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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Der erste Generalpostmeister des Deutschen Reichs.

Wer im Jahre 1871 den Einzug unserer siegreich heimkehrenden Truppen in Berlin mit angesehen hat, der erinnert sich vielleicht noch, wie aus dem waffenblitzenden Triumphzuge heraus plötzlich Posthornklänge ertönten und eine schmucke Kavalkade in den historischen Farben der preußischen Post, von da ab der wiedererstandenen deutschen Reichspost, sichtbar wurde. „Das ist unsere Feldpost,“ hieß es, und lauter wurde der Jubel, brausender ertönten die Zurufe aus den Reihen der dichtgedrängten Zuschauer. Begeistert stimme auch ich mit ein in den Jubel und rufe mein Hurrah so kräftig wie Einer; denn ich habe ja selber in dem großen Einheitskriege mitgerungen und schulde den Zoll der Dankbarkeit jenen Männern, die durch die prompte Beförderung meiner Feldpostkarten dem alten Mütterchen in der fernen Heimath die bange Zeit der Erwartung so oft abgekürzt haben. Wie Vielen gleiche Wohlthaten zu Theil geworden, das wurde mir freilich erst klar, als ich später den officiellen Ausweis zu Gesicht bekam, nach welchem vom Juli 1870 bis zum März 1871 nicht weniger als 90 Millionen Briefe und Postkarten, ferner Geldsendungen im Werthe von 180 Millionen Mark, zweieinhalb Millionen Zeitungen und etwa zwei Millionen Packete von der deutschen Feldpost befördert worden sind, das heißt täglich mehr als 450 000 Gegenstände!

Damals hörte ich zum ersten Male den Namen Stephan als den des Mannes nennen, der diese großartige Organisation ins Leben gerufen und am Leben erhalten hatte, und solche, die es wissen konnten, fügten hinzu, daß derselbe Mann auf dem Gebiete des Verkehrswesens bald mehr von sich hören lassen werde. Seitdem sind sechzehn Jahre ins Land gegangen, und jene Prophezeiungen haben, wie Jedermann weiß, sich glänzend erfüllt. Da lohnt es sich denn wohl, das an Arbeit und Mühen, aber auch an beispiellosen Erfolgen so reiche Leben des hervorragenden Mannes in, wenn auch nur knappen, so doch auf thatsächlichen Wahrnehmungen beruhenden Zügen zu schildern.

Staatssekretär Dr. Heinrich v. Stephan.

Jedes Konversationslexikon giebt uns darüber Auskunft, daß der Generalpostmeister Dr. von Stephan am 7. Januar 1831 zu Stolp in Pommern geboren, nach bestandener Abgangsprüfung auf dem Gymnasium seiner Vaterstadt ins Postfach eingetreten ist, auf dem von ihm beschrittenen Gebiete Stufe um Stufe erklommen hat und bereits im April 1870 – 39 Jahre alt – an die Spitze des deutschen Postwesens berufen worden ist. – Drei Jahre vorher war sein Name zum ersten Male in weiteren Kreisen genannt worden, als er, von der preußischen Regierung zur Ablösung der Taxis’schen Postgerechtsame nach Frankfurt am Main entsandt, in der alten Kaiserstadt erschien und sein Werk damit begann, daß er kurz entschlossen Hand auf die Registratur der Taxis’schen Post legte und dieselbe, um Irrungen vorzubeugen, durch eine Kompagnie Soldaten besetzen ließ. Mit sicherem Blick griff er die Dokumente, welche über die Geschäftsführung und die finanziellen Ergebnisse des Taxis’schen Unternehmens Aufschluß zu geben geeignet waren, heraus und brachte das unsagbar mühselige Werk in verhältnißmäßig kurzer Zeit zu ersprießlichem Ende: schon zu Anfang Januar 1867 war der letzte Rest der mittelalterlichen Feudalpost auf deutschem Boden beseitigt.

Im Jahre 1870 Generalpostdirektor des Norddeutschen Bundes geworden, ging der große Postreformer eben an die Verwirklichung des Gedankens, auf dem Gebiete des Verkehrs eine die Gesammtheit der Kulturvölker umfassende Vereinigung herbeizuführen, als der Ausbruch des Krieges das Friedenswerk störte.

Nachdem der Krieg das Reich neu geeint hatte, vollbrachte der nun zum Generalpostmeister Ernannte das Einigungswerk auch auf dem Gebiete der Post, indem die norddeutschen Postinstitute zu einer einheitlichen Postgemeinschaft verschmolzen wurden. Seitdem gilt für die „deutsche Reichspost“ eine einheitliche Gesetzgebung vom Rhein bis zur Memel, von den Alpen bis zum Meer.[1]

Und nun begann eine Thätigkeit, die hier zu schildern selbstverständlich unmöglich ist; einige Kapitelüberschriften müssen genügen, als da sind: der einheitliche Postpackettarif, Postkarte, Postanweisung und Postauftrag, die Vereinigung der Telegraphie mit der Post, die Rohrpostanlagen, das unterirdische Kabelnetz, die Verbesserung des Landpostdienstes, die Vermehrung der Verkehrsanstalten, die Telephoneinrichtungen; gekrönt aber hat unser Generalpostmeister alle diese und noch viele andere Werke, von denen einige später noch Erwähnung finden werden, durch die Gründung des Weltpostvereins.

Die für den Austausch von internationalen Postsendungen früher maßgebenden Grundsätze waren, kurz gesagt, lediglich durch die fiskalischen Interessen und durch die Selbstsucht jeder Nation und jedes Natiönchens diktirt. Die Folge war ein stetes Markten um den Werth der gegenseitigen Leistungen und ein Ringen nach finanziellen Vortheilen, das dem internationalen Verkehre unerträgliche Hemmnisse bereitete. Diesem Gebahren setzte Stephan seinen kühnen Gedanken entgegen: durch Einführung eines einheitlichen Portos und gemeinsamer Grundsätze in der Leitung und Behandlung der Korrespondenz die