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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Diese erwiederte jedesmal eben so leise:

„Ich bin glücklich.“

Ihre Hände behielten sie fest in einander geschlossen.

Tullus kam vor Aufregung nicht dazu, seine Müdigkeit zu fühlen; er drängte vorwärts und vorwärts. Plötzlich wankte Acca, und sie wäre hingesunken, hätte Tullus sie nicht schnell mit beiden Armen umfaßt und gehalten. Er führte sie vom Wege ab, in einen Pinienwald, wo sie sich rasch erholte und nun gleich weiter wollte. Besorgt spähte Tullus in ihr bleiches Gesichtchen; doch sie plauderte und scherzte, so daß er sich überreden ließ, sie fühle sich ganz kräftig und wohl. Bis Ardea, der uralten, einst mächtigen Stadt des Rutulerfürsten Turnus, setzten sie ihre Wanderung fort; dann bat Tullus einen Landmann, der in seinem Karren nach Rom fuhr, sie Beide mitzuehmen. Ja, wenn sie ihn bezahlen könnten, meinte der Mann. Er ließ sie erst aufsteigen, nachdem Tullus ihm das Geld, fast den ganzen Rest seiner Baarschaft, eingehändigt hatte.

Jetzt ward es herrlich. Der Bauer bereitete aus seinem Mantel einen bequemen Sitz für Acca, von dem sie über die niedrige Brüstung des Karrens nach beiden Seiten hin frei ausschauen konnte; Tullus stand neben ihr, ließ sich von ihrem Wagenlenker alles zeigen und nennen, so viel der Mann wußte, und berichtete das Erfahrene der Freundin. Jener langgestreckte, ganz mit Landhäusern bedeckte Bergrücken war Tusculum, die Stadt des Sohnes des Odysseus, welchen die goldlockige Zauberin Kirke dem Helden geboren hatte. Weiterhin, unterhalb des Tempels des Jupiter, auf dem Gipfel des Albanus, dunkelte der Hain der Ferentina, dieser herrliche, hochheilige Wald, in dem vor Zeiten die Städte des lateinischen Bundes an der Quelle der Göttin zum großen Völkerrathe sich zusammenfanden und die höchsten Feste des Landes begingen. Dort drüben die Stätte, an welcher, hoch über dem blauenden See, einst Albalonga gelegen, die Wiege Roms, das seine Mutterstadt dem Erdboden gleich gemacht hatte. Seht! Das Landhaus des Helden Pompejus leuchtete herüber, nicht als Palast erscheinend, sondern als eine Stadt von Palästen. Dann Ariccia, an der Stelle erbaut, wo des Theseus Sohn, der herrliche Hippolyt, von Rossen zu Tode geschleift ward. Jetzt die Waldung, die den strahlenden Spiegel Diana’s umschattet, in deren Heiligthnm der von den Furien verfolgte Orest das auf Tauris geraubte Götterbild barg. Tibur müßt Ihr noch sehen, das hochragende, herrliche! Von den elyseischen Höhen der Sabina glänzt es herüber. Dort die Felsenberge des hehren Praeneste und dort – – nichts mehr! Nichts mehr!

Der Bauer erzählte.

„Der Cäsar ist jetzt in Rom. Das ist Einer! Ein Gott ist’s: Gott Nero. Solch ein Gott! Nun, was geht’s mich an? Ich habe meine Hütte, mein Feld, mein Weib und meine Kinder in Laurentum drüben. Warum soll der Kaiser kein Gott sein? Der Caligula war auch einer und das Pferd des Caligula war auch einer; und ein Gott könnte des Nero Hund und des Nero Pfau und des Nero Katze sein. Warum nicht? Gott Nero behüte uns! Ich sage: das ist Einer! So Einer, wie der, der bringt Geld unter die Leute. Sein neues Haus geht vom Palatin über den Quirinal und Viminal. Warum soll’s nicht? Wenn so ein Gott ein neues Haus haben will, so baut er sich’s eben. Es heißt: sogar die Straßen in dem römischen Haus wären mit Gold und Perlen gepflastert. Was geht’s mich an? Wenn dabei nur Geld unter die Leute kommt. Es lebe Gott Nero! – – Habt Ihr schon gehört: sie wissen jetzt, wer damals die Stadt angesteckt hat.“

„Wer war’s?“

„Die Nazarener.“

„Jupiter vernichte sie!“

„Nun ja; sie sollen nichts auf die alten Götter geben, sie sollen einen neuen Gott gefunden haben. Was geht’s mich an? Wenn der Cäsar stirbt, bekommen wir auch wieder einen neuen Gott. Ein neuer Gott bringt Geld unter die Leute; die Nazarener sind arme Schlucker. Das mag ein rechter Gott sein, den die haben! Nun, was geht’s mich an? Ich habe mein Feld, meine Hütte, mein Weib und meine Kinder in Laurentum drüben. – Da ist die Stadt.“

„Acca, da ist Rom! Acca! Acca!“

Sie stand auf, hielt sich an ihm fest und schaute mit ihm hinüber – ein Häusermeer, unabsehbar, unendlich. Auf den Tempeln und Palästen, welche die Hügel krönten, lag die Gluth der Abendsonne. Es leuchtete und lohte, als ob Rom zum zweiten Mal in Flammen stünde, als ob goldige Strahlen über die Stadt hinflutheten. Dort ragte der Kaiserpalast – ein Olymp! Jenseit des Stroms, auf dem Janiculus, die Kaisergärten – ein Elysium! Ein zarter schimmernder Dunst schwebte über der ungeheuren Stadt, als würde auf tausend Altären tausend Gottheiten geopfert.

