jahrhundertsfeier fällt auf den ersten Tag der mit 1 neu beginnenden Jahreszahl. Das 20. Jahrhundert beginnt also nicht mit dem 1. Januar 1900, sondern mit dem 1. Januar 1901.

M. N. in Stolp. Als geeignet zur Kenntniß der deutschen Verslehre empfehlen wir Ihnen Rudolf von Gottschall’s „Poetik“, die einen allgemein verständlichen und lehrreichen Abschnitt darüber enthält. Für Gedichte haben wir zunächst keine Verwendung, für ein Lustspiel niemals.

B. in Z. Die „Transport-Dreiräder“ finden immer mehr Anklang; in London werden sie schon von einer großen Anzahl von Geschäftsleuten zum Ausfahren ihrer Waaren benutzt, so daß heute mehrere tausend solcher Fahrzeuge auf den Straßen in Gebrauch sind. Näheres über die deutsche Velocipedindustrie finden Sie in der Zeitschrift „Das Stahlrad“ und anderen Fachorganen.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_116.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)