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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Am andern Morgen treffen wir den uns schon bekannten Versicherungsbeamten in lebhafter Unterhaltung mit dem Vorsteher des Postamtes in der Stadt. „Der Dienst bei unsern ca. 8800 Telegraphenbetriebsstellen,“ erklärte der Amtsvorsteher, „ruht, wenn wir von etwa 200 der größeren Städte absehen, während der Nacht. Gleichwohl läßt sich ohne besondere Schwierigkeit eine von der obersten Postbehörde vor etwa Jahresfrist angeordnete Einrichtung treffen, durch welche die mit den Postämtern durch den Telegraphendraht verbundenen kleineren Landorte in den Stand gesetzt werden, in Nothfällen auch zur Nachtzeit Telegramme abzusenden. Diese Einrichtung besteht einfach in der Anbringung einer elektrischen Klingel, die je nach Verschiedenheit der örtlichen Verhältnisse in dem vom Telegraphenbureau des Postamts entfernt belegenen Postdienstzimmer, oder im Beamtenwachtzimmer oder endlich im Schlafzimmer des Beamten neben dessen Bette, kurz, jedenfalls da angebracht wird, wo dieselbe von einem Beamten gehört werden muß. Sobald nun von der Postagentur durch einen Druck auf den Knopf des Apparates oder durch die Umdrehung einer Kurbel die bei dem Postamte befindliche elektrische Weckvorrichtung in Bewegung gesetzt wird, begiebt sich der diensthabende Beamte in das Telegraphenzimmer und meldet der Agentur seine Bereitschaft zur Entgegennahme der Depesche.

Die Landgemeinden, die sich auf diese Weise eine Tag und Nacht zuverlässige telegraphische Verbindung sichern wollen, haben nichts weiter zu thun, als dies ihrerseits bei der Postbehörde zu beantragen und zugleich ihre Bereitwilligkeit zur Uebernahme der Kosten der Anschaffung der elektrischen Weckvorrichtung etc. (50 Mark) zu erklären.“

„Durch Ihre Mittheilungen,“ ergriff jetzt der Oberinspektor das Wort, „bin ich aufs Angenehmste überrascht. Das ist ja eine ganz vortreffliche Einrichtung, die wir der umsichtigen Thätigkeit Ihrer Behörde verdanken. Hätte dieser biedere Dorfpascha in N., der ja allerdings schwer genug dafür gestraft ist, nicht in stumpfsinniger Beschränktheit die Anregung Ihrer Behörde unbeachtet gelassen, so würde Ihre vorzügliche Feuerwehr fast drei Stunden früher zur Stelle gewesen sein; das Brandunglück wäre sicher nicht entfernt so verhängnißvoll geworden und auch meine stark betheiligte Gesellschaft hätte viele Tausende erspart. Ich werde fernerhin nach Kräften dahin wirken, daß diese so wohlthätige neue Einrichtung immer weitere Verbreitung findet.“

„Von Herzen wünsche ich guten Erfolg,“ erwiederte der Beamte, „doch dürfen wir unsere Erwartungen nicht zu hoch spannen. Recht gerne lassen sich viele unserer Mitbürger alle die zahlreichen Verbesserungen der Verkehrsverhältnisse gefallen, die ihnen zu Theil geworden sind. Aber selbst für dergleichen auch nur ein geringfügiges Opfer zu bringen, fällt ihnen gar nicht ein. An Belegen hierfür fehlt es nicht. Ich will nur das Eine anführen, daß von den sieben Postagenturen, die dem hiesigen Amte zugetheilt sind, auch nicht eine einzige die Einrichtung einer elektrischen Nachtklingel beantragt hat, obwohl die Anregung hierzu durch Vermittelung der Postagenten seiner Zeit gleichmäßig an die betreffende Gemeinden ergangen ist.“

„Aber das ist ja kaum zu glauben,“ rief der Oberinspektor aus. „Da stellen sich die Leute bezüglich ihrer Intelligenz und ihres Gemeinsinns ja geradezu ein Armuthszeugniß aus.“

