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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

über die beschneite Straße. Als ihm dann das Lehrerhaus in der Dämmerung und in dem Gewirbel der Flocken verschwand, lachte er noch einmal auf. Was doch ein einziges, kurzes Jahr nicht Alles bringen kann! Und wie glatt sich das Alles gegeben hatte!

Gleich in den ersten Wochen nach jenen ereignißschweren Tagen hatte Karli mit festen Händen die Zügel im Pointnerhofe ergriffen. Und bei der vielen Arbeit, die es da gegeben, hatte er blutwenig Zeit gefunden, sich um das müßige Gerede der Leute zu kümmern, das den Pointnerhof umlagerte. Dem Vater freilich, dem hatte dieses Gerede leidige Sorgen geschaffen; und ein rechter Aerger war ihm der Spitzname gewesen, den ihm der Maurer-Hansl aufgebracht: der „ledige Hochzeiter“. Auch die stille Einsamkeit seiner Stube hatte ihn gar bitter bedrückt. Lange Stunden hatte er oft um den Götz gejammert. Der aber blieb verschollen. Was auch der Pointner, oder der Anwalt, an den er sich, und nicht nur wegen Götz allein, um Rath und Hilfe gewandt hatte, unternehmen mochte – von den beiden Flüchtigen war nicht die geringste Spur zu finden. Da gewöhnte sich’s denn der Pointner allmählich ab, von Götz zu reden. Um so häufiger war dieser Name in Karli’s Mund. Er schaffte den beiden neuen Dienstboten keine Arbeit, ohne beizufügen: „So hat’s der Götz g’macht, und so wird’s auch weiter g’halten!“

Und gegen Martl, Zenz und Stoffel hieß es: „Ihr wißt ja, wie’s der Götz allweil haben hat wollen!“

So kam es, daß Götz, trotzdem er in weiter Ferne weilte, das treibende und ordnende Mittelglied im Arbeitsgang des Pointnerhofes blieb. Und da ging nun Alles so frisch und eben vom Flecke, daß Karli seine helle Freude daran hatte.

Eine schwere Stunde war aber dennoch für ihn gekommen – als Sanni endlich über ihren Vater die Wahrheit hatte erfahren müssen. Aber der herbe Schmerz und die tiefe Trauer, welche diese Stunde über das Herz des Mädchens brachte, linderte und löste sich in dem traulichen Glücke des jungen Weibes.

Mit dem Tage, an welchem Sanni im Pointnerhofe ihren Einzug hielt, begann auch der verdrossene Alte wieder „aufzuschnaufen“. Und da er nun wieder Jemand hatte, der ihn vom Morgen bis zum Abend unterhielt und hätschelte, verging beinahe kein Tag, an dem er nicht unter Kichern und Thränen betheuert hätte: „Mit Dir, Sannerl, mit Dir is halt der Fried’ wieder ein’zogen unter mein Dach!“

Und Karli erst! Der kam nun schon gar aus dem Lachen nicht mehr heraus. Nur Eines fehlte noch, damit sein Glück „als a ganzer in’ Himmel wachsen“ könnte Aber auch dieses Einzige mochte wohl nicht allzu lange mehr auf sich warten lassen.

Diese wohlbegründete Hoffnung leuchtete und lachte aus seinen Augen, als er bei sinkender Dämmerung seinen Hof erreichte.

Unter der Thür begegnete ihm die neue Magd, die einen Zuber voll dampfenden Wassers nach den Ställen trug.

„Drinn in der Stuben is Einer,“ sagte sie im Vorübergehen, „der wart’ schon g’wiß a Stund’.“

„So? Wer denn?“

„Ich weiß net – es muß a Fremder sein.“

Karli zog die Brauen in die Höhe, pochte den Schnee von den Füßen, schüttelte die Flocken von seinem Gewande und trat ins Haus.

Als er in die Stube kam, sah er eine dunkle Gestalt neben dem Tische auf der Holzbank sitzen. Wortlos erhob sich der Fremde.

Karli zögerte einen Augenblick. Dann legte er den Hut ab, ging auf den Schrank zu und entzündete ein Talglicht, das er zum Tische trug. Nun musterte er den Fremden.

Es war ein alter Mann mit schneeweißen Haaren. Dunkle Augen glühten in dem blassen, hohlen Gesichte, das zur Hälfte unter einem weißen, struppigen Vollbart verschwand. In der Hand, mit welcher er sich auf die Tischplatte stützte, hielt er eine zerknüllte Pelzhaube – in der andern einen roh beschnittenen Stock. Er trug eine doppelt über einander geknöpfte Jacke, enge Lederhosen und graue Filzgamaschen über den schweren Schuhen, von welchen der Schnee zu einer kleinen Wasserlache auf die Dielen geschmolzen war.

„Wer bist denn, han? Und was schaffst?“

„Kennst mich ’leicht nimmer, Karli?“ frug eine zitternde, müde Stimme.

