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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Ein Greis ermahnte:

„Auch Dessen gedenket in dieser Stunde: daß uns geboten ward zu lieben, die uns hassen und verfolgen, und zu segnen, die uns fluchen. Erfüllet den Willen des Herrn, der für uns gestorben ist.“

Wiederum ein Anderer:

„Harret aus! Bald ist’s überwunden.“

„Ja, bald werden wir bei unserm lieben Herrn im Paradiese sein.“

Tullus hörte diese Reden, und als er über einer der Triumphpforten, die heute Nacht der siegreiche Cäsar durchschreiten sollte, in goldener Inschrift die Worte las: „Euch, Ihr ewigen Götter!“ zuckte der Jüngling zusammen und wendete sich jählings ab.

Es dämmerte. Vor dem Palast des Cäsars zog die Leibwache auf, drängte die Menge zurück und besetzte die Straße. Die Senatoren und Ritter, die Sänger und Flötenspieler erschienen. Im Volke ward es still, nach dem wilden Getöse ein Todesschweigen.

Schnell nahm die Finsterniß zu. Plötzlich erschallten feierliche Stimmen. Wie aus den Lüften herab schwebten die Töne über die sich verdunkelnde Erde – der Sterbegesang der Christen.

„Hosiannah! Hosiannah!“

Es ward Nacht.


* *
*


Durch die Hallen und Säle des Palastes wälzte sich der kaiserliche Zug: Nero, in schleppenden goldenen Gewändern, in den duftenden Locken einen Rosenkranz, den der Gott, wenn er im Cirkus der Welt als glanzvolles Tagesgestirn aufging, mit einer Strahlenkrone vertauschen würde. Eine Schar von Korybanten und Bacchantinnen umschwärmte den Unsterblichen; junge Weiber ließen aus krystallenen Gefäßen Wohlgerüche auf den Boden rieseln, schöne Knaben spielten Cither und schlugen silberne Becken, brachten dem auf Erden wandelnden Gott in goldenen Schalen Brandopfer dar, daß dichtes Gewölk den Himmlischen und sein Gefolge umwallte.

Jetzt trat Nero aus seinem strahlenden Hause in die Finsterniß. Vor dem Gott erhellte sich die Nacht – aufflammten die Fackeln!


* *
*


Der Zug des Cäsars ward gestört. Tumult erhob sich, ein Gedränge entstand.

Was geschah?

Angstvoll fragte es der erblaßte Gott, für sein unsterbliches Leben zitternd. Auch seinen Vorgänger auf dem römischen Gottesthron hatten bei ähnlichem, festlichem Nachtgange die Dolche der Meuchelmörder getroffen.

Senatoren und Ritter beeilten sich, den Cäsar zu beruhigen.

Nichts war geschehen! Ein Schwärmer, ein Phantast, ein Verrückter hatte die Reihen der kaiserlichen Leibwache durchbrochen und dem Zug des Göttlichen sich in den Weg gestellt und gerufen, auch er sei ein Christ.

„Wer ist’s?“

Man lief, man forschte, man brachte dem Kaiser Bescheid: „Ein fremder Jüngling. Er nennt sich Tullus, Sohn des Priesters Atinas.“

„Des Priesters Atinas – –“

Und es zuckte um des Göttlichen Mund.

„Was soll mit dem Nazarener geschehen?“

Und der Unsterbliche bedachte sich. Darauf gebot er:

„Des Atinas Sohn für die Bestien!“

Und Nero lächelte.

Weiter ging der Zug.




Tullus war glücklich; was er begangen hatte, war keine Heldenthat gewesen – wenigstens hielt er es nicht für eine solche – aber glücklich war er doch. Nicht Acca’s hatte er gedacht, auch nicht des Gottes dieser Nazarener; er sah Jene den Heldentod sterben und mochte nicht länger leben.

Und jetzt bereitete er sich auf das Christenthum vor.

Unter den Gefangenen, die für den Kampf im Cirkus aufgehoben worden, befand sich der Bischof, jener von Tullus an die Römer verrathene ehrwürdige Greis. Es war dieser beredte Mund, der dem jungen Heiden das Evangelium verkündete, und da es das Evangelium der Liebe war, so ward es von Tullus vernommen. Der Jüngling erfuhr, daß Jesus Christus auch für ihn gestorben sei, daß seine Schuld ihm vergeben wurde, daß seiner die Seligkeit harrte, das Auferstehen und das ewige Leben.

