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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

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Der Unfried.

Eine Hochlandsgeschichte von Ludwig Ganghofer.
(Fortsetzung.)
14.

Stunden verrannen, allmählich legte sich der Wind und immer spärlicher fiel der Schnee. Die graue Dämmerung wurde zum Tage; langsam hoben sich die dicht und eben liegenden Wolken, gaben den weißen Glanz der Berge frei und zerklüfteten sich, daß der fahlblaue Himmel niederblicken konnte in das winterliche Thal.

Das Dorf erwachte; an den Häusern begannen sich die Thüren zu öffnen, und mit halb verwunderten, halb noch schlafenden Augen traten die Leute über die Schwellen.

Die Beiden nur, die in der Stube des Pointnerhofes saßen, schienen nicht zu merken, daß es Tag geworden.

Karli lehnte sich mit beiden Armen über den Tisch und starrte finsteren Blickes vor sich nieder.

Ihm an der Seite saß der Pointner. Er athmete tief auf, als wäre er eben jetzt verstummt, nachdem er lange gesprochen. In seinen Zügen kämpfte Verstörtheit mit verlegenem Aerger. Heftig zitterte die Hand, mit welcher er an seinem knopflosen Hemdkragen nestelte.

Nun schaute er mit scheuen Augen zu Karli auf und stotterte: No also – hast jetzt gar nix zum sagen – jetzt, wo ich Dir Alles g’standen hab’? Oder kannst mich ’leicht so sitzen lassen und gar nix reden, wo Dir doch denken magst, wie schwer’s ei’m Vater ankommt, wann er sei’m eigenen Buben gegenüber so ’was in Diskurs bringen muß – so ’was!“

Karli schwieg; er schien über seinen grübelnden Gedanken die Worte des Vaters völlig überhört zu haben.

„Jetzt redst mir aber!“ schalt der Bauer in Scheu und Aerger, während er die Finger in den Arm des Burschen kniff. „Oder bist mir am End’ gar noch harb, weil mich d’ Lieb’ zu Dir alles so ’rausreden hat lassen?“

Erschrocken war Karli aufgefahren. „Harb sein?“ stammelte er. „Wie kannst denn so ’was denken! Ich hätt’ doch g’wiß kein’ Grund net und – und – na, gar kein’ Grund net, denn wie sich die Sach’ jetzt anschaut, liegt’s ja offen am Tag, daß ’s nix Anders von ihr g’wesen is als a Rach’ gegen mich. Na, Vater – schau – von Harbsein därfst mir net reden – da thust mich ehnder noch dauern! Denn Du – Du tragst ja an die Folgen schwerer noch wie ich!“

Die ärgerliche Scheu des Pointner’s schlug jählings in weinerliche Rührung um. „Ja, Karli – schwerer – schwer g’nug! Und schau, da is mir’s jetzt a ganze Wohlthat, daß ich Dich auf meiner Seiten weiß – und daß Du Dich so herzlich stellst zu mir – wie a rechter Freund – und wie mein richtiger, g’scheiter Bua – ja!“

„Laß gut sein, Vater – und reden wir nix weiter drüber!“ wehrte Karli mit verlegenem Tone. Dann blickte er in der Stube umher, und jetzt erst schien er des Tages zu gewahren, der sich mit bleichem, kaltem Licht durch die trüben Fenster gestohlen hatte. „Da, Vater – da schau – völlig Tag is ’worden – und Dein’ Bäuerin is noch net da!“

„Macht nix – macht nix!“ wisperte der Pointner, während er sich die Fäuste über die nassen Backen wischte. Und aus seinen kleinen Augen blitzte es fast wie boshafte Schadenfreude. „Macht nix – wie länger als s’ ausbleibt, wie besser is ’s! Sie grabt sich schon a Gruben – sie grabt sich schon eine! Und net g’fallen laß ich mir’s – g’wiß net! Verklagen thu ich s’ – und Du – Du mußt mir an Zeugen machen –“

„Aber, Vater! Wie kannst denn schon von so ’was reden! Z’erst mußt doch warten, bis s’ kommt – und mußt hören, was s’ Dir sagen kann auf Dein’ Frag’!“

„Na – nix da! Da brauch’ ich kein Warten nimmer und kein’ Frag’. Die is schon so Eine – die! Sie hat’s bewiesen! Und was mich völlig überzeugt – der Götz, der hätt’ sich net g’rührt, wann er nix G’wiß’ net g’wußt hätt’. Aber den G’fallen, den er mir ’than hat damit, den will ich ihm danken seiner Lebtag’! Jetzt soll er mir noch ’was reden vom Fortgehn! Jetzt bleibt er mir da!“

„Vater! An solchen G’fallen erst hat’s ’braucht, daß unser Götz bei Dir noch a Bleiben g’habt hätt’? Ich, Vater – ich sag’ Dir’s – er wär’ auch ’blieben ohne dem! Und wann ihn keiner net g’halten hätt’ – ich hätt’ ihn g’halten – ich ganz allein!“

„No ja – no ja –“ stotterte der Pointner, und weiter fand er kein Wort mehr.

Unwillig erhob sich Karli, lehnte sich in die Fensternische und wischte den grauen Beschlag von den Scheiben. Da machte er nun verdutzte Augen, als er überall, wohin seine Blicke trafen, nur Schnee und Schnee gewahrte.

„Da schau, Vater – Winter is ’worden über Nacht!“

Der Pointner trat an seine Seite. „Ja – da hast jetzt dengerst Recht b’halten! Umg’schlagen hat’s – und wie!“ Dann aber, als hätte die Thatsache, daß es Winter geworden, auf seine Stimmung irgend welchen ändernden Einfluß üben sollen, den er nicht dulden konnte, fuhr er scheltend auf: „Aber ein Ding – ob’s jetzt Sommer oder Winter is – das macht jetzt gar nix anders!“ Und so greinte und schalt er weiter, während er mit unruhiger Hast in der Stube auf und nieder trippelte.

Karli hörte nicht mehr auf ihn; mit verlorenen Blicken schaute er durch die Scheiben und seine Stirn furchte sich unter stummen Gedanken. Nun plötzlich stieß er sich heftig vom Fenster zurück und ging mit raschen Schritten der Thür zu.

„Ja, was is denn?“ staunte der Pointner. „Wo willst denn hin? Wirst mich doch net allein lassen?“

„Ich komm’ gleich wieder! G’rad schauen muß ich ’was!“

Der Pointner sah seinen Buben aus der Stube verschwinden und hörte ihn langsam über die Treppe steigen. Eine Weile war Stille – dann kam’s mit hastigem Poltern vom obern Stock herunter, und Karli stürzte zur Thür herein, bleich, zitternd vor Erregung, mit zornig blitzenden Augen.

„Vater! Soll ich Dir ’was sagen?“ schrie er mit heiserer Stimme. „Droben – Dei’m saubern Herrn Schwager sein’ Kammer is leer – und kein Bett net is ang’rührt. Und in der Bäuerin ihrem alten Stüberl steht die Thür sperrangelweit offen – und der Kasten is aufg’rissen, als wär’ a G’wand davon ’tragen worden! Jetzt, Vater – jetzt kenn ich mich aus! Wirst es sehen – sie kommt Dir nimmer – Dein’ Bäuerin – überhaupts nimmer! Jetzt kenn’ ich mich aus!“

Weit riß der Pointner die Augen auf; ein Schlottern kam in seine Kniee, und wortlos bewegten sich seine Lippen.

Draußen ging die Hausthür und ein dumpfes Geräusch wurde hörbar, als pochte Jemand an der Schwelle den Schnee von den Füßen.

Stoffel trat in die Stube. Mit verblüfften Augen schielte er die beiden Pointner an und frug:

„Is der Götz net da?“

„Der Götz? Warum?“

„G’spaßig, g’spaßig!“ murmelte Stoffel. „Im Holzhof is er net, im Stall net – ja wo kann er denn sein? Gleich bei’m Aufwachen hab’ ich g’merkt, daß er sich gar net schlafen g’legt hat. Aber dengerst muß er in der Kammer g’wesen sein. Der Kufer is aufg’rissen und Alles durch einander g’worfen –“

Weiter ließ Karli den Knecht nicht reden. Er eilte zur Thür hinaus, und unter stotternden Worten humpelte ihm der Pointner nach.

Sie erreichten die Kammer im Gesindehaus und starrten auf den offenen Koffer und die zerstreuten Kleidungsstücke.

„Vater – der Götz is fort,“ brach es mit tonloser Stimme von Karli’s Lippen, „fort is er – heut’ in der Nacht!“

„Ich glaub’s net – na – und ich glaub’s net!“ raunte der Bauer seinem Buben zu und schaute von der Seite mit blinzelnden Augen zu ihm auf. „So ’was thut er mir net an, der Götz – daß er fort geht ohne Abschied von mir! Den

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