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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)


Zwei Wochen waren seitdem verstrichen, Tage voll Mühe und Arbeit, aber auch voll befriedigenden Lohnes. – Ja, es ging, wenn auch da und dort ein Brandfleck die neuangeschafften Kochschürzen verunzierte, einige Geschirrscherben den Spruch vom Lehrgeld bewahrheiteten und die weichen Hände der neugebackenen Köchin immer noch recht empfindlich waren gegen rauhe Berührung. Fräulein Lindenmeyer’s gutmüthig angebotene Hilfe hatte Claudine schon am ersten Tage entschieden abgelehnt. Das schmächtige, kränkliche Geschöpfchen stand auf sehr schwachen Füßen und bedurfte oft selbst der Pflege. Dafür aber war Heinemann eine tüchtige Stütze, er ließ es sich durchaus nicht nehmen, alle gröberen Arbeiten zu besorgen.

So war allmählich die neue Haushaltung ins Geleise gekommen, und heute zum ersten Mal fand Claudine einen freien Augenblick, um auf die Zinne des Thurmes hinaufzusteigen. Die Morgensonne lag auf dem Scheitel des alten Burschen, dessen eherne Zungen, die mächtig über den Wald hintönenden Glocken, einst von gewaltthätigen Bauernfäusten zerberstend in die Tiefe hinabgeschleudert worden waren. Heute hatte er sich mit gelben Mauerblümchen besteckt, die aus allen Ritzen und Fugen dem Tageslicht zustrebten und so altersmürrisch er auch sonst aussah, er beherbergte doch noch gern und willig junges, aufwachsendes Leben – das Vogelvolk brütete unter seinen Simsen und Mauervorsprüngen und fand des Piepsens und Zwitscherns kein Ende. Und vom Garten herauf und von den harztriefenden Fichten her, die ihre schaukelnden dunklen Bärte wie Trauerfahnen in die Ruinen des Kirchenschiffes hineinhängen ließen, kam ein traumhaftes Summen – schier unersättlich umtaumelten Heinemann’s Bienen und das wilde Hummelgesindel des Waldes den süßen Saft, den Prinz Mai aus Blüthenbechern schänkt.

Ueber ihr stand der blaue Aether, den nur dann und wann noch ein kühner Vogelflügel durchschnitt, wie zu Krystall erstarrt, hoch wie der Gottesgedanke über menschlichem Dichten und Trachten, unnahbar hoch über der Erde mit ihrem blühenden Werden und modernden Welken – dort drüben aber, am fernen Horizonte, troff sein Blau doch wieder auf den welligen Bergrücken und schmolz mit ihm zusammen … Dort weitete sich das Paulinenthal zur ebenen Fläche, die erst in weiter Ferne wieder jener blaubehauchte Höhenzug abschloß. Auf dem flachen Lande lag es wie feine, durchgoldete Nebelschleier. Sie deckten das Herzogsschloß; Nichts war zu sehen von seinem stolzen hochgelegenen Bau, seinen purpurbeflaggten Thürmen und marmornen Freitreppen, zu deren Füßen die Schwäne segelten und silberglitzernde Furchen durch den Teichspiegel zogen, Nichts von dem Magnolien- und Orangendickicht der überglasten Zaubergärten, die mit ihrem düfteschweren Odem das Blut in den Schläfen pochen machten und das Herz angstvoll beklemmten, Nichts von den thürhohen, spiegelnden Fenstern, hinter denen eine junge Frau, ein Königskind, schlank und schneebleich, hüstelnd auf- und abschwankte und nach einem Blick aus den dunkelschönen Augen strebte, die mit heißem Flehen – eine Andere suchten. …

Claudine trat hastig von der Brustwehr zurück, sie war erblaßt bis in die Lippen. War sie deßhalb heraufgestiegen in den kühlen blauen Himmel, um sich von dem schwülen, ängstlich geflohenen Odem dort drüben her anwehen zu lassen? Ja, wie dort am Horizonte machten sich auch Himmel und Erde in der Menschenbrust! – –

Sie wandte den Blick weg von jener sonnenbeschienenen Weite und ließ ihn nordwärts in die Runde schweifen. – Wald, nichts als grüner Wald, wohin sie sah! Nur dort, wo der breite Fahrweg die Wipfel aus einander drängte, lag in äußerster Perspektive wie ein kleines Bild das Neuhäuser Gutshaus; seine fensterreiche Façade trat hell aus dem dämmernden Lindenkreise. Dort wehte eine rauhe, strenge, aber reine Luft unter Beatens Regiment. … Seit lange herrschte Spannung zwischen den beiden Geroldshöfen. Der Neuhäuser hatte öffentlich scharf über die „gottheillose“ Spielwuth des Obersten geurtheilt, und damit war das Tischtuch zwischen den beiden Familien, die verschiedenemal wieder in einander hineingeheiratet hatten, zerschnitten gewesen. Nicht die geringste Beziehung hatte mehr zwischen ihnen bestanden; Lothar und Joachim, die beiden gleichaltrigen Söhne der entzweiten Familien, waren sich geflissentlich aus dem Wege gegangen, und nur Claudine und Beate, die Zöglinge ein und desselben Institutes, waren sich näher getreten.