Die Beiden schauten und wußten nicht, wie ihnen geschah. Sie glaubten zu träumen. Die Stimme ihres Wagenlenkers rief sie wieder ins Leben zurück.

„He Ihr! Was wollt Ihr eigentlich in der Stadt? Zwei solche Vögelchen!“

Tullus fand auf diese Frage nicht gleich eine Autwort. Der Bauer murmelte verdrießlich.

„Nun, was geht’s mich an? Ich meine nur. Nehmt Euch vor der Stadt in Acht! Das meine ich, obgleich es mich nichts angeht. Ihr seid ein hübsches Paar. Noch blutjung! Hättet auch noch ein Jährchen warten können, ehe Ihr Mann und Frau wurdet. Juno, die reinen Kinder! Seht nur zu, daß Ihr bald zu einem Stücklein Feld kommt, mit einer Hütte darauf und Kindern darin. Das ist am besten. Und je weiter entfernt von der Stadt, um so besser; recht weit fort von der Stadt, das ist am allerbesten. Nun, was geht’s mich an? Hier ist das Haus meines Herrn, hier müßt Ihr absteigen. Die Götter seien mit Euch: die alten und die neuen; man muß es mit allen halten.“

Der Karren hielt; die Beiden stiegen herab, schweigend, ohne ihrem freundlichen Lenker ein Wort des Dankes und des Lebewohls zu sagen. Sie gingen fort, immer noch stumm, mit gesenkten Augen und sich nicht mehr bei der Hand haltend.

Sie wußten selbst nicht, wie sie dazu gekommen waren; auf einmal merkten sie, daß sie von der Landstraße abgewichen und sich auf einem einsamen mit Gras und Blumen überwachsenen Wege befanden. Zwischen silbergrauem gelbblüthigen Fenchel und dunklem Akanthus wucherten üppig Asphodelen und die blassen schönen Blumen der Aronswurzel; den Eppichüberhang der Hecken durchrankte buntes Caprifolium; Schlehen und Goldregen blühten. Die stumme Acca pflückte sich den Mantel voller Blumen, daß sie mit ihrem lichten Haar und den strahlenden Augen der Tochter der Ceres glich, welche Blüthen spendend über die Flur schreitet. Kein Auge wandte Tullus von der schlanken, ihm vorausschreitenden Gestalt, die ihm plötzlich wundersam verwandelt däuchte. Zum ersten Mal gewahrte er ihren schwebenden Gang, gewahrte, mit welcher Anmuth sie das Köpfchen trug und die Arme bewegte, wie strahlend ihr Blick, wie lieblich ihr junger Mund. Aber zugleich erschien ihm die Gefährtin geweiht und heilig, ein göttliches Wesen, das keine irdische Hand berühren durfte. Wenn ihr Gewand ihn streifte, überliefen Schauer den Jüngling.

Auch er fühlte sich wie durch Zauber ein Anderer geworden. Ein wüthender Schmerz bebte in ihm auf, eine unsägliche Wonne; ihm war’s, als zersprengte es seine Brust, als müßte er ersticken; er dachte nicht daran, daß er in Rom war, sondern, daß er bei Acca weilte; er sehnte sich nicht mehr nach Heldenthaten; sein einziges Verlangen war, immerfort bei Acca sein zu dürfen, an ihrer Seite, so wie heute in den Glanz des Sonnenuntergangs hineinzuwallen, weiter und weiter.

Ueber ihnen war der Himmel Glanz und Glorie; durch die Blüthenmauern schritten sie hinein in die flammende Abendröthe.

Es begann zu dämmern. Schleier woben sich um den Glanz, verhüllten die himmlischen Flammen, erstickten sie. Schatten stiegen auf; sie wuchsen und wuchsen. Aber schon erglänzten die Sterne. Es war wie in einem Mysterium.

Die Nacht brach an, eine Frühlingsnacht voll balsamischen Wohlgeruches, voll Sternenglanz und geheimnisvoller Stimmen.

Sie gelangten auf eine weite Wiese, weiß von Narcissen. Ein Bach durchfloß die Flur, die Ufer mit einem dichten Kranz heller Lilien besäumt. Nirgends war ein Haus, nirgends ein Mensch zu sehen. Inmitten der lichten Weite ruhte ein großer schwarzer Schatten, gleich einer dunklen Insel in diesem Blumenmeer. Eine breite Spur von zerknickten Stengeln, zertretenen Blüthen hinter sich lassend, schritten sie darauf zu.

Ueber Rom schwebte ein fahler Schein; einem düstern Gewölke ähnlich lagerte das nächtliche Gebirg über dem Lande.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_047.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)