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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Achseln. „Ich möchte Sie übrigens bitten, die Kleine wieder in gestreckte Lage zu bringen,“ sagte er zu Frau von Berg. „Sie sitzt jedenfalls schon zu lange und ist ermüdet – man sieht es an der Krümmung des Rückens.“

Die Dame rauschte mit zurückgeworfenem Kopfe nach dem Kinderwagen, während sich Claudine verabschiedend vor dem Herrn des Hauses neigte; allein er blieb an ihrer Seite.

Beim Umbiegen um die Hausecke kam ihnen ein leichter Zugwind entgegen; er erregte ein leises Blätterrauschen in den Lindenkronen über ihnen.

„Wie es geheimnißvoll raunt da oben!“ sagte Baron Lothar. „Wissen Sie auch, von was die alten Bäume flüstern? Von den Montecchi und Capuletti des Paulinenthales.“

Die junge Dame lächelte kalt. „Im Mädcheninstitut besinnt man sich selten auf den Familienzwist daheim,“ entgegnete sie gelassen. „Man hat sich gern und fragt nicht, ob man auch darf; und wenn ich heute den von den Meinen gemiedenen Boden betrete, so gilt es eben auch nur der Pensionsschwester. Ich war schon einmal während meiner letzten Institutsferien in Neuhaus – die alten, schönen Bäume kennen mich.“

Er verbeugte sich schweigend und ging weiter und sie betrat den Hausflur. Sie brauchte nicht nach Beate zu fragen; hinter der nächsten Thüre, die zu einem nach der Hofseite liegenden Gelaß führen mochte, klang in energischer Weise die gebieterische Stimme der „Pensionsschwester“.

„Geh, sperre dich nicht, kindisches Ding!“ schalt sie drin. „Ich habe keine Zeit zu vertrödeln – die Hand her!“ Eine momentane Pause. „Sieh, sieh, wie schön die Schnittwunde heilt! Nun können wir auch den Nähfaden wieder herausziehen!“ Der leise Aufschrei einer jugendlichen Stimme erfolgte, dann war es still.

Claudine öffnete geräuschlos die Thüre. Dicker Plättdunst quoll ihr entgegen. An einer langen Tafel standen drei weibliche Personen und bügelten im Schweiß ihres Angesichts, während Beate am Fenster einer jungen Magd die Binde wieder um die verletzte Hand wickelte.

Sie sah die Eingetretene nicht, wohl aber fuhr ihr scharfer Blick sofort von der geknüpften Verbandschleife über den Plätttisch hin. „Luise, Naseweis, was machst Du denn da?“ rief sie mit mißtrauischem Augenblinzeln. „Herrgott, meine allerbeste Kragengarnitur unter den unglücklichen Fäusten! Hör ’mal, das ist mehr als dreist von solch einem Kiekindiewelt wie Du bist!“ Sie nahm dem Mädchen die Stickerei weg, besprengte sie mit Wasser und rollte sie zusammen. „Ich werde das Unheil später selbst gut machen,“ sagte sie zu den Anderen, auf das kleine Bündel deutend; dabei ging sie nach der Thür und stand überrascht vor Claudine; und das war wirkliche, herzliche Freude, die sich plötzlich verklärend über ihre strengen Züge verbreitete. „Heißes Wasser in die Kaffeemaschine!“ befahl sie kurz und bündig in die Plättstube zurück, legte ihren Arm um die Schultern der jungen Dame und führte sie in die Wohnstube, in das schöne, weite Eckzimmer mit seinen tiefgebräunten, altmodischen Mahagonimöbeln, seinen weißen, tannenen Dielen und den zierlich gefältelten Vorhangbogen. So hatte die Stube schon ausgesehen, ehe noch Lothar und Beate geboren, schon zur Zeit, da noch das Erbspinnrad mit dem „flinkernden Wockenband“ am Fenster geschnurrt.

Vor den drei Fenstern an der Südseite waren die Rollvorhänge niedergelassen; die zwei nach Osten sehenden dagegen brauchten keinen Schutz gegen das grelle Nachmittagslicht. Da dunkelten die Linden, und unter ihrem herrlichen, undurchdringlichen Schirmdach hinweg sah man ungeblendet hinaus in das blühende, sonnenglänzende Land.

„Nun mache Dir’s bequem, alter, lieber Pensionskamerad!“ sagte Beate und führte die Angekommene zum Niedersitzen an eines dieser Fenster. Sie nahm ihr den Hut ab und strich leicht mit der Hand über die köstliche Haarfülle, die, zwanglos zu einem Knoten verschlungen, den Halt unter dem Hut ziemlich eingebüßt hatte. „Da ist’s ja noch, was wir Alle so gern hatten, das wellige Gelock über der Stirn und im Nacken! Falsche Wülste trägst Du auch nicht, und dem ‚Goldschnitt‘ hat der Hoffriseur mit seinem Brenneisen auch nichts anhaben können – na, Du kommst ja ziemlich heil aus – dem Babel!“

Claudine lächelte leise und setzte sich an Beate’s Nähtisch. Da lag neben feiner Flickwäsche, sauber eingebunden, Scheffel’s „Ekkehard“.

