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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

befanden: eine mühselige Wanderung beim Scheine einer Fackel durch die Nacht des engen Felsenganges. Als das Grab seine ewige Bewohnerin aufgenommen hatte, meinte Daunus:

„Nun ist unser Tagewerk hier bald gethan. Wenn unsere Kinder groß geworden sind, schiffen wir uns Alle ein, fahren nach Antium hinüber und wandern mit einander nach Rom. Dort soll es uns gut gehen! Die Todten hier werden wohl von den Wellen bewacht werden und auf Deinem Altare, mein guter Atinas, mögen die Cypressen und Rosen den Göttern opfern.“

Atinas erwiederte Nichts. Er gedachte seiner Todten und daß sein Weib ihren Knaben nicht sehen sollte, wenn er groß geworden war und mit der jungen Acca nach Rom zog.

Anderen Tages wurde der Eingang zur Grotte, darin sich nur noch Platz für einen Todten befand, vermauert, und Larina flocht aus Cypressenzweigen und bunten Bändern eine Tänie[1], die Atinas trauernd über die Grabthür hängte.

Einträchtig lebten die Inselleute weiter. Atinas, dessen von Natur finsteres Gemüth sich mehr und mehr verdüsterte, wohnte auf der einen Seite der Insel, wo neben dem eingestürzten Kraterrand der Fels als mächtige und unzugängliche Wand ins Meer abfiel, seinen treuen Gefährten in der Einsamkeit gerade gegenüber. Zwischen beiden Behausungen lag der Cypressenhain mit der Blumenwildniß und dem Altar in seiner Mitte. Beide Hütten waren ehemalige Grabkammern, in welche man nach dem Meere zu Fenster eingebrochen hatte. Aber weder bei Atinas noch bei Daunus war es den Räumen anzumerken, daß sie während vieler Jahrhunderte von Todten bewohnt gewesen. Die Wände waren mit hellem Stuck überzogen, darauf heitere Gemälde: Landschaften, Genien und anmuthige Menschengestalten, Bilder des Lebens, der Schönheit und der Freude erglänzten; ein bunter Fries, an dem Gewinde von Blumen und Früchten niederhingen, umrandete die mit lichten Stuckaturen geschmückte Decke. Der Fußboden trug eine schöne Mosaik und wurde an festlichen Tagen mit wohlriechenden Kräutern bestreut.

Die Geräthe beider Wohnungen waren überaus schlicht und ihrer nur sehr wenige; sie genügten indessen den Bedürfnissen der Bewohner. In der einen Kammer stand neben dem Ehebette der Webstuhl; in einem andern Gelasse befand sich der Stein, darauf das Brot gebacken und die Fische gebraten wurden, befanden sich auch die verschiedenen Amphoren, Gefäße von nicht allzu mäßigem Umfange, und der Platz, um den Mischkrug zu bewahren.

In dem kleinen Nachen, für den die sorgende Natur an dem sanften Gestade der einen Inselseite einen winzigen Hafen geschaffen, trat der biedere Daunus einmal in jedem Monat die Meerfahrt nach Antium an. In dieser herrlichen Stadt, in deren Mauern der Kaiser geboren worden, beschaffte er für sich und seinen priesterlichen Freund Alles, dessen das Haus und der Grabkultus bedurfte: Mehl und Salz, Oel, Wein und Flachs, buntes Bandwerk, um Tänien zu flechten, und allerlei Spezereien für den heiligen Opferdienst.

Nach glücklich abgeschlossenem Handel und nachdem er sich beim Oberpriester des Apollotempels gemeldet, unter welchem hohen Heiligthum die Gräberinsel stand, schiffte Daunus so eilig wie möglich wieder zurück. Die reiche, lärmende Hafenstadt mit ihrer Menge von prangenden Tempeln, Basiliken und Hallen war für sein ehrliches, weltfremdes und weltscheues Gemüth voller Schrecknisse, Gefahren und Nöthe, denen er sich erst dann glücklich entronnen fühlte, wenn er sich weit entfernt von dem sirenischen Gestade auf offenem Meere befand. Segelte er seiner lieben Gräberinsel zu, so war ihm, als ob die Wellen ihn einem seligen Gestade entgegentrügen, und das Herz bebte ihm bei der Vorstellung, daß sie, sobald die Kinder groß geworden, ihr friedliches Eiland verlassen und nach Rom ziehen würden, um sich in dieser ungeheuren Stadt ihres Lebens zu erfreuen. Der gute Daunus zerbrach sich bereits jetzt den Kopf, wie sie es dereinst anfangen sollten, in dem Gedränge der Gassen nicht erstickt und zerdrückt zu werden. Wenn schon das kleine Antium als ein Rom erschien, wie mußte dann erst die Stadt des Kaisers sein!