„Pst, pst,“ fiel der Beamte ein, „dies Thema wollen wir hier lieber nicht berühren. Lassen wir uns, mein lieber Herr Inspektor, durch unerfreuliche Erfahrungen nicht entmuthigen. Thun wir, ein Jeder an seinem Theil, in dieser Sache, wie überhaupt, unsere Schuldigkeit oder auch wohl noch etwas darüber, so wird, früh oder spät, der Erfolg, der der Allgemeinheit zu Gute kommt, nicht ausbleiben und dies Bewußtsein ist auch etwas werth.“ W. P.




Blätter und Blüthen.

Eine Jugendliebe Emanuel Geibel’s. Nach dem Erscheinen seiner ersten Gedichtsammlung galt Emanuel Geibel für den zartesten Liebeslyriker der Neuzeit: es ist begreiflich, daß man nach den Anregungen forschte, welche die Muse des Dichters so begeistert hatte. Ueber diese schöne Zeit der ersten Liebe giebt uns Karl Theodor Gaedertz in seinen „Emanuel Geibel-Denkwürdigkeiten“ erwünschten Aufschluß. Ein Fräulein Cäcilie Wattenbach, die Tochter eines Hamburger Kaufmanns, dessen Wittwe nach Lübeck gezogen, war die Muse der lyrischen Erstlinge, welche der Dichter aufs Papier warf. Er machte als Primaner im Jahre 1833 mit seiner Mutter einen Besuch bei Frau Wattenbach, deren älteste Tochter sich mit einem von dem jungen Emanuel hochverehrten Lehrer verheirathet hatte. Wie erstaunte er, als er in dem ihm noch fremden Familienkreise plötzlich das Mädchen als Schwester der Braut begrüßen konnte, welches er etliche Tage vorher zuerst auf der Straße gesehen, in grauem blauseiden gefütterten Mantel und braunem Velbelhut, blondhaarig und blauäugig, mit den entzückendsten kleinen Händen und Füßen (er selbst erfreute sich solcher, weshalb er bei Damen sehr darauf achtete), eine liebreizende Erscheinung, von der er die letzten Nächte geträumt! Das leicht entzündbare Herz des achtzehnjährigen Primaners hatte Feuer gefaßt. Als er die holde Jungfrau erröthen sah und beide zum ersten Male mit einander sprachen, da war’s um sie geschehen, als er nun gar erfuhr, daß sie selbst auch heute ein Fest feiere, ihren Geburtstag, da kamen ihm seine Wünsche aus doppelt voller Seele. Nimmer vergaß er dieser Stunde und in tiefer Wehmuth gedachte er auch im spätesten Alter dieser Begegnung. Er war dann oft ein gerngesehener Gast im Wattenbach’schen Hause und dichtete auch ein Festspiel zum Polterabend. Cäcilie als Kolumbine hatte ein reizendes Lied zum Preise Italiens vorzutragen, welches die Strophe enthielt:

„Himmel und Erde
Lieben sich dort,
Grüßen und träumen
Ewiglich fort.
Lieder und Küsse
Klingen und wehn:
Könnt ihr die Sprache
Der Liebe verstehn?“

Im Frühling und Sommer wurden gemeinschaftliche Ausflüge gemacht in die anmuthige Umgebung Lübecks. Ein Pfingsten 1834 unternommenes Picknick im Riesebusch begeisterte den Dichter zu einer formschönen Elegie. Am nächsten Geburtstage überreichte er seiner Freundin ein Heftchen Gedichte, von denen nur wenige in die spätere Sammlung aufgenommen worden; nur ein einziges spricht seine Empfindungen in der Blumensprache aus.

Im November 1834 hatte der Primaner das Abiturientenexamen bestanden; in einer der französischen Kolonie angehörigen Familie führten Geibel und Cäcilie lebende Bilder mit auf und stellten Bruder und Schwester vor. Noch im hohen Alter gedachte Geibel dieser gemeinsam verlebten Stunden mit schmerzlicher Wonne und ihn überwältigte einmal förmlich die Erinnerung, als er seine Tochter zufällig über dem Lernen einer kleinen Rolle für ein Festspiel traf.

