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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


stand zu lesen: so plötzlich! So rasch! So furchtbar rasch! Kann denn der Tod so jäh hereinbrechen?

Es ist nicht wahr! Sie muß ja noch leben, noch athmen, dies schöne Geschöpf, das gestern Abend noch in Lebenslust glühte!

Frau Doktor hob die Augen, sie suchte mich, und als ich zu ihr trat, sagte sie: „Frage nicht, Mary, Gott wird ihr verzeihen!“

Sie nahm mich mit in ihr Zimmer. An Jascha’s Bette wachte die Mutter, diese armselige Mutter, die dennoch geliebt ward von ihrem Kinde, weil Nichts so weich ist wie die Mutterhand, Nichts so süß wie die Stimme, die das erste Liedchen singt.

Der Brief des Herrn von Ahlfeldt lag zerknittert auf dem Tische an Frau Doktors Bette, nach Jascha’s Wunsch sollte sie ihn an die Großmutter senden. Er enthielt die Frage, ob er bei der Großmutter um ihre Hand werben dürfe.

Seine Rosen wollte sie mit in den Sarg haben.

Woher sie das Gift bekommen? Wir haben es nie erfahren. –

Die Großmutter kam, in Krepp und Trauerschleier, und holte die Leiche ihrer Enkelin. Sie hielt sich aufrecht, aber sie sprach kaum ein Wort. – –

Nun saßen wir wieder zu Zwölf um die Tafel, aber lange blieb es stumm und still in unserm Kreise; es war, als getraue sich keine von uns zu lachen, und an der Stube, in welcher Jascha gestorben, schlichen wir Abends scheu vorüber. Der Tod ist so schrecklich, wenn er so plötzlich kommt, und man wußte nicht einmal, woran sie gestorben, es war so unheimlich gewesen.

Nur Frau Doktor wußte es, und ich und die Mutter.

Wo sie geblieben? Wir haben nie Etwas gehört von ihr. Verkommen in Paris oder Nizza, oder sonst wo in der weiten Welt. Wer weiß es!




Eine Wolfsjagd in den Vogesen.

Von J. Weber. Mit Illustration von F. Specht.

Lange, ehe wir Deutschen im Besitze des jetzigen Reichslandes waren, führte mich eine dienstliche Veranlassung in die Vogesen. Ich war von einem Marquis von W., welcher dort große Forsten besitzt, aufgefordert worden, einen Wirthschaftsplan für dessen Privatwald aufzustellen, und folgte jenem Antrage um so lieber, als mir dadurch nicht nur eine günstige Gelegenheit zu meiner weiteren forstlichen Ausbildung, sondern auch die Gelegenheit zur Wolfsjagd gegeben wurde.

Zufälligerweise sollte mein Wunsch gleich bei meiner Ankunft in Erfüllung gehen. Es war schon dämmerig geworden, als ich an einem Novemberabend durch das hohe, mit dem gräflichen Wappen gezierte Thor in den Schloßhof einfuhr. Im ersten Stocke war eine große Anzahl von Fenstern hell erleuchtet, und das herzliche Lachen einer Anzahl von Herren verrieth mir, daß da oben eine Versammlung von Waidmännern stattfinde, die der Jagdgöttin Diana ein Trankopfer zu bringen im Begriff sei.

Als ich vom Jagdwagen abstieg, kam ein alter Portier an den Wagen, begrüßte mich höflich und eröffnete mir, nachdem er sich über meine Persönlichkeit orientirt, daß ich heute Nacht mit im großen Jagdsaale schlafen müsse, weil gegen dreißig Gäste zur Wolfsjagd eingetroffen seien, von denen einige ihre Frauen mitgebracht hätten, so daß alle Einzelzimmer bereits belegt seien. Für mich war das gleichgültig. Der Portier geleitete mich nach dem „Jagdsaale“ und wies mir ein Bett an; dann ging er, um meinen Koffer zu holen.

Ich befand mich in einem hohen gewölbten Raume, der einen außerordentlich malerischen Anblick bot. Das war ein Jagdlager, anders konnte man es kaum nennen. Die Wände waren über und über geziert mit Geweihen, Sauköpfen, alten Hörnern, Jagdwaffen und alten, ganz dunkel gewordenen Oelgemälden. In dem Saale standen in entsprechenden Abständen dreißig Betten, neben jedem ein Tisch und ein kleiner Sessel, vor welchem eine Wolfshaut lag. Mitten in dem Saale befand sich ein langer Tisch aus Eichenholz, in welchen gar mancher Jäger, der in diesen gastlichen Mauern geweilt, seinen Namen eingeschnitten hatte. Nun denke man sich noch, daß in malerischer Unordnung gegen dreißig Jäger ihre Jagdrequisiten, wo sich eben hierzu Platz fand, untergebracht hatten und man wird mir Recht geben, wenn ich dieses Gemach mit dem Namen „Jagdlager“ bezeichne.

