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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Wie?“

„Ich will nach Rom.“

„Nach Rom!“

Alle Vier riefen es. Die beiden Alten erschraken; Acca that einen leisen Schrei; denn Tullus’ schwermütiges Gesicht erhellte sich und er hatte den Ausruf mit ersticktem Jubel gethan.

Atinas runzelte die Stirn.

„Nun ja, ich will nach Rom. Was ist da weiter? Ich muß selbst sehen, selbst hören – das von den Nazarenern. Es läßt mir keine Ruhe; ich halte es hier nicht länger aus. Genug, ich gehe morgen fort. Bis zum Frühling bin ich wieder zurück. – Was willst Du, Tullus?“

Atinas wußte sehr wohl, was der Jüngling wollte. Bevor dieser indessen seine Bitte stammeln konnte, vernichtete er ihm jede Hoffnung auf Erfüllung derselben.

„Du bleibst hier,“ gebot Atinas. „Was wolltest Du in Rom? Das ist Nichts für einen Knaben wie Du. Das ist eine Stadt, die den Menschen vergiftet und verdirbt an Leib und Seele. Still! Bitte mich nicht! Genug, Du bleibst bei Daunus und Larina und – und bei Acca.“

Atinas sah sie an. Sie stand da, immer noch zitternd von dem gewaltigen Schrecken, aber mit einem Antlitz, das von der holdesten Freude verklärt ward: Tullus mußte dableiben, bei ihr! Atinas nickte ihr zu und lächelte; bei den ewigen Göttern: der finstere Atinas lächelte! Da erglühte Acca über und über.

Am nächsten Morgen vor Aufgang der Sonne war der Nachen zur Abfahrt gerüstet. In tiefer Bewegung schloß Atinas seinen Sohn in die Arme, den Jüngling mit feierlichem Segen unter den Schutz der Ewigen stellend, denen er vorher zum letzten Male am Altare geopfert hatte. Noch lange sahen die Zurückbleibenden die hohe Gestalt im Nachen aufrecht stehen und ihnen zuwinken. Dann tauchte das Fahrzeug in den Glanz des jungen Tages, in dessen Strahlen es ihren Blicken entschwand.

Tullus war zu Muthe, als konnte keine Woge ihm den Vater zurückbringen.




Keine Kunde drang von Atinas nach dem Eilande hin. Aber obgleich der opfernde Priester fehlte, wurde nach gewohnter Weise jeden Morgen und jeden Abend am Altar den Himmlischen gespendet.

„Euch, Ihr ewigen Götter!“

Es war Tullus, der, während Daunus das Opfer darbrachte, diese feierlichen Worte sprach.

Auf der Insel befand sich eine Bildsäule des Jupiter. Die herrliche Marmorgestalt, von einem griechischen Künstler gebildet, stand unweit des Altars, an einem Ort, wo das ganze Jahr über Rosen in solcher Fülle blühten, daß es aussah, als lägen zwischen den dunklen Cypressen scharlachrote Teppiche gebreitet und rosige Schleier gehäuft. Die schönste Ranke, daran vor Blüthen keine Blätter zu sehen waren, hatte sich um den Sockel der Bildsäule geschlungen und höher um den in unsterblicher Schönheit strahlenden Leib, bis zum Haupte des Donnerers empor, im einen Kranz von Rosen auf die Stirn drückend.

Der heimliche Winkel war von Kinderzeiten an der Lieblingsaufenthalt des jungen Paares gewesen; zu Füßen des Gottes hatten die Beiden ihre ersten Spiele gespielt und es war dabei das schöne Marmorbild, das mit göttlichem Lächeln auf die Kleinen niederblickte, der Dritte im Bunde gewesen. In späteren Zeiten hatte Tullus manchen halben Tag vor der Jupiterstatue verträumt, glühende Sehnsucht nach einem zukünftigen Leben voll großer Thaten in der Seele. Jetzt nun, nach der Abreise des Atinas, brachte er von Neuem die Stunden unter dem Bildwerk zu; während er in den Anblick des hellenischen Gottes versunken war, kam dem Jüngling die Absicht jener Nazarener, so viel Majestät und Größe zu leugnen, mehr und mehr als ein Frevel vor, für den alle Qualen des Todes nicht Strafe genug waren. Pochenden Herzens gedachte er in solchen Stunden seines herrlichen Vaters, der sich in Rom sicher an der Verfolgung der Nazarener betheiligte, für die alten, die unsterblichen und ewigen Götter Großes vollbringend. Mit Thränen heißen Schmerzes in den Augen fühlte er seine Nichtigkeit und daß er hatte zurückbleiben müssen, anstatt an seines Vaters Seite dessen glorreiche Thaten zu theilen. Als der Jüngling das hehre Bild des höchsten Gottes anschaute, stieg in seiner Seele eine andere Gestalt auf, die eines Menschen, dessen gemarterter Leib an einem Kreuze hing. Jesus von Nazareth, der neue Gott. Ein gekreuzigter Mensch ein Gott – ein Todter ein Unsterblicher!