„Jesus Maria – Götz! Du!“ stammelte der junge Bauer und schlug die Hände in einander. „Ja wie schaust –“ Das brachte er nicht heraus. Er verschluckte, was er hatte sagen wollen, und stotterte: „Ja, wo kommst denn Du jetzt her? Was bringst denn Du?“

„Was ich bring’? Dei’m Vater sein’ Freiheit!“

Am nächsten Stuhle suchte Karli mit beiden Händen eine Stütze, so heftig zitterten ihm die Kniee. Er rührte die Lippen und starrte rathlos mit erschrockenen Augen auf Götz, der den Stock auf die Holzbank legte, langsam die Jacke öffnete und ein gefaltetes Blatt aus der inneren Tasche nahm.

„Da, Karli – da – gieb’s Dei’m Vater!“

Zögernd streckte der junge Bauer die Hand und verwandte, während er das dünne, knisternde Blatt entfaltete, keinen Blick von Götz. Seufzend schüttelte er den Kopf, näherte sich dem Lichte und begann zu lesen. Eine fahle Blässe überrann seine Züge. Er hielt in den Händen einen Todtenschein – auf den Namen Kunigunde Pointner, geborene Rauchenberger. Als Sterbetag war der 14. Oktober genannt, und darüber stand der Name eines Tirolerdorfes.

„Ja lieber Heiland – lieber, lieber Herrgott –“

Mehr brachte Karli nicht über die bleichen Lippen.

„Gelt? Gelt ja? So ’was! Auf so ’was hättst heut’ auch net aus’denkt!“ raunte Götz mit gebrochener Stimme vor sich hin. „Und um mich – um mich hat sie’s leiden müssen. Und ang’lacht hat s’ mich noch – ang’lacht im letzten Schnaufer. Hingeben hat sie’s müssen, ihr blutjungs Leben – und mich hat s’ übrig lassen! Zu was? Zu was denn hat’s mich übrig lassen? Schad’ is, Karli – schad’ is drum – mir kannst es glauben! Wann Du s’ nur sehen hättst können – Du und Dein Vater – wie s’ worden is und wie sie sich g’macht hat – so brav und richtig! Und wie lieb und gut als s’ g’wesen is zu mir! So z’frieden war s’ – und was hab’ ich ihr denn bieten können, als g’rad mein Bißl Lieb’? Kein’ Arbeit hat s’ verdrossen – ja – und wie wir erst a Platzl g’funden haben – im Tirol drin – so a Winter, Karli, wie das einer g’wesen is! Ich, Karli, ich – und sonst nix hat’s geben für mein Deandl! Und wann ich am Abend heim’kommen bin von der Holzarbeit – wie da unser Stüberl ausg’schaut hat! Und wie wir da bei ’nander g’sessen sind – g’wiß – unser Herrgott hätt’ mich neiden können!“

In Thränen erstickte seine Stimme, und wankend griff er mit zitternder Hand nach dem Tische.

„Aber, Götz – schau – so setz’ Dich doch g’rad a Bißl nieder!“ stammelte Karli.

Götz aber hörte nicht. Mit nickendem Kopfe stand er, ein schwerer Athemzug erschütterte seine Brust, und wieder begann er in abgerissenen Worten zu sprechen: „Und auf so an Winter, Karli – auf so an Winter so a Sommer! A Bauer hat uns ein’dingt g’habt – auf d’ Alm. Wir zwei – und ganz allein da droben! Die schönste Alm – a Vieh, wie’s keins mehr giebt – und so a Freud’, wie’s Deandl g’habt hat d’ran! Und wie ich s’ in die neue Arbeit eing’lernt hab’ – und gleich aufs erst’ mal hat s’ Alles verstanden! Und ein Tag wie der ander’ – so stad und heimlich! Und wie’s auf’n Herbst zu’gangen is, da hab’ ich mich schon wieder auf’n Winter g’freut! Ja – und jetzt is er da – der Winter!“

Götz verstummte und fuhr sich mit beiden Händen über die weißen Haare. Regungslos stand Karli vor ihm, bange Spannung in Augen und Zügen.

„Am zwölften in der Fruh, da hat der Sturm schon ang’fangt – und gleich hab’ ich g’meint, wir sollten heimtreiben. Und da hat s’ mich so viel bitt’, ich sollt’ mich nur g’rad a paar Tag’ noch halten – weil s’ gar so gern heroben war. Und ich – was hätt’ ich ihr denn abschlagen können! Wie’s aber zwei Tag’ lang allweil ärger worden is, und wie’s uns die Schindeln davon gefegt hat von der Hütten wie dürre Blätter, da hat’s halt doch kein Bleiben nimmer ’geben. ’s Vieh is auch schon verzagt und wild g’wesen – und beim Abtreiben erst – wie’s durch’s Holz durch’gangen is, wo die dürren Aest’ g’rad so um einander g’flogen sind – da sind die armen Viecher völlig narrisch worden, und g’rad laufen und schreien haben wir müssen, daß wir s’ zur Noth bei einander g’halten haben. Völlig aufg’schnauft hab’ ich, wie ich d’ Lichten schon g’sehen hab’ in der Tiefen. ‚Jetzt, Kuni, jetzt is gleich überstanden,‘ hab’ ich noch g’sagt – und kaum ich das sag’ – da fallt’s Dir auf amal ’rein übern Wald, wie wann der Himmel sein’ ganzen Luft mit ei’m Mal

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