Da war es nun allerdings nicht aufgefallen, als sich plötzlich bei Hofe zwei Gerold’s gegenüber standen, die sich gegenseitig fremd und kühl gemustert hatten, Lothar, der elegante, schneidige Officier, und Claudine, die neue Hofdame … Uebermüthig, im stolzen Bewußtsein seines errungenen hohen Zieles, eine glänzende Erscheinung, umschmeichelt und verwöhnt von der gesammten Hofgesellschaft, hatte er ihr sehr imponirt und sie eingeschüchtert. Es war kurz vor seiner Vermählung mit der Prinzessin Katharina, der Kousine des regierenden Herzogs, gewesen. Sie hatte es ihm nicht verargt, daß er auf seiner schwindelnden Höhe über die Tochter der verarmten Hauptlinie seines Geschlechts achtlos hinweggesehen. Diese Linie hatte ja den Glanz des Namens nahezu erlöschen gemacht, während er jetzt den ihm vom Herzog verliehenen Barontitel hinzufügen durfte. Ihr Erscheinen hatte somit gleichsam einen Schatten auf den Weg dieses glänzenden Hofgestirnes geworfen, und dieser Gedanke hatte für sie genügt, mit mimosenhafter Scheu jegliche Berührung mit dem Hochgestiegenen zu vermeiden …

Wie unglaublich schlicht und einfach erschien ihr in diesem Augenblick sein Geburtshaus da drüben neben dem Glanz des Ereignisses, welches der Höhepunkt seines beispiellosen Siegeslaufes gewesen war, neben seiner Vermählungsfeier. Sie sah ihn noch vor sich, wie er zur Seite der Prinzessin, umleuchtet von dem ganzen Glanz des Hofgepränges, an den Altarstufen gestanden. Das schmale Figürchen der Braut, in Spitzen und Atlasbauschen völlig versinkend, hatte sich an seine hohe Gestalt so fest angeschmiegt, als könne er ihr, dessen Besitz sie sich energisch erkämpft, auch hier noch entrissen werden, und mit ihren funkelnden, schwarzen Beerenaugen hatte sie unverwandt, in leidenschaftlicher Zärtlichkeit zu ihm aufgesehen. Und Er? Er war todtenblaß gewesen, und sein bindendes „Ja“ hatte rauh, fast heftig geklungen … Hatte ihn ein Schwindel auf dem Gipfel seines Glücks ergriffen, oder war ihm plötzlich ein Ahnen gekommen, daß er dieses Glück nicht lange besitzen werde, daß sich die liebestrahlenden, schwarzen Augen schon nach einem Jahre für immer schließen würden unter den Pinien und Palmen der Riviera, wohin der Reisewagen die Neuvermählten sofort nach der Trauung entführen sollte? … Ja, dort in ihrer prächtigen Villa war die Prinzessin gestorben, nachdem sie einem Töchterchen das Leben gegeben, und dort lebte der verlassene Mann noch, um das sehr schwächliche Kind in dem milden Klima zu belassen, bis es erstarkt sein würde, wie man sagte; wohl aber auch, weil es ihm schwer werden mochte, den Schauplatz seines kurzen Glückes zu verlassen. In der Heimath war er nicht wieder gewesen, und das stille, einsame Haus dort drüben mochte er schwerlich wieder bewohnen, wenn er auch wieder zurückkam – und das war nur gut und wünschenswerth für die Einsiedler im Eulenhaus und für den süßwohlthuenden Frieden der kleinen Waldoase! –

(Fortsetzung folgt.)




Orientalische Sprüche.


Hast Du ein Wort ausgesprochen, so beherrscht es Dich, vorher beherrschest Du das Wort.
Arabisch.
Der Narr kennt keinen Ernst, ihm ist Alles nur Spiel.
Hebräisch (Talmud).
Eines Thoren Freundschaft ist wie die Umarmung eines Bären.
Persisch.
Wer selbst keinen Verstand hat, was hilft dem die Lehre? Wer keine Augen hat, was hilft dem ein Spiegel?
Arabisch.
Wer immer ausgiebt, ohne zu rechnen was, kommt zuletzt an den Bettelstab, ohne zu wissen wie.
Arabisch.
Weise fallen in Unwissenheit, wenn sie mit Unwissenden streiten.
Türkisch.
Lebe auf der Welt, aber mit Hoffnungen verzehre Dein Herz nicht.
Tatarisch-Türkisch.
Fünf Jahre soll man den Sohn als Herrn, zehn Jahre als Knecht, vom sechzehnten Jahre an als Freund behandeln.
Indisch.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_024.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)