Die glückliche Rückkehr des Daunus aus der weiten, weiten Welt war auf der Insel jedes Mal ein Ereigniß. Der Weitgereiste sollte erzählen. Larina erkundigte sich eifrigst nach allerlei Frauenangelegenheiten: ob die vornehmen Antiatinnen sich immer noch das Haar aufthürmten, des Nachts frisches Hühnerfleisch auf die Gesichter legten und Belladonna in die Augen gössen? Ob die Frau des Cäsars wirklich goldenes Haar hätte, ein Hemd aus Byssus[2] trüge, wie Spinnweb so fein, und eine Freigelassene wäre? Ob Daunus einen Gladiator gesehen und ob in Antium nicht bald wieder ein Fest gefeiert würde, bei dem wilde Thiere gefangene Uebelthäter zerrissen?

Der schweigsame Atinas fragte nur nach Einem: aber er fragte es jedes Mal:

„Sage, o Daunus: werden in Antium die Götter geehrt?“

Dann wurde Daunus redselig:

„Das will ich meinen! Welche Tempel, welche Bildnisse, welche Weihgeschenke! Es ist nicht zu glauben!“

„Und in Rom? Hörtest Du in Antium sagen, daß auch in Rom den Unsterblichen eifrig gedient würde?“

„Je nun, in Rom – freilich, auch in Rom; ganz sicher auch in Rom! Es soll nicht zu glauben sein!“

„Aber der Kaiser?“

„Nun, das ist Einer! Der versteht’s! Das ist ein Anderer als der Caligula. Und wie er die Götter ehrt! Er soll sogar daran denken, selber einer zu werden, ein ganz anderer, als der Caligula war: ein wirklicher Gott. Gar nicht zu glauben ist’s! – Sagtest Du Etwas?“

Doch Atinas hatte Nichts gesagt; nur tief aufgeseufzt hatte der Priester.




Unter Todten, die in ihrem ewigen Frieden selig waren, und unter Blumen, welche das ganze Jahr hindurch blühten, wuchs das Kinderpaar auf; an Lebensfülle, Heiterkeit und Schönheit jungen Göttern gleich. Die kleine Acca mit ihren zarten Gliedern, dem schlanken Hals und blassen Gesichtchen glich einem Marmorbilde der Psyche, welches in einem laurentinischen Heiligthum verehrt wurde. Sie hatte lichtes, welliges Haar und in ihrem lieblichen Antlitz erstrahlten die Augen in dem tiefen Blau der von Sonne durchleuchteten Meereswogen. Wenn sie lächelte, was sie that, so oft sie ihres Spielgefährten ansichtig ward, erschien sie so reizend, daß selbst Atinas glaubte, es könnte auf der Welt nichts Holdseligeres geben. Ihre Stimme war voll Wohllauts, und sie hatte eine eigentümlich anmuthige Art zu gehen und sich zu bewegen. Im Spiel mit dem Knaben huschte und schlüpfte sie wie eine Eidechse durch die Büsche; dann hörte man durch die Zweige ihr Lachen, lieblich wie Sirenengesang.

Sie war heiteren Gemüthes, von einem stillen Frohsinn, gleichmäßig sonnig, einem schönen Frühlingsmorgen ähnlich. Wenn sie in die Kammer ihrer Eltern oder in die Wohnung des Atinas trat, so schien der trübste Tag plötzlich weniger trübe, ein sonniger noch strahlender zu werden. Frühzeitig lernte sie, ihrer Mutter Larina beim Flechten der Tänien behilflich zu sein, welche das Weib des Grabhüters an bestimmten Tagen vor den Grabkammern aufzuhängen hatte; sie goß für Vater Atinas den Wein in die Opferschale, häufte die Spezereien auf dem Altar, den sie jeden Tag mit frischen Blüthen kränzte, und schaffte bereits als halbwüchsiges Mädchen eifrig mit der Spindel und am Webstuhl. Da nun seit dem Tode der armen Trivia in des Atinas Kammer der Webstuhl verlassen stand, so war Nichts natürlicher, als daß der leere Platz von Acca eingenommen wurde, welche auch sonst im Hause des Priesters geschäftig als kleine Domina waltete.

Auch der junge Tullus war von besonderer Art, ein prächtiger Bursche, um dessen braunes Antlitz düstere Locken sich ringelten, mit schwarzen, blitzenden Augen, die bald in überquellender Lebenslust und Jugendfreude aufleuchteten, bald voll unsäglicher Schwermuth still vor sich hinblickten. In solchen Stunden schien des Knaben Seele eine Flamme zu sein und er sich bei diesem innern Feuer zu verzehren.

Schneller als Tullus selbst empfand Acca die Wandlung, die so häufig mit ihrem Freunde vorging. War sie bei ihm, so wich sie nicht von seiner Seite. Nie war ihr Lächeln so lieblich, ihr Antlitz so sonnig, ihre Stimme so voll süßen Wohlklangs, als wenn Tullus’ Geist von der dunkeln Wolke beschattet ward, von der auch das Mädchen nicht wußte, woher sie kam und was sie barg. Sie steckte dann voller unschuldiger List und Künste, denen nicht zu widerstehen war. Tausend Einfälle flogen ihr zu, immerfort neue, mit denen sie den Freund fortzulocken wußte; allerlei

  1. Binden, die man Todten weihte.
  2. Batist
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_014.jpg&oldid=- (Version vom 8.8.2020)