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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

zusprechend. Acca schritt in der Reihe der Jungfrauen, welche liebevoll um die neue Christin besorgt waren.

In einiger Entfernung folgte Tullus den Gefangenen. Sein Gesicht war fahl, seine Mienen waren verzerrt; er taumelte wie ein Trunkener und ließ von Zeit zu Zeit ein jammervolles Aechzen hören. Und von Zeit zu Zeit rief er sie an, die er mit den Anderen verrathen hatte.

„Acca! Acca! Acca!“

Doch Acca hörte nicht auf ihn.

Der Morgenwind wehte, die Sterne erblaßten; ein todtenfarbenes Zwielicht erhellte die Welt. Aber schon regten sich die Vögel und aus den Lüften drang Lerchenjubel durch die Dämmerung.

Als die Römer mit ihrer menschlichen Beute durch die Porta Capena in die Stadt zogen, ward es Tag. Ein blutiger Glanz flammte über dem Albanus und dem Heiligthum des höchsten Gottes auf; schnell griff der Brand der Morgenröthe um sich, entzündete Himmel und Erde, schien Rom mit allen Tempeln und Göttern verzehren zu wollen

Beim Coelius, in der Nähe des großen Cirkus, wurden die Christen in den Kerker geführt. Acca war die Letzte. Bevor der finstere Eingang sie aufnahm, blieb sie stehen, wendete sich zurück, mit feierlicher Gebärde Tullus winkend. Dann schlug die Thür zu hinter der lichten Gestalt.

Mit einem dumpfen Wehlaut warf sich der Zurückbleibende auf den Boden, das Antlitz gegen die Erde pressend. Von göttlicher Sehnsucht getrieben, war er ausgezogen, Heldenthaten zu begehen, und seine erste That war Verrath gewesen, ein Verrath gegen die, welche ihm Gutes erwiesen; seine erste That war Mord gewesen, ein Mord, verübt an der Schwester, an der Geliebten.

Jene Anderen, die Verrathenen, die sich erhobenen Hauptes zum Tode führen ließen, sie, die Verabscheuten und Gehaßten – sie waren Helden!

Und der unglückselige Jüngling stöhnte auf, als wäre er ein Sterbender.




Der Cäsar gab den Römern in seinem neuen Hause ein Fest.

„Endlich wohne ich wie ein Mensch,“ hatte der Gott gesprochen, als aus dem Schutt und den Trümmern des abgebrannten Roms des Kaisers Haus sich erhob. Von Gold erstrahlten Wände und Decken, von Gold funkelte der Estrich. Juwelen waren in des Kaisers Haus den Steinen gleich geachtet, und das schlechteste Material, daraus man es aufgeführt hatte, bestand in dem kostbarsten Marmor aller drei Welttheile. Wo der Gott menschliche Nahrung zu sich nahm, wölbte sich über der glanzvollen Halle ein sonniger Himmel, von dem Narben herabthauten, der sich öffnete, um auf den Gott und seine Gäste Veilchen und Rosen herabrieseln zu lassen. Dieser Saal drehte sich um eine goldene Achse, Gestirne kreisten und die Musik der Sphären ertönte.

Wenn Nero schwelgte, stiegen die Himmlischen selber von ihren seligen Höhen hernieder, um die Freuden ihres Brudergottes zu theilen, die göttlicher waren als die ihren; wo Nero wandelte, erblühten Blumen, sangen Vögel, freuten sich Menschen und Götter; wo Nero weilte, verwandelte sich die Welt in den Olymp, Rom ins Elysium. Nur die Römer blieben, was sie seit den Zeiten des großen Augustus geworden waren: ein Volk von Knechten, Speichelleckern, Kreaturen und hündischen Kriechern.

Heute nun wollte der Gott mit seinen Geschöpfen sich auf menschliche Weise ergötzen.

Rings um den Palast, die Tiefen zwischen vier Hügeln füllend, erstreckten sich weite Fluren mit umfangreichen Seen, köstliche Haine, welche die Thiere der Wildniß bewohnten. Durch diese wundersamen Gefilde sollte heute Nacht des Cäsars Weg führen, wenn sich der Herr von seinem Hause zum Cirkus begab. Denn hier ließ der Kaiser dem römischen Volke olympische Spiele veranstalten, bei denen er seinen Römern als Apollon-Helios erscheinen wollte, ein Sechsgespann weißer Rosse lenkend.

Den Weg vom Kaiserpalast bis zur Arena sollten diese Nacht Fackeln erhellen, wie sie noch keinem Unsterblichen geleuchtet hatten.

