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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)


„Wohin gehen wir?“

„Wohin die Götter uns führen. Fürchtest Du Dich?“

„Nein, nein.“

„Morgen sind wir in Rom, morgen finden wir meinen Vater, morgen, Acca –“

Was mochte es sein, das der nächste Tag bringen würde? Es war Tullus, als müßte etwas Großes, Ungeheures geschehen, etwas, danach sie Beide nicht länger würden leben können. Doch was es auch sein mochte, es wurde ihnen von den Göttern gesendet.

Der mächtige Schatten erwies sich als eine Waldung hoher, dichtbelaubter Steineichen; am Rande des Haines stehend, schauten sie vor sich in eine weitklaffende Höhle. Tullus sagte:

„Bleibe hier! Ich will hinein und sehen, was drinnen ist.“

Aber Acca faßte seinen Arm und drängte sich an ihn. So schritten sie denn zusammen in das Dunkel.

Als ihre Augen sich an die Finsterniß gewöhnt hatten, fanden sie, daß der Hain voller Grotten und Höhlen war, die tief in das Innere der Erde hinab zu führen schienen. Tullus wollte an der unheimlichen Stätte nicht bleiben, aber Acca war zu sehr ermattet. So riefen sie denn die Ewigen zu ihrem Schutze an, Acca begab sich in eine der natürlichen Felsenhallen und Tullus lagerte sich am Eingange nieder, entschlossen, kein Auge zuzuthun und den Schlaf der Geliebten zu bewachen. Um noch einmal ihre liebe Stimme zu hören, rief er leise in die Grotte hinein:

„Acca, bist Du glücklich?“

„Glücklich,“ tönte es zurück wie der zitternde Wiederhall seiner eigenen Stimme.




Trotz seiner guten Vorsätze schlief Tullus bald ein. Ihm träumte:

Ein Kreuz ragte auf. An dem Kreuzesstamm hing, mit eisernen Banden festgeschmiedet, ein sterbender Mensch, von dessen Haupt heller Schein ausging. Unter dem Kreuz stand Acca, mit einem Antlitz, darauf von den Strahlen, die um des Sterbenden Antlitz flossen, ein heller Glanz fiel. Acca winkte ihm, näher zu treten.

Tullus aber sprach.

„Das ist ja der Gott aus Nazareth.“

Doch Acca fuhr fort zu winken und das Licht, welches sie verklärte, wurde immer leuchtender, daß schließlich ihre ganze Gestalt erstrahlte. Sie winkte, lockte und lächelte so lange, bis Tullus zu ihr kam und mit ihr zusammen unter dem Kreuze stand, dessen Schein nun auch ihn überfluthete. Da hörte er Acca flüstern:

„Bist Du glücklich, Tullus?“

Und Tullus hörte sich antworten:

„Ich bin glücklich.“

Auf einmal war ihm, als klänge der Donner einer göttlichen Stimme in seine Ohren:

„So empfanget das ewige Leben.“

Tullus erwachte; aber er glaubte, immer noch zu träumen. Von dem Platz aus, wo er sich zur Ruhe niedergelegt hatte, sah er in das Innere der Grotte hinein, in der Acca schlief; der glühende Schein mehrerer Fackeln, die in eisernen Ringen an den Wänden steckten, erleuchtete die Höhle. Durch die vielen natürlichen Säulen, welche die Decke stützten, erhielt der Raum das Aussehen eines Felsensaales; der Helle des vorderen Gelasses folgte geheimnisvolle Dämmerung, hinter der die Finsterniß wie eine mächtige schwarze Woge zusammenschlug.

Gestalten füllten die Grotte: Greise und Matronen, Jungfrauen und Jünglinge, wehrhafte Männer. Alle trugen die weiße Festtoga und auf Aller Gesichtern lag ein heller Schimmer, Abglanz eines anderen Lichtes, als es von den Fackeln ausging.

Sie befanden sich in feierlicher Versammlung bei einander, einen hehren Greis umstehend, der soeben zu ihnen geredet haben mußte, und es schienen Alle noch immer andachtsvoll zu lauschen. Eine tiefe Stille herrschte.

Wie aber ward Tullus, als er Acca erblickte, mitten unter den Jungfrauen stehend, ohne jedes Zeichen von Angst und Befangenheit, zutraulich, als befinde sie sich in einem Kreise von Gespielinnen! Zwei schöne Mädchen hielten sie zärtlich umfaßt und begannen jetzt leise zu ihr zu sprechen. Da schaute Acca herüber und gewahrte, daß Tullus erwacht war; sie schien es den Anderen mitzutheilen, denn der Jungfrauen Blicke richteten sich auf ihn. Acca löste sich aus den Armen ihrer neuen Freundinnen und kam auf Tullus zu.