„Ja, siehst Du, Schatz,“ sagte Beate, die Verschiedenes zusammentrug, um den Kaffeetisch herzurichten, mit einem Blick auf das Buch gleichsam entschuldigend, „ein Menschenwesen wie ich, das täglich wie ein Gendarm hinter Trägheit und Indolenz her und dabei selbst meist ein richtiger Arbeitsbär sein muß, hält dann auch um so zäher auf seine seltene, schöne Erholungsstunde, und für den Zweck trage ich mir nach und nach das Beste, was die neuere Litteratur hat, in meinem Lesewinkel zusammen.“

Dabei räumte sie das Buch und die Flickwäsche in den Nähkorb und legte eine Serviette auf den Tisch; dann brachte sie die Zuckerdose, ein altmodisches, lackirtes Blechkästchen mit festem Verschluß. Sie schloß es auf und machte ein ärgerliches Gesicht. „Nun ja, da hat man’s! Ein Wunder ist’s freilich nicht bei dem D’runter und D’rüber! – Wirthschaftszucker in der guten Dose! Das ist mir auch noch nicht passirt! Aber Lothar hat mir auch einen Streich gespielt, einen Streich –! Da schreibt mir der Mann als Antwort auf meinen Brief, worin ich ihm den Ankauf Eures Silbers anzeige, er käme nun auch selber zurück. Ich denke mir, frühestens im Juli, und lasse mir Zeit, und da schneit er mir vorgestern mit Sack und Pack direkt in unsere große Wäsche hinein! Es war schrecklich! Ich hatte meine ganze Fassung nöthig; denn die Mamsell verlor vollständig den Kopf und machte eine Dummheit über die andere.“

Sie brannte den Spiritus unter der hereingebrachten Kaffeemaschine an und zerschnitt ein Stück Kuchen in kleine Streifen; Claudine mußte dabei denken, wie vortheilhaft sich doch diese hohe, kräftige Gestalt in der weiten, weißen Schürze und dem sauberen Leinenstreifen um Hals und Handgelenk in ihrer Rolle als Hausfrau präsentirte. Ihre Sicherheit war geradezu imponirend und himmelweit verschieden von dem linkischen, verletzenden Thun und Wesen, das sich neulich auf dem Altensteiner Geroldshofe so unliebsam geltend gemacht hatte an „dem barbarischen Frauenzimmer“.

„Lothar allein hätte uns nicht in Verlegenheit gebracht,“ fuhr sie fort, nachdem sie auch ein Körbchen voll Früherdbeeren aus dem Wandschrank genommen hatte, „wenn er auch sehr verwöhnt ist; aber dieser Menschentroß, den er mit sich schleppen muß –! Da ist die Frau von Berg, ihre Jungfer, eine Kinderfrau und verschiedenes männliches Dienstpersonal – sie Alle wollten untergebracht sein. Und das Kind, das Kind! Solch ein armseliges Würmchen hat auch noch nie die Neuhäuser Wände angeschrieen – nein, noch nie! – Himmel, das sollte der selige Ulrich Gerold, mein strammer Großpapa, sehen! Der würde Augen machen! ‚Piepsige Brut‘ war ihm solch’ kleines Volk ohne Blut und Knochen. Das Kind tritt ja absolut nicht auf seine dünnen Beinchen und ist doch nahezu zwei Jahre alt. Bäder von wildem Thymian und unverfälschte Milch würden dem armen Wurm gut thun; aber an das komplicirte Ernährungsprogramm der Frau von Berg darf ja Unsereins nicht rühren – sie ist unfehlbar wie der Papst. Lothar’s Schwiegermutter, die alte Prinzessin Thekla, hat sie als Pflegerin für das Enkelchen engagirt und thut förmlich verliebt in die dicke, verdrehte Person, die mir so unsympathisch wie möglich ist.“

Sie zuckte die Achseln, goß den fertigen Kaffee in die Tassen und setzte sich an den Tisch. Und nun konnte Claudine ihren Vortrag beginnen.

Beate verrührte den Zucker in ihrer Tasse und hörte schweigend zu; bei der Pointe aber, dem Fund, sah sie empor und lachte überrascht auf. „Was – Wachs? Und ich sah schon im Geiste, wie Dein alter Heinemann eine ganze Truhe voll Monstranzen und Gott weiß was für andere Kostbarkeiten ausräumte! – Wachs! Sieh, sieh, Ben Akiba hat doch nicht Recht – das ist neu! – Und diese Klosterfrauen! Nach den Lyrikern sind sie meistens weiße Rosen, die blaß und verhärmt durch das Fenstergitter in das verpönte schöne Weltleben hinausschmachten.“ Sie lachte. „Dazu haben die Walpurgisnonnen sicher keine Zeit gefunden – das müssen ja die reinen Wirthschafts- und Sparteufelchen gewesen sein! … Nach unserem alten Hausbuch sind ja auch zwei Gerold’s unter den verjagten Nonnen gewesen. Wer weiß, ob nicht gerade sie mit Schurzfell und Mauerkelle in den Keller hinuntergestiegen sind, um den Rebellen die Beute

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_040.jpg&oldid=- (Version vom 10.7.2016)