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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Er richtete es demgemäß so ein, daß er mit Herrn Grauberg an der scharfen Biegung, welche die Straße macht, so plötzlich zusammentraf, daß sie an einander stießen – lief an ihm vorbei – erkannte ihn anscheinend zu spät und drehte um: „Pardon, Herr Grauberg, Sie haben sich den Rock weiß gemacht!“

„Sieht man es noch?“ fragte Herr Grauberg ärgerlich und machte ungefähr die Pantomime des Mannes, der sich so darüber ärgerte, daß ihm der Zopf stets hinten hing.

„Beträchtlich!“ erwiederte German, „darf ich vielleicht behilflich sein?“

Herr Grauberg stellte sich mit einem diesmal ganz höflichen „Bitte!“ in Positur, und German begann mit seinem Stöckchen den Rock mit solcher Pflichttreue auszuklopfen, daß er ganz zu vergessen schien, wie der Gegenstand seines Fleißes nicht leer, sondern von einer Persönlichkeit ausgefüllt sei.

Herr Grauberg rief in Folge dessen ein paarmal schmerzvoll „au!“ – Sphärenmusik, nicht nur für German, sondern auch für Roth, der natürlich nahe genug versteckt war, um alles mit zu erleben.

„Tausend noch einmal,“ rief endlich der arme Dulder, „Du schlägst aber zu toll, mein junger Freund!“

Auch ihm – auch German dies Du – diese familiäre Anrede, das mußte gerächt werden!

„Ja, sonst geht es nicht ab, Herr Grauberg!“ sagte German und schlug nun erst recht gewaltig, „Pardon, aber Sie sehen zu skandalös aus, wahrhaftig! So – nun ist es ziemlich gut!“

Und sich mit noch ein paar extra kräftigen Jagdhieben erlabend, die, wie der Kunstausdruck sagt, „saßen“, ließ German sein Stöckchen sinken, nahm mit tadelloser Manier den Hut ab und erwiederte Herrn Grauberg’s „danke“ mit einem ganz aufrichtigen „o bitte – es hat mir großes Vergnügen gemacht!“ Der bearbeitete Herr Grauberg schritt nun seines Weges weiter, während die Bundesbrüder sich selig in die Arme fielen und vor Freude schrieen: „Der hat’s gekriegt!“

Inzwischen war Grauberg im Hause des Doktors angelangt. Eduard, der ihn kommen gesehen, gab das verabredete Zeichen nach der Küche und stürzte dann auf die Straße, um German und Roth zu holen, die sich durch die Hofthür schlichen und die Hintertreppe hinauf zu Karl in die Küche kamen.

Der Freiersmann war nun auch bis in des Vaters Stube vorgedrungen und die Jungen konnten von ihrem Beobachtungsposten aus sehen, wie er, vom Doktor zum Sitzen aufgefordert, dies mit einer Handbewegung ablehnte und in stehender Positur, die bekanntlich sowohl für Denkmäler, als auch für „anhaltende“ Bewerber die vortheilhafteste ist, seine Rede zu beginnen schien.

Diesen Moment benutzten die heillosen Jungen zur Ausführung ihres dritten Planes. Ein kleiner Spiegel, den Eduard aus Käthe’s Ankleidezimmer hatte holen müssen, wurde sinnreich so gehalten, daß die scharfe Sonne sich darin fing und wie ein blendender, flatternder Vogel im Wiederschein durch das gegenüberliegende Fenster auf das Gesicht des Freiers fiel.

Herr Grauberg stockte – fuhr mit der Hand über die Augen und fing noch einmal an. Der Doktor, der vor sich niedergesehen und mit dem Papiermesser gespielt hatte, um sich und seinem Gaste die Verlegenheit des gegenseitigen Anstarrens zu ersparen, blickte überrascht auf. Sofort duckten die Jungen in der Küche unter und waren sammt dem Spiegel verschwunden.

Herr Grauberg begann zum zweiten Male, aber als er eben wieder bis zur Hochachtung vor der Familie und der Neigung seines Herzens gelangt war, fuhr der tückische Blitz wieder über sein Antlitz, und ein nicht ganz zur Stunde und Sachlage passendes „Donnerwetter“ entschlüpfte den Lippen des in so ungewöhnlicher Weise Unterbrochenen. Die Jungen, welche aus den Bewegungen und Mienen der beiden Herren schlossen, daß man im Begriff stand, der Sache nachzuforschen, flohen eiligst aus der Küche. Die jauchzende Mine, die mangelhafter Trinkgelder halber Herrn Grauberg abhold war, wurde zum tiefsten Stillschweigen verpflichtet, und nun begann der letzte, entscheidende Akt, der, durch Eduard ausgeführt, dieser Freierei mit Hindernissen den größten Stein in den Weg werfen sollte.

Eduard wurde mit Mütze und Paletot versehen und vor die Flurthür geschickt.

Eben hatte Grauberg zum dritten und, wie er hoffte, unwiderruflich letzten Male seine wohlgesetzte Rede begonnen, als ein scharfer Klingelton durchs Haus gellte und Eduard, jede Furcht und Rücksicht bei Seite setzend, in des Vaters Zimmer stürzte.