Mit Acca zusammen würde er vom Tode auferstehen, mit Acca zusammen das ewige Leben erhalten – –

Und er würde zusammen mit ihr sterben.

Denn noch lebte Acca, für denselben Tod aufbewahrt, zu dem Tullus verdammt war; dem es verheißen worden, sie am Tage seines Sterbens wiederzusehen. Dann wollte der Bischof die Beiden vermählen. Nun ersehnte Tullus den Tod, wie er sich einstmals nach dem vollen Strome des Lebens gesehnt hatte.

Der letzte Tag kam und die beiden Getrennten sahen sich wieder; mit strahlendem Antlitz eilte Acca dem Freunde entgegen; sie flüsterte ihm zu:

„Wohin ich gehe, dahin mußt Du gehen, und wo ich bin, da mußt Du sein.“ Darauf laut und freudig. „Wie ich Dir von unserer Insel ins Leben folgte, so begleitest Du mich aus dem Leben in den Tod. Deine Liebe ist die größere.“

Tullus preßte die Geliebte an seine Brust, mit ersticktem Jubel sie fragend.

„Bist Du glücklich, Acca?“

„Glückselig in der Ewigkeit – mit Dir,“ lautete Acca’s feierliche Erwiederung.

Dann wurden sie vermählt.

Eben sollten sie mit den Anderen ihren Todesgang antreten, als Beide vor den Priester Atinas gerufen wurden. In einem besonderen Raume des Kerkers empfing dieser eifrigste Verfolger der römischen Christengemeinde das Paar. Todtblassen Gesichtes, aber erhobenen Hauptes trat Tullus vor seinen Vater, seine junge Gattin an der Hand.

„Vergieb mir!“

Atinas winkte ihm heftig zu schweigen. Dann reichte er seinem Sohn einen Becher Weins, der auf dem Tische stand.

„Trinke.“

Tullus zauderte.

Mit einer Stimme, die keinen Widerstand duldete, gebot Atinas nochmals.

„Trinke!“

Da nahm Tullus aus seines Vaters Hand den Becher; ihm mit den Augen dankend, trank er.

Und nach ihm trank Acca.

Den ewigen Göttern mußte das Leben der beiden Christen geopfert werden; aber Atinas wollte barmherzig sein.

Mit verhülltem Antlitz stand er, bis es zu seinen Füßen still geworden ward; dann hob er den Mantel von seinem Haupt und schaute starren Blickes auf die beiden Todten herab. Ihre Mienen waren still und friedlich; Acca trug auch noch im Tode ihr holdes Lächeln, und Tullus’ trotziges Gesicht hatte einen Ausdruck tiefsten Friedens. Da mußte der Priester denken:

Wenn sie dennoch für eine heilige Sache gestorben wären – In Athen soll ein Altar stehen, dem unbekannten Gotte geweiht – wie, wenn jener unbekannte Gott Jesus hieße? Und wenn dieser Jesus ein wahrer Gott wäre, ein ewiger Gott? Was wären dann die ewigen Götter?

Und Atinas stöhnte auf wie Einer, der eine Todeswunde empfangen. Er wankte. Es war, als ob er über den beiden Leichen zusammenbrechen würde; dann aber raffte er sich mächtig auf und schritt von seinen todten Kindern hinweg festen Ganges hinaus, um die Schar der Nazarener in die Arena zu führen.

So war der Wille des Cäsars. – –

Purpurfarbige Frühe lag über Himmel und Meer; Gluth des aufsteigenden Tages bestrahlte ein mächtiges Gewölk, das langsam und feierlich dahinschwebte; Morgenluft wehte, über das ewige Antlitz des Meeres glitt es wie ein Erzittern und Schauern.

In der weiten Einsamkeit der Wellen lenkt Atinas den Nachen, gegen dessen Planken die Wogen rauschen und raunen. Zwei Todte schiffen dahin, zwei Vereinigte, der Heimath zu.

Requiescat in Pace, Tullus – Acca, requiescat in Pace! (Ruhe in Frieden, Tullus – Acca, ruhe in Frieden!)



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_064.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)