Ich war eben im Begriffe Toilette zu machen, als der Herr des Hauses eintrat und mich begrüßte, man hatte ihm meine Ankunft gemeldet. Wahrlich! Die Gestalt paßte in den Raum, in welchem wir uns befanden. Eine große elegante Figur, breite Schultern, langwallender, schneeweißer Bart, feingeschnittene Gesichtszüge mit geradezu klassischer Nase: das Alles imponirte mir so sehr, daß ich im ersten Augenblicke nicht die rechten Worte für meine Empfindung fand. Der Marquis half mir darüber hinweg.

„Sie werden ermüdet sein, Verehrtester,“ sagte er in gebrochenem Deutsch, „da hilft zunächst mein Mittel, um die Geister wieder aufzufrischen“, und damit führte er mich an der Hand nach einem Eckschranke, der wohl zwanzig verschiedene - nennen wir’s mit dem deutschen Namen - Schnäpse barg, denn „Liköre“ waren’s wahrlich nicht. Er kredenzte mir ein Gläschen seines alten Zwetschenbranntweins, der berühmt ist wegen seines nachhaltigen Feuers, und es wurde mir thatsächlich ganz anders zu Muthe.

Als ich meine Toilette beendigt hatte, führte mich der Marquis in den Speisesaal und stellte mich jedem der dort in behaglichen Fauteuils um eine riesige Punschbowle ausgestreckten Waidmänner vor. Es waren alles Franzosen bis auf einen Holzhändler aus der Pfalz. Zu ihm gesellte ich mich und bald waren wir im eifrigsten Gespräche, das sich natürlich in erster Linie um die Wolfsjagd drehte. Inzwischen verschwand einer der Jagdgäste nach dem anderen und der Pfälzer schien sich auch zurückziehen zu wollen, weßhalb wir denn schließlich von der brillanten Bowle Abschied nahmen und nach dem Schlafsaale gingen. Dort schnarchten bereits Einige, daß es eine wahre Freude war; Andere lasen im Bette noch Briefe; Einige saßen auch noch an dem langen Eichentische und schrieben; der eine von diesen letzteren war kein Anderer, als der mehrere Jahre später so berühmt gewordene Gambetta.

Bald war ich eingeschlafen; im Traume schoß ich Wölfe und Bären. – –

Ein hellklingendes Trompetensignal vom Hofe her weckte uns am anderen Morgen. Schnell sprang Alles aus den Federn und nicht lange dauerte es, da fanden wir uns Alle im großen Eßsalon wieder zusammen. Auf dem Tische stand – ein echtes Jägeressen – eine Schüssel voll dampfender Erbsensuppe mit eingeschnittenen Schweinsohren, welche wir uns Alle vortrefflich munden ließen. Unter den Jägern bemerkte ich zu meinem Erstaunen auch den ziemlich beleibten Abbé des Marquis, der über den kurzen schwarzen Rock ein Bandelier mit anhängendem Hirschfänger geschnallt hatte und in eifrigem Gespräche mit seinem Nachbarn das Essen ganz zu vergessen schien. So sehr hatte ihn die Jagdleidenschaft erfaßt.

Als wir unser Frühstück beendet hatten, ging ein Flüstern durch die Menge; Einer sagte dem Anderen Etwas ins Ohr; jetzt raunte auch mir’s mein Nachbar zu. Ich verstand: „Auf, in die Messe!“

„Wie beliebt?“ fragte ich nochmals.

Als jener meine erstaunte Miene sah, klärte er mich auf: „Der Abbé thut’s nicht anders; ehe wir zur Jagd ausziehen, hält er uns erst eine Jagdmesse.“

Nach der Messe trafen wir uns Alle auf dem Hofe wieder. Die Wagen konnten nicht benützt werden, da wir gleich steil bergauf mußten, was gar manchem Aktenmenschen dicke Schweißtropfen kostete; aber unser Marquis bildete die Spitze und führte uns in einer so ruhigen, aber stäten Gangart den Gebirgspfad hinauf, daß wir nach etwa einstündigem Marsche unser Ziel – ein kleines Plateau - erreicht hatten. Dort erwartete uns der „Louvetier“. Diese Leute waren damals in Lothringen – und sind es in Frankreich heute noch – eigens zur Vertilgung der Wölfe angestellte Beamte, welche vom Staate ihre Besoldung beziehen. Der Louvetier hielt mit dem Marquis eine kurze Rücksprache, während welcher Zeit ich Muße hatte, mir die Hunde

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 886. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_886.jpg&oldid=- (Version vom 3.2.2024)