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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Als wir dicht an ihr vorübergingen, hob sie die Augen; ich meinte, ich müsse diesen düstern Blick kennen, und konnte mich doch nicht besinnen, wo ich ihn gesehen.

„Entsetzliche Person!“ flüsterte Dora.

„Sie wird zu einer Harfenbande gehören,“ meinte Liddy.

„Nein,“ erklärte Olga, „sie ist nur heruntergekommen; sie hat trotz allem Schäbigen ein vornehmes Exterieur.“

Wir lachten alle Vier herzlich und laut. „Ei, am Ende ist es Die, welche Jascha angebettelt hat,“ fiel mir ein.

„Sie sieht nicht aus, als ob sie bettle,“ beharrte Olga.

„Vielleicht kam Jascha mit ihr in ein Gespräch und hat ihr aus freien Stücken das Kreuz geschenkt?“

„Wohl möglich, gutmüthig ist sie ja.“

Wir waren währenddem durch das Gartenthor auf den Schloßplatz getreten und verfolgten die Straße, die zum Markt führt, wo neben der Apotheke das Schaufenster der Putzmacherin mit der stolzen Firma prangte: „Ida Irmisch. Hoflieferantin Ihrer fürstlichen Durchlaucht.“

Als wir noch im Laden standen und wählten und bestellten, ging die Fremde vorüber.

„Fräulein Irmisch, wissen Sie nicht, wer Die ist?“ fragten wir einstimmig.

„Die rennt seit acht Tagen hier oft vorüber,“ meinte verächtlich die asthmatische dicke Ladendame; „sie wohnt im ‚Wachholderbaum‘, ganz oben in einer Dachkammer und verlangt für ihre zehn Silbergroschen Pension täglich weiß Gott was Alles vom Wirth.“

Der „Wachholderbaum“ war ein Gasthaus untersten Ranges am Ende des Städtchens; Sonntags tanzten dort die Dienstmädchen, und eigentlich verkehrten nur Fuhrleute in demselben und arme Reisende.

Wir machten zustimmende Gesichter, wo sollte sie sonst auch wohnen? Sie sah ganz darnach aus.

„Was mag sie hier nur wollen?“

„Ja, wer kann das wissen?“ meinte Fräulein Ida. „Also die Damen wünschen von dem Vergißmeinnichtblau und dazu die Kränzchen? Es sind französische Blumen; im vorigen Jahre hatte die Hofdame Gräfin Erbsleben dies nämliche Kränzchen, es ist reizend.“ Und sie balancirte das kleine zierliche Gewinde auf ihrer dicken Hand, ehe sie es in den Karton legte.

Wir kamen mit Packeten beladen zurück und fanden allgemeine Anerkennung.

Daß Jascha Abends bei Tische fehlte, bemerkte vielleicht nur ich: so hoch gingen die Wellen freudiger Erwartung für unser kleines Hoffest. Als ich dann in unser Zimmer kam, fand ich Jascha anscheinend schlafend. Sie hatte ein Glas Himbeerwasser neben sich auf dem Tischchen, wie es Frau Doktor den Kranken unter uns zu spenden pflegte, aber es stand noch völlig unberührt da. Sie lag wie gewöhnlich, die Hände über der Brust gefaltet und unbeweglich. Als ich eben begann, mein Haar aufzustecken, klang ihre Stimme zu mir herüber:

„Miß Mary, ich habe eine Bitte, eine große Bitte; geben Sie mir Auskunft, wie theuer würde eine Toilette für das Fest auf dem Jagdschlosse sein?“

Ich zuckte die Schultern und sah sie verwundert an. Sie hatte sich im Bette hoch gesetzt und ihre Augen sahen so gespannt auf meine Lippen, als ob von meiner Antwort ihr ganzes Wohl und Wehe abhinge. „Je nun,“ sagte ich endlich, „es kommt darauf an – es richtet sich nach der Eleganz dieser Toilette.“

„Und man kann sich sehrr elegant anziehen, Miß Mary?“

„Man kann es wohl –“

„O, und ich liebe so sehrr elegante Kleider,“ sagte sie.

„Sie?“ rief ich unwillkürlich. Es mochte wohl ein sehr ungläubiger Ausdruck auf meinem Gesichte liegen, kannte ich sie doch immer nur in ihrem blauen Kleidchen, das an den Aermeln bereits ziemlich dünn und schäbig aussah, nur ein einziges Mal war sie in schwarzer Seide gewesen – eines Sonntags, als im Saale der „Rothen Forelle“ das Koncert einer Damenkapelle stattfand, wozu wir alle Dreizehn unter Frau Doktors, Mademoiselles und Miß Marten’s Begleitung erschienen waren.