Schon früh am Tage begannen die Vorbereitungen, zu denen die Römer sich drängten, welchen sie voll Entzücken zuschauten. Aus den Kerkern und Grüften des Coelius wurden die Christen herbeigetrieben: sie, welche, den ewigen Göttern zum Hohn, Rom in Brand gesteckt hatten, – denn so wollte Gott Nero, daß es geschehen sein sollte – sie mochten den ewigen Göttern zum Ruhm in Flammen auflodern. In Scharen brachte man sie herbei: Greis und Jüngling, Matrone und Jungfrau, Mann und Kind. Das römische Volk heulte auf vor Mordgier. Und es würde diese unersättliche, nach Blut lechzende Menge, welcher Todesschreie und Sterberöcheln Musik war, entzückt haben, wenn ihr „göttlicher“ Kaiser seine Römer hätte die wilden Thiere sein lassen, denen man in der Arena menschliche Leiber zum Zerreißen vorwarf. Wie die Bestien ihre Opfer zerfleischt haben würden!

Unter dem Gebrüll und Geheul der Plebs, darunter sich „edle“ Römer, Senatoren und Ritter befanden, wurden die Christen nach dem Hause des Kaisers geschleppt. Hier vor dem Palast, dem palatinischen Berg gegenüber, wonelbst die eherne Kolossalstatue des Gottes aufgestellt war, Angesichts des Forums, dieser hochehrwürdigen Stätte, welche die Größe Roms geschaut hatte, nahm das Fest seinen Anfang.

Pfähle bedeckten den Platz, lagen hoch aufgeschichtet, an dem einen Ende zugespitzt, um in die Erde gesenkt werden zu können. Nun kamen die Christen. Ihre Wächter überlieferten sie ihren Henkern.

Diese rissen ihnen die Kleiber herab, schnürten sie an die Pfähle, in solcher Weise, daß ihr nackter Leib hoch über den Pflock hinausragte, wickelten sie bis zur Brust in Werg, das mit Oel und Pech getränkt wurde. Darauf schleppte man die menschlichen Fackeln hinweg, dahin, wo sie in den Boden gegraben werden sollten. Zu beiden Seiten des Weges wurden die Pfähle aufgerichtet; vor dem Palast des Kaisers und dessen Bildsäule sollten die schönsten Flammen lodern: die Jungfrauen, die Jünglinge, die Kinder.

Nachdem die Körper der Christen in die sonnigen Lüfte ragten, schickte man sich an, die kaiserlichen Fackeln kaiserlich zu schmücken. Mit sidonischer Seide und phönicischem Purpur wurden die Pfähle verziert, um die Leiber Blumen geschlungen, daß bis zur Brust Krokus und Tazetten, Lilien und Narcissen sie umhüllten; die Häupter erhielten Kränze von Lotosblumen. Von Pfahl zu Pfahl, von Fackel zu Fackel wurden mächtige Rosengewinde gezogen, die Wege mit Myrthen- und Cypressenzweigen bestreut, zu beiden Seiten der Straße Dreifüße aufgestellt, die in herrlichen Gefäßen Specereien und Sandelholz trugen.

An manchen Stellen wurden Triumphbögen erbaut.

Hier sollten die Senatoren und Ritter, die Flötenspieler und Sänger den Kaiser erwarten.

Endlich war alles vorbereitet. Ein leuchtender Himmel wölbte sich über dem Festplatz; ringsum strahlten die Paläste, die Tempel, die Götterbilder. Frühlingslüfte erwachten; in den Gärten der Kaiserpaläste schlugen die Nachtigallen; und die Menschen freuten sich ihres Lebens und des Sterbens der Hunderte.

Unter der Menge, welche die Straße auf- und niederwogte, befand sich auch Tullus. Vor einer jeden der vielen lebenden Fackeln blieb er stehen und schaute hinauf, immer von Neuem in der Erwartung, unter den Blüthen ein geliebtes, holdseliges Antlitz zu erblicken. Und wenn er die fand, die er suchte, was sollte er dann beginnen, was würde ihm dann geschehen? Bei Acca’s Anblick entseelt hinsinken, bevor der liebliche Leib in Flammen aufging!

Aber Acca war nicht unter den Vielen, und Tullus blieb leben.

Er gewahrte alles, was geschah; er sah die Römer in bestialischer Wuth, sah die Christen voll heldenhafter Ergebung; er hörte Jene die Götter preisen, hörte Diese ihren Gott anrufen. Unter manchem Pfahl blieb Tullus stehen und schaute hinauf; er sah das bleiche ruhige Antlitz der Sterbenden; er vernahm, was diese von Göttern und Menschen Verlassenen in der letzten Stunde ihres Lebens, kurz vor einem martervollen Tode sich sagten: Mütter ihren Söhnen und Töchtern, Gatte der Gattin, Freund dem Freunde. Sie trösteten einander, sie sprachen sich Muth zu; sie sagten sich große erhabene Worte, die gleich Flammen in des Jünglings Seele drangen.

„Unser Herr, der erleiden mußte, was wir erleiden, sprach: Vergebt ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun. Laßt uns diese Worte unserm Herrn und Heiland nachsprechen.“

Das thaten sie, das thaten Alle.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_063.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)