Seite:Die Gartenlaube (1888) 002.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

dem, was brave Hausfrauen in den Wäschespinden und Bettkammern und ihre Eheherren an Haus-, Silber- und Jagdgeräth aufgesammelt hatten, das nicht in diesen Saal mußte, um sich vor fremden, kaltprüfenden Augen zu präsentiren und nachher auf weit aus einander laufenden Wegen zerstreut und aus aller Gemeinschaft gerissen in die Welt zu wandern.

Wie sie beleidigend durch die offenen Saalfenster herausklang, die wie mit dickem Möbel- und Bücherstaub belegte Gerichtsschreiberstimme bei ihrem eintönigen „Zum Ersten, zum Zweiten etc.“! Es war fast zum Verwundern, daß nicht einer der alten Gestrengen seinen jahrhundertelangen Schlaf abschüttelte, um bei dieser Stimme mit dem Nachdruck des „von Rechtswegen“ protestirend aus dem unterirdischen Steingewölbe der nahen Hauskapelle herauszufahren. Da drunten zerstäubte ja so manche Männerfaust, die einst kräftig dreingeschlagen, um das, was sie an Hab und Gut erworben, oder vielleicht auch nur usurpirt, mit Mord und Todtschlag zu behaupten. Aber der letzte Besitzer von Geroldshof, dem jetzt Alles, was nicht niet- und nagelfest war, so vor den Augen weggeschleppt wurde, hatte gesänftigtes Blut in den Adern. Er war ein edel schöner Mann mit verschleiert blickenden Augen, mit einer Stirn, die das Sinnen und Grübeln faltete und zugleich verklärte.

Er saß in seiner stillen, just in dem Winkel gelegenen Hinterstube, wo sich das Syringengebüsch hoch bis über das Fenster hinaufreckte. Die weißen und blauen Blüthentrauben klopften bei jedem Windhauch schaukelnd an die Scheiben, die, festgeschlossen, den Auktionsspektakel vom Speisesaal her ziemlich erfolgreich abwehrten und nur ganz vereinzelte, schwache Laute herüberklingen ließen.

Herr von Gerold schrieb an einem Tisch von Fichtenholz, den man ihm großmüthig aus der Konkursmasse überlassen. Für ihn war es offenbar nicht von Belang, daß sein Manuskript jetzt auf der weißgescheuerten Platte eines Gesindetisches lag; sein Geist, der Außenwelt abgewandt, vertiefte sich in Probleme, während die Hand kleine, weichverschwimmende Schriftzüge auf das Papier warf; und nur dann wurde sein Aufblick bewußter und so Etwas wie liebevolle Freude an einem plötzlich auftauchenden Kindergesicht glitt über seine Züge, wenn die Syringenblüthen draußen ihm zunickten.

Es war aber außer ihm noch Jemand im Zimmer, ein kleines, dickes blondhaariges Mädchen, das sich in eine der Fensterecken gedrückt hatte. Dem kleinen Ding lag Etwas genau so am Herzen, wie dem schreibenden Mann dort sein Manuskript – die Spielkameraden. Es hatte in dem Winkel Alles zusammengeschleppt, was ihm allein gehörte, ja, ganz allein! Das schönbemalte Porcellantafelgeschirr für eine Kindergesellschaft hatte die gute Hoheit geschickt, und alle Puppen, die Schleppkleiderdamen wie die Schreikinder, waren zu Geburtstag und Weihnachten in langen Kisten angekommen, und auf die Bretterdeckel hatte Tante Claudine allemal selbst geschrieben: „An die kleine Elisabeth von Gerold“ – der Papa hatte es ja stets dem Kinde vorgelesen.

Nun saß diese kleine Elisabeth inmitten ihrer Reichthümer, wie in einem Nest, das jüngste Wickelkind im Arm, und die großen Blauaugen scheu und ängstlich auf die Thür geheftet, wo vorhin die bösen Männer mit den letzten Bildern und der schönen „Ticktackuhr“ hinausgegangen waren.

Sie patschte leise beschwichtigend auf das Wickelkissen; sonst aber verhielt sie sich mäuschenstill; denn der Papa machte ja immer ein so erschrecktes Gesicht, wenn sie ihn im Schreiben störte. Und es kam auch jetzt kein Laut aus ihrem Munde, als plötzlich die gefürchtete Thür lautlos aufging; aber die Wickelpuppe glitt vom Schoße auf die Erde nieder, – die kleine dicke Person erhob sich von ihrem Korbstühlchen, wackelte, so schnell es die Beinchen vermochten, durch das Zimmer und hob mit glückstrahlendem Gesicht die Arme zu der Dame empor, die eingetreten war.