Tullus haßte und verabscheute den Leichnam, der ewig sein sollte.

Wieder einmal war Daunus nach Antium hinübergeschifft. Tullus hatte ihn durchaus begleiten wollen, hatte beinahe mit Gewalt verhindert werden müssen; denn Daunus hatte dem Atinas gelobt, seinen Sohn der Küste fern zu halten. Die Nachrichten, welche er über die Nazarener zurückbrachte, waren nicht darnach angethan, die Gemüther zu beruhigen: laut und lauter erhoben die Jünger des neuen Gottes ihre Stimmen; offen schmähten sie die Ewigen als ungöttlich und gar nicht seiend; triumphirend erlitten sie Verfolgung, Marter und Tod. Ihre Zahl wuchs und wuchs.

Dann war lange Zeit der Verkehr mit dem Festlande unterbrochen. Winterstürme umbrausten die Insel. Endlich kam der Frühling: es war, als ob die Schwingen einer Gottheit im Vorüberrauschen den Felsen im Meere berührt hätten. Unter den Cypressen erblühte über Nacht ein Teppich von weißen und gelben Crocus; in den Gebüschen dufteten die Veilchen; die öden Klippen bedeckten sich mit Anemonen und Tazetten, und neben den Myrthensträuchern öffneten die Blumen des schönen Narcissus ihre duftenden Kelche.

In Schwärmen kamen Amseln und Nachtigallen und erfüllten den Hain mit Gesang. Es war ein Getön, als hätten die Zweige Stimmen und Wohllaut empfangen. Gleich Strahlen durchschossen die Blaudrosseln die sonnigen Lüfte; in den von Schmetterlingen umschwärmten Blumendickichten nisteten zahllose Ringeltauben und um die Wipfel der Cypressen schwirrten die Turteltauben.

Halbe Tage lang lag Tullus am Strande, hörte die Wogen rauschen, sah die Wolken über sich ziehen und starrte in die glanzvolle Meeresweite hinaus, hinüber zu dem langen leuchtenden Streifen der lateinischen Küste. Es war in diesen Tagen, daß der Jüngling sich wie sterbend fühlte vor Sehnsucht.

Acca saß am mütterlichen Webstuhl, das Schifflein weniger eifrig als sonst durch die Fäden werfend. Sorgend gedachte sie des dunklen Wesens ihres lieben Freundes und fühlte sich so kummerbelastet, daß ihr häufig beide Arme wie in tiefer Ermattung am Leibe herabsanken. Die Sonne ging unter in den purpurnen Fluthen, und die Glorie des Abendrothes verklärte den Webstuhl, die junge Gestalt des einsam in Trauer dasitzenden reizenden Kindes.

Was war’s nur mit ihm?

Er wollte fort!

Und fort mußte er, sonst verkam er. Sie kannte ihn! Lange ertrug er’s nicht mehr, dann ging er fort: in aller Heimlichkeit, ohne ihr Lebewohl zu sagen. Er folgte seinem Vater; er ging nach Rom, in die ungeheure Stadt, wo Gefahren ihm drohten, wo Niemand bei ihm war, ihn vor dem Verderben zu schützen.

Denn sie kannte ihn!

Was wollte er in Rom?

Seinem Vater helfen, die Nazarener zu verfolgen. Er haßte sie.

Acca verstand nicht, wie der Mensch hassen konnte.

Leise trat Tullus in die Kammer und sah zu der verklärten lieben Gestalt hinüber, lange und unverwandt. Aufschauend begegneten sich ihre Blicke. Da wußte sie es; sie wußte es gleich.

Er ging fort, diese Nacht noch – ohne von ihr Abschied zu nehmen.

Sie erhob sich, ging langsam auf ihn zu, stand und sah ihm tief in die Augen.

„Ich gehe mit Dir.“

Tullus erbebte.

„Ich gehe nicht fort.“

„Du gehst nach Antium und weiter: bis nach Rom – diese Nacht noch.“

„Acca!“

„Es wird meine Eltern sehr bekümmern, aber ich kann ihnen nicht helfen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_031.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)