„Ich mußte ihr von jenem glücklichen Abend erzählen, den wir bei Boissonnet’s mit einander verschwärmten. Wie steht das Alles noch frisch und farbig vor meiner Seele! Cäcilie zuerst in amaranthfarbener Seide, dann in weißem Kleide mit schwarzem Sammetgürtel. Das ist neben dem 6. November, da ich zuerst mit ihr redete, vielleicht in meiner ganzen Jugend der Tag gewesen, an dem ich des reinsten, völlig wolkenlosen Glückes genoß, und ich habe ihn lange Zeit hindurch alljährlich ganz im Stillen festlich begangen.“

Als Geibel von Lübeck fortziehen mußte, um die Universität Bonn zu besuchen, schrieb er dem ihm befreundeten Bruder Cäciliens drei Abschiedslieder ins Stammbuch, die alle eine zarte, schüchterne Empfindung athmen. Die Schlußstrophe des dritten lautet:

„Und nun leb’ wohl, und sollt’ ein leises Singen
Sanftwiegend einst in Deinem Traum erklingen,
So denk’, es seien meine sehnsuchtsvollen
Gedanken, die von fern Dich grüßen wollen.“

Diese Gedichte haben zwar keinen höheren Werth; aber sie spiegeln die Stimmung wieder, aus welcher jene Liederblüthen einer „keuschen blonden Minne“ hervorgingen, welche einige Jahre später auf allen Toilettentischen zu finden waren. Ohne darin genannt oder gefeiert zu sein, war Cäcilie Wattenbach die Laura des jugendlichen Petrarca. †     

Eine klassische Stätte. Zu der ersten Lektüre der Kinderjahre gehört bei uns in Deutschland außer unseren herrlichen Volksmärchen auch die rührende Geschichte der frommen Dulderin Genoveva, und wer sie nicht aus Büchern kennt, der hat sie sicherlich auf der Bühne eines Marionettentheaters an sich vorüberziehen sehen. So bekannt und volksthümlich nun auch die Geschichte ist, so wenig wird des Ortes gedacht, wo sich das Familiendrama abspielte; gewöhnlich verlegt man die Sage nach Frankreich in eine Gegend der Normandie, während der Schauplatz derselben doch ein Stück gute deutsche Erde ist.

An dem düsteren Laacher See in der Eifel liegt nach Mayen hin der stattliche Hochsimmer, ein 1823 Fuß hoher Berg, welcher vor Zeiten, wie alle seine Genossen in diesem Gebirge, ein Vulkan war. Hier stand die Burg des Pfalzgrafen Siegfried, des Gemahls der schönen Genoveva, welche der schändliche Schloßvogt Golo, als sein Herr nach langer Abwesenheit wieder in seine Feste zurückkehrte, in unwürdigster Weise verleumdete. Der empörte Pfalzgraf ließ sein unschuldiges Weib einkerkern und später mit ihrem Kinde in die Wildniß hinausstoßen, wo sich eine Hirschkuh zu ihnen gesellte und mit ihrer Milch das fast schon verschmachtete Knäblein ernährte. Als sich nach langen Jahren Siegfried einst auf der Jagd befand, verfolgte er diese Hirschkuh, welche er bereits verwundet hatte, bis zu der Höhle, wo sie bei Genoveva, der diese Höhle zum Aufenthalt diente, Schutz suchte und fand. Das unerwartete Wiedersehen stimmte den Pfalzgrafen zur Milde: er hörte seine Gemahlin ruhig an und das ganze Lügengewebe des Schloßvogts kam an den Tag. Die Gattin Siegfried’s kam wieder zu Ehren; Golo aber empfing seine gerechte Strafe.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_067.jpg&oldid=- (Version vom 28.12.2020)