Ach, sie war gekommen, die Tante Claudine, die schöne Tante, die dem Kinde vieltausendmal lieber war als Fräulein Duval, die Gouvernante, die immer zu den anderen Leuten im Hause gesagt hatte: „Fi donc, was für ein pauvres Haus! Nichts für Claire Duval! – Ich gehe!“ Und sie war gegangen und war gar nicht mehr gut und höflich zu dem Papa gewesen, und das Kind hatte sich nachher die Wange rein gerieben von Fräulein Duval’s kaltem, häßlichem Kuß … Ja, das war nun freilich anders, als jetzt zwei weiche Hände es sanft emporhoben und ein süßer Mund es zärtlich küßte … Und dann glitt die junge Dame eben so geräuschlos, wie sie gekommen, über die Dielen – nur das dunkle Seidenkleid knisterte ein wenig – und legte die Hand auf die Schulter des schreibenden Mannes.

„Joachim!“ rief sie ihn mit sanfter Stimme an und bog sich vor, um in sein Gesicht zu sehen.

Er fuhr empor und stand sofort auf seinen Füßen.

„Ah, Claudine!“ rief er in sichtlichem Schrecken. „Schwesterchen, liebes Kind, hierher durftest Du nicht kommen! … Sieh, ich trag’s leicht, ich bin bereits darüber hinweg; aber Du wirst bittere Schmerzen leiden unter der Zerstörung, die Alles, was Du lieb hattest, nach allen Winden hin zerstreut! Armes, armes Kind! Wie mir die verweinten Augen da wehe thun!“

„Nur ein paar Thränchen, Joachim,“ sagte sie mit lächelnden Lippen, aber aus ihrer Stimme klang noch innerer Schmerz. „Daran ist nur der Rappe schuld, unser alter Briefträger, der uns jeden Morgen die Posttasche holte. Denke Dir, es erkannte mich sofort, das treue Thier, als es an mir vorübergeführt wurde –“

„Ja, Peter ist fort, Tante,“ sagte die kleine Elisabeth. „Er kommt nicht wieder, der gute Peter; und der Wagen ist auch fort, und der Papa muß nach Eulenhaus laufen.“

„Er muß nicht laufen, Herzchen; ich habe einen Wagen mitgebracht,“ tröstete Tante Claudine. „Ich will nicht erst ablegen, Joachim –“

„Darum darf ich Dich auch nicht bitten in diesem fremden Hause. Ich kann Dir auch nicht einmal eine Erfrischung anbieten. Die Köchin hat uns heute Mittag die letzte Kartoffelsuppe gekocht und ist dann gegangen, weil sie ihren neuen Dienst antreten mußte … Sieh, das sind lauter Bitternisse, die Du erfährst, und welche Du Dir ersparen konntest. Du wirst lange mit Dir kämpfen müssen, um nach Deiner Rückkehr an den Hof das häßliche Gespenst dieser Erinnerungen loszuwerden.“

Sie schüttelte leise den schönen Kopf.

„Ich gehe nicht an den Hof zurück. Ich bleibe bei Dir,“ erklärte sie bestimmt.

Er prallte zurück.

„Wie – bei mir? Willst Du mein – mein Bettelbrot theilen? Nie, Claudine, nie!“ – Er streckte die Hand abwehrend gegen sie aus. „Unser schöner Schwan, die Augenweide, die Freude so Vieler, sollte in dem Eulennest verkümmern? Hältst Du mich für einen Seelenmörder, daß Du ein solches Ansinnen an mich stellst? … Ich ziehe mich gern, ja, erleichterten Herzens zurück in das alte Haus, in Dein Haus und Erbe, das Du mir großmüthig zur Verfügung gestellt hast – es wird mich traut und heimisch umfangen, denn ich habe mein stilles Schaffen, das mir Alles verklärt, mir das karge Brot versüßt und die alten Wände vergoldet; aber Du, Du?“

„Ich habe diesen Protest vorausgesehen und deßhalb allein gehandelt,“ sagte sie fest und sah ihm mit ihren langbewimperten sanften Augen beweglich in das Gesicht. „Ich weiß wohl, daß Du mich nicht brauchst, Du genügsamer, stiller Einsiedler; was aber soll aus Deiner kleinen Elisabeth werden?“

Er blickte wie erschrocken nach dem Kinde hin, das sich eben abmühte, einen kleinen, runden Kattunmantel, wie ihn die Thüringer Bauernfrauen tragen, zum Abmarsch überzuwerfen. „Fräulein Lindenmeyer ist ja da,“ sagte er zögernd.

„Fräulein Lindenmeyer war Großmamas gute, brave Kammerfrau und ist zeitlebens treu wie Gold gewesen; aber nun ist sie alt und grau; wir können ihr unmöglich zumuthen, das Kind zu behüten. Und wie denkst Du Dir wohl den Unterricht von Seiten der alten guten, schwärmerischen Seele?“ fuhr sie lebhaft fort, während ein trübes Lächeln durch seine Züge schlich. „Nein, lasse mich gut machen, was ich verschuldet habe! Ich durfte nicht zu meiner alten Hoheit gehen; ich mußte die Hofdamenstellung zurückweisen und bei Dir bleiben, um das abwärts rollende Rad nach Kräften mit aufzuhalten. Um den Geroldshof stand es schon damals schlimm –“

„Und Dein Bruder hatte sich thörichter Weise ein verwöhntes Weib aus Spanien mit heimgebracht, das jahrelang an dem deutschen Klima krankte, bis es der Engel der Erlösung von dem

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_002.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)