„Herr Grauberg – der Mann aus der Menagerie sucht Sie überall – der Elefant liegt im Sterben!“ schrie er mit angstvoller Miene.

Herr Grauberg starrte den Jungen entsetzt an.

„Wo ist er denn?“ frug er mit bebender Samme.

„In seinem Käfig,“ erwiederte Eduard, „er macht so!“ und der Junge ahmte die leidende Stellung des Vierfüßlers in so lächerlicher Weise nach, daß dem Vater beinahe der Ernst abhanden kam.

„Ach, Dummheiten!“ rief Herr Grauberg, der ganz blaß geworden war, „wo ist der Menageriebesitzer?“

„Er kommt gleich her!“ sagte Eduard und ließ sich erschöpft auf einen Stuhl sinken, „wenn der Elefant stirbt, müssen Sie ihn kaufen und einen neuen dazu! – Schenken Sie mir die Zähne?“

Aber diese Frage blieb unbeantwortet. Herr Grauberg, dessen Nerven heute begreiflicherweise ohnehin überreizt waren, wurde durch die Vorstellung von einem todten und einem lebenden Elefanten, die er beide kaufen sollte, derartig verwirrt, daß er mit einem hastigen. „Sie verzeihen!“ seinen Hut ergriff und hinaus stürzte: ein Beispiel, dem Eduard eiligst folgte, da er näheren Nachfragen über die Sache auszuweichen wünschte.

Kaum war der arme Elefantenmörder mitsammt seinem verunglückten Heirathsantrag um die Ecke, so rannte ein Bote aus der Amicitia zu Erloff, um diesem zu verkünden: „Er ist fort!“ Erloff hielt den Moment für den geeignetsten, um in die leer gewordene Stelle einzurücken, und stand eine Viertelstunde später in derselben Stube, in derselben Situation vor demselben Vater, wie vorhin sein unglücklicher Nebenbuhler – nur mit dem Unterschied, daß ihn keine feindlichen Mächte an der Ausführung seines Vorhabens hinderten.

Wie viel der Umstand, daß die Doktorin ihren fünf intimsten Freundinnen unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit anvertraut hatte, Käthe werde sich diesen Sonntag verloben, zu ihrer Einwilligung beitrug, wollen wir dahingestellt sein lassen! Sie erfuhr durch ihren Mann nur, Herr Grauberg habe nicht angehalten, und wollte sich doch nicht der leeren Ruhmredigkeit beschuldigen lassen, um so mehr, da sie sich überzeugen mußte, daß Käthe sowohl wie der Vater doch nun einmal gegen Grauberg und für Erloff so entschieden seien, daß ihr Widerstand nicht viel nützen würde.

Wie eine Verlobung schließlich zu Stande kommt, das ist ja im Grunde auch gleichgültig – die Hauptsache ist doch, daß sie zu Stande kommt! Und als das hübsche, fröhliche, junge Brautpaar am Tische der Eltern saß, schmolz das Herz der Doktorin denn auch bald, und sie tröstete sich schneller über den abgewiesenen reichen Freier, als sie selbst es für möglich gehalten hätte.

Auf Erkundigungen ergab sich übrigens, Herr Grauberg sei aus Angst vor den Folgen seines Elefantenscherzes sofort in seine Heimath gereist, und Erloff ließ sich das kleine, boshafte Vergnügen nicht nehmen, den Rivalen noch am selben Tage durch die telegraphisch übermittelten Worte: „Der Elefant ist wieder wohl!“ zu trösten und sowohl seinen als Käthe’s Namen mit dem Zusatze „Verlobte“ darunter zu setzen.

Der Verein Amicitia hatte übrigens von seiner thätigen Mitwirkung, die er aus sehr triftigen Gründen zu verschweigen für angezeigt fand, die greifbarsten Vortheile. Erloff schenkte nämlich nicht nur einen Thaler in die Vereinskasse, die unter diesem noch nie dagewesenen Reichthum sich bog, sondern verehrte der Amicitia überdies eine Anzahl alter Hieber aus seiner Studentenzeit, die zu den lebensgefährlichsten und entzückendsten Unternehmungen Anlaß boten und als neues Bollwerk gegen die Wissenschaften von den Eltern in allen Tonarten verwünscht wurden.

Uebrigens bleibt der Verein noch heute dabei, daß ohne ihn die ganze Verlobung nicht zu Stande gekommen wäre! Als daher bei Käthe’s und Erloff’s Hochzeit, wo sämmtliche Mitglieder anwesend waren, ein Hoch auf die Amicitia ausgebracht wurde, schrie Niemand lauter mit, als diese selbst, die an einem Tische für sich thronte und so viel Champagner bekam, als sie irgend wollte – was sich eigentlich von selbst versteht, da sie alle inzwischen in die Sekunda gekommen waren! Nur Eduard legte durch einen plötzlichen, Allen so wie ihm selbst unerklärlichen Thränenstrom einen unmännlichen Mangel an Widerstandskraft gegen den Zauber geistiger Getränke an den Tag – die Andern vertrugen schon etwas! und hatten somit volles Recht zu rufen: „Die Amicitia lebe hoch – und abermals hoch – und zum dritten Male hoch!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_114.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)