„Wer sind diese und was wollen sie von Dir?“

Acca erwiederte:

„Als ich erwachte, waren sie da; sie kamen jedoch von einer andern Seite in die Höhle als wir. Zuerst erschrak ich heftig, fürchtete mich sehr und regte mich nicht, so daß sie meiner nicht gewahr wurden. Da hörte ich, was sie mit einander sprachen, ganz herrliche Dinge, so daß ich jede Angst verlor. Als dann jener schöne alte Mann zu reden begann, erhob ich mich und schlich zu Dir, um Dich zu wecken. Aber Du schliefst so fest. Da sahen mich jene guten Jungfrauen, traten zu mir, grüßten mich freundlich und forschten, wer wir seien und wie wir hierher gekommen. Ich sagte ihnen, Du seiest des Atinas Sohn, der nach Rom gezogen, um dem Cäsar zu helfen, die Nazarener zu verderben, und daß ich mit Dir zusammen die Insel verlassen und wir keine andere Stätte für die Nacht gefunden hätten. Da führten sie mich zu jenem ehrwürdigen Greise, und Alle erwiesen mir Gutes. Dann sprach der alte Mann, und sie weinten bei seinen Worten, die groß und gewaltig klangen, wie ich niemals Worte gehört habe, selbst nicht aus dem Munde Deines Vaters.“

„Aber wer sind sie?“

„Gute Menschen.     Komm!“

(Schluß folgt.)




Bemalte Statuen.
Von Siegmund Feldmann.

Man wird so lange Monumente setzen, bis die Erdkugel aussieht wie ein Stachelschwein,“ klagte einmal Ferdinand Kürnberger, der sich in drastischen Uebertreibungen gefiel. Falls jedoch die Frage: sollen wir unsere Statuen bemalen? eine Erledigung im Sinne der „Polychromisten“, der Anhänger bemalter Statuen, findet, dann müßte man zu einem andern Vergleiche aus der Zoologie greifen. Dann wird die Erdkugel aussehen wie ein Kolibri.

Diese Frage ist ein Produkt unserer Zeit, durch welche ein Strom polychromer Anschauungen fluthet, von dem unsere Großmütter noch keine Ahnung besaßen. Diese zogen ihrem blonden Töchterchen ein blaues, ihrem schwarzen Töchterchen ein rothes Band durch das Lockenhaar und glaubten damit allen Anforderungen genügt zu haben, die man an das koloristische Feingefühl einer schlichten Hausfrau stellen darf. Heute jedoch, da alles nach Farbe drängt und selbst der Sonnenstrahl gefärbt wird, dem man am liebsten den Zutritt nur durch Butzenscheiben und gemalte Fenster gewährt, kämen unsere Frauen mit einem so primitiven Unterscheidungsvermögen nicht mehr aus. Heute mischt sich in der „guten Stube“ jedes behaglichen Bürgerhauses der Glanz bunter Töpfereien mit den satten Tönen persischer Teppiche und türkischer „Eselstaschen“, der Schimmer metallinischen Zierats mit den zarten Tinten phantastischer Makart-Bouquetts, und um in dieses Vielerlei farbiger Eindrücke wohlthuende Harmonie zu bringen, bedarf es einer künstlerisch ordnenden Hand, eines ästhetisch geschulten Auges. Diese Schulung empfing unser Auge in den letzten fünfzig Jahren, während welcher sich der moderne Realismus entwickelt und die Malerei das Recht auf Farbe, welches das Recht auf Leben ist, von Neuem erkämpft hat. Man kennt die Stadien, die dieser Kampf durchlaufen mußte, bis er von dem Ansturm auf den einseitigen Formenidealismus eines David und Cornelius zu den blendenden Werken der jüngsten Münchener und Pariser Schule gelangte. Innerhalb dieses Zeitraums hat, wie man sagen kann, die Farbe ihre Auferstehung gefeiert und eine neue Kunstauffassung die Herrschaft augetreten. Gleichzeitig mit der malerischen Reaktion gegen die Stilisten tauchte die Forderung farbiger Skulptur auf, und bis zum heutigen Tage wurde sie niemals fallen gelassen. Daß nun innerhalb desselben Zeitraums, der das Kolorit wieder zur höchsten Vollendung emporgeführt hat, die Bemalung der Bildwerke fast gar keine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_048.jpg&oldid=- (Version vom 14.3.2018)