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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)


gründliche Erdbebenforscher Perrey aussprach, auf der früher allgemein üblichen Ueberzeugung vom glühend flüssigen Meere unter unseren Füßen beruht. Dabei soll und darf niemals geleugnet werden, daß der Mond einen gewissen „auslösenden“ Einfluß auf die Erdbeben- und Vulkanerscheinungen ausübt. Er ist aber zweifellos nicht die Ursache derselben, sondern spielt höchstens in vereinzelten Fällen die Rolle des Zündholzes, welches man in ein Pulverfaß wirft.

Wir haben ja oben gesehen, wie die Verminderung des Druckes auf die tiefliegenden Schichten den Ausbruch von Vulkanen hervorbringt. Die Anziehung des Mondes vermindert nun in der That diesen Druck unter Umständen, doch nur in so sehr geringer Weise, daß sie eben höchstens bei schon vorhandener außerordentlich großer Spannung den letzten Ausschlag zur Katastrophe giebt. In einem Falle wissen wir es sogar ganz unzweifelhaft, daß allerdings selbst eine sehr geringe Druckverminderung die Vulkanerscheinungen begünstigt. Dieser Fall betrifft den kleinen, beständig und wie ein Uhrwerk regelmäßig thätigen Vulkan Stromboli, der nördlich von Sicilien aus dem Mittelländischen Meere hervorragt. Derselbe stößt notorisch bei niederem Luftdrucke mehr Rauch aus und ist lebhafter thätig als bei hohem, und die Schiffer benutzen ihn deßhalb, wie es scheint, schon seit dem grauen Alterthume als zuverlässigen Wetterpropheten.[1]




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Die Todteninsel.
Von Richard Voß.


Es war in Roms goldener Zeit. Die Kaiserstadt am Tiber war in Flammen aufgegangen und soeben aus der Asche neu erstanden. Was der menschliche Geist an Herrlichkeit, an Ueppigkeit und Vergeudung, an ungeheuerlichster Verworfenheit und schändlichem Laster hervorbringen konnte, ward ausgesprochen, wenn man Rom nannte. Mit dem Wahnwitze Nero’s war die schreckliche und scheußliche Kaiserkrankheit bereits typisch geworden: es gab Nichts, was in der Welt, die jener Grimasse eines großen Herrschers unterthan war, unmöglich gewesen wäre.

Noch lebten die Götter Griechenlands. In Rom befand sich eine Stadt von Tempeln, welche ein Volk von göttlichen Bildnissen aus Marmor, aus Gold und Elfenbein bewohnte. Ueberall standen die Altäre der Olympier. Aber bereits schwebte über der Glorie dieser Götterwelt der Schatten des Kreuzes, unter dessen triumphirendem Zeichen der Glanz der goldenen Roma erblassen, die Tempel zerbrechen, die Altäre stürzen, die Götter vergehen sollten; bereits stieg von Golgatha der Dunst vergossenen göttlichen Blutes auf, den alle Wohlgerüche Arabiens nicht zu überduften vermochten, und das bacchantische Evoë des Heidenthums durchzitterte der letzte Seufzer des sterbenden Gottessohnes: in der von Lust und Genuß übersättigten Menschheit erwachte die Sehnsucht nach einem erlösenden Tode.

Rom war das Meer brausender Lebensfreuden, schäumender Daseinswonnen und schimmernder Herrlichkeiten, von dem nach allen Himmelsgegenden Ströme ausgingen, die Welt mit Wogen römischen Glanzes und römischer Verderbniß überfluthend. Einer dieser zahllosen Kanäle, welche römische Kultur, Sitte und Fäulniß über die Erde verbreiteten, lief durch Latinum dem Meere zu, die ganze Küste von Centumcellae bis zu dem wollüstigen Bajä mit einem strahlenden Bande von ländlichen Lusthäusern und Prachtbauten säumend, daß der Strand weit hinausleuchtete in die blauenden Fernen des herrlichen, von Göttern und Menschen geliebten tyrrhenischen Meeres.

Und die römische Herrlichkeit schimmerte gleich einem Nebelstreif zu einem winzigen Klippeneilande hinüber, welches weltfern in der erhabenen Einsamkeit der Meeresfluthen ruhte.

Die Insel war der Gipfel eines todten Vulkans, fast bis zur Spitze lag der gewaltige Berg in den Wellen versenkt. Nach dem Festlande zu hatte die Gewalt des unterirdischen Elementes den Kraterrand gesprengt, aus einander gerissen und theils in die Tiefe des Kraters selbst, theils in den Abgrund der Wellen geschleudert. Als ein Halbkreis von mächtigen Wänden, an denen kein Pflänzlein Wurzel zu fassen vermochte, entstieg der braune Tufffels dem Meere; gleich dem Thron des Neptun erhob sich der geborstene Gipfel über der leuchtenden Wogendecke. Möven umkreisten die Klippen, der Seeadler ruhte darauf, die Wellen schlugen beim Sturme schäumend und donnernd daran; aber keines Menschen Fuß berührte das öde Gestein. In langer Kette zogen die Jahrhunderte an dem einsamen Felsen vorüber, langsam die Wandlung vollziehend.

Der vulkanische Stein verwitterte, und wo der Krater in sich zusammengestürzt war, deckte eine dichte Erdschicht die Trümmer. Winde und Vögel trugen geschäftig aus beiden Welttheilen Samen von Bäumen und Blumen nach dem Eiland hinüber. Im Halbkreis der Felsenmauern blühte es auf; ein tiefschattiger Hain entstand, ein paradiesisches Gefilde, die köstlichste Wildniß von Blumen und Blüthen, in denen Scharen buntgefiederter Vögel nisteten, ringsum die Luft mit Gesang erfüllend, so daß Vogellied das Rauschen der Meeresfluth übertönte.

Dann entdeckte der Mensch das glückselige Eiland. Von der Küste her kamen die Römer, und da die winzige Klippe zu wenig Raum bot, als daß ein Volk von Lebendigen darauf hätte Fuß fassen können, wurde die Insel zu einer Wohnstätte der Todten bestimmt. Man sprengte Galerien in das Gestein, wölbte Grotten und Grabkammern, rodete den Hain aus, die Platanen und Steineichen, die Palmen und Pinien, und pflanzte den Todten schwarze Cypressen, in deren Mitte sich leuchtend der Altar erhob, darauf den Unsterblichen das Opferfeuer angebrannt wurde. Was die tiefen Schatten der Bäume durchstrahlte, weit bis ins Meer hinaus, das waren die Rosen, deren Heimath der meerumbrandete Felsen zu sein schien: Rosen umblühten die Stufen des Altares, Rosen umrankten die Stämme der Cypressen, durchwanden die starren Zweige, kletterten hinauf in den Gipfel, stürzten sich von droben in schimmerndem Blüthenfall zur Erde nieder.

Und Rosen bedeckten ringsum die braunen Klippen! Gleich einem strahlenden Vorhang hing es von den jähen Wänden, in deren Tiefen die Todten schliefen, bis herab in die Fluthen. Die rosigen Blumenwellen trieben auf den Meereswogen.

Generationen von Menschengeschlechtern ruhten in den engen, dunklen Kammern vom Leben aus; ein ganzes Volk von Todten bewohnte das liebliche Eiland, schon war es mit Sarkophagen und modernden Leichnamen angefüllt, aber das Blühen der Rosen nahm kein Ende. Mancher, der aus der blauen Fluth das schimmernde Eiland auftauchen sah, rief, ernsten Auges hinüberspähend, mit gedämpfter Stimme aus:

„Seht dort – die Insel der Seligen!“

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Die Insel der Seligen, wie das Eiland von den Küstenbewohnern bald allgemein genannt wurde, ward zur neronischen Zeit außer von der Heerschar seliger Todten nur noch von einem Priester und einem Hüter der Gräber nebst ihren Familien bewohnt. Der Priester, welcher dem Dienste der Todtenopfer oblag, hieß Atinas und war ein überaus gottesfürchtiger, in seinem Glauben strenger und eifriger Mann. Sein Weib führte den göttlichen Namen Trivia. Leider starb die Frau in jungen Jahren, nachdem sie ihrem Gatten, der sie heiß liebte, einen Sohn geboren hatte. Die Götter mögen wissen, was aus dem kleinen Tullus geworden wäre, hätte das Weib des Grabhüters Daunus nicht mütterlich des Knäbleins sich angenommen. Zur selben Zeit, als Trivia einem Kinde das Leben gab und daran starb, ward auch die wackere Larina Mutter eines Mädchens, so daß sie die Quelle ihrer Brust zwischen dem mutterlosen Knaben und ihrem eigenen Kinde theilen konnte. Der arme Atinas hüllte sein todtes Weib in ein Linnen, opferte für ihren Schatten den finsteren Gottheiten und half Daunus den Leichnam in eine Grabkammer tragen. Da fast alle Höhlungen der Felsen ihre Sarkophage oder Aschenurnen bereits empfangen hatten, mußten die Männer mit der Gestorbenen bis in das höchste Stockwerk des großen Todtenhauses hinauf, woselbst sich noch einige leere Zellen

  1. In Anbetracht des Interesses, welches die Falb’sche Theorie in letzter Zeit erregt hat, werden wir auf den obigen trefflichen Artikel in einer der nächsten Nummern unseres Blattes einen Artikel „Ueber Erderschütterungen“ von Rudolf Falb folgen lassen. Die Redaktion.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_012.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)