„O sicher!“ sprach sie leise. „Großmutter liebt es auch sehrr, sie ist sehrr reich, Miß Mary; sie wird mir erlauben, Seide zu tragen, weiße Seide.“ Und plötzlich sprang sie vom Lager auf, und hastig einen Schlafrock überwerfend, eilte sie an den Schreibtisch.

„Sie sind noch angezogen,“ sagte sie nach ein paar Minuten und hielt mir einen Zettel hin, den sie geschrieben, „haben Sie die große Freundlichkeit, geben Sie ihn der Johanne, sie soll ihn morgen so früh wie möglich, so bald geöffnet ist, auf das Telegraphenamt tragen.“

Sie sah mich so bittend an mit den großen Augen, daß ich, wenngleich zögernd, das Papier nahm.

„Bitte, lesen Sie, ob ich deutlich schrieb!“ scholl es hinter mir her.

Ich hielt einen von meinen ihr geborgten blanken Thalern in der Hand und las, während ich den Korridor entlang schritt bis zu Johanne’s Stube, beim Schein der Flurlampe:

  „Frau Landrath von Ponianska,
  O…,
  Provinz Posen.

Liebe, liebe Großmama, schicke mir umgehend vierhundert Mark für Toilette zum Hoffest.   Deine dankbare Enkelin Jascha.“  

Vierhnndert Mark! Das war unerhört! freilich – weiße Seide. Aber wozu denn das? Die Fürstin selbst trug irgend eine einfache Toilette, und Prinzeß Sibylla von X. war in einem krêmefarbenen Kaschmirkleide erschienen im vorigen Jahre. Mir wurde diese Jascha immer unangenehmer und unverständlicher. Nun, was ging es mich an, wenn die Großmutter so thöricht war!

Als ich zurückkehrte, lag sie wieder im Bette. „O, ich danke Ihnen!“ flüsterte sie.

„Wo wollen Sie denn das Kleid eigentlich machen lassen?“ bemerkte ich ärgerlich; „hier im Orte ist weder Stoff noch Schneider zu haben.“

„O, ich denke doch,“ erwiederte sie. nicht im Mindesten beunruhigt. Dann schloß sie die Augen und schien zu schlafen, noch ehe ich im Bette war. – –

Im Gartensaale saßen während der nächsten Tage zwei Schneiderinnen, und ganze Berge von Mull, Spitzen und bunten Bändern lagen auf Stühlen. Sofas und Tischen umher. Die Näherinnen, zwei ältliche gutmüthige Schwestern, wußten sich kaum aus dem Gewirr von Wünschen zurecht zu finden; die neusten Nummern eines Modenblattes waren in unser Aller Händen. Irgend Eine probirte immer an; es duftete nach Bügeleisen und Nähmaschinenöl. Zwei besonders Geschickte falteten Plissés, und dabei horchten wir den Wundergeschichten von den Vorbereitungen im Schlosse, welche die Schneiderinnen zum Besten gaben. Ein Bruder derselben, welcher Hoftapezier zu sein den Vorzug hatte, war mit seinen Gehilfen beschäftigt, die Festräume zu schmücken. Alle Vorhänge wurden frisch aufgeheftet; Guirlanden von Eichenlaub und Tannengrün sollten die Wände zieren; die Sessel der hohen Herrschaften bekamen neue Sammtüberzüge; die alten stammten noch vom hochseligen Fürsten her und waren etwas verbraucht. Die Frau Fürstin war so sparsam, und hier im Schlosse ja überhaupt Alles sehr einfach. Aber in der Residenz!

Wir hörten Alle beseligt zu; nur Jascha verzog keine Miene und that keine Frage. Sie saß still und niedergeschlagen in irgend einem Winkel; die Antwort der Großmutter war ausgeblieben.

„Entscheiden Sie sich nur, Fräulein,“ meinte die ältere Schneiderin, „sonst kann ich Ihnen kein Kleid mehr fertig stellen.“

„O, danke!“ mnrmelte sie.

„Jascha,“ redete Frau Doktor zu; „nehmen Sie doch ein einfaches Mullkleid, dazu langt Ihr Taschengeld.“

„O, ich liebe Mull nicht.“

„Sie werden auf diese Weise zu Hause bleiben müssen, liebes Kind.“

Sie antwortete nicht und sah noch betrübter aus.

So waren fünf Tage verstrichen; die letzten Kleider sollten heute fertig werden; die beiden vielgeplagten Schneiderinnen hatten heiße Köpfe, und Olga behauptete nach der sechsten Anprobe, ihre Taille sitze noch immer nicht, und zu einem andern Kleide war der passende Stoff nicht mehr zu bekommen. Die niedliche Besitzerin schwamm in Thränen bei der Aussicht, zweierlei Zeug tragen zu müssen, obgleich man den Unterschied kaum sah. Dora aber rief alle Heiligen zu Zeugen, daß sie die hiesigen Handschuhe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 863. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_863.jpg&oldid=- (Version vom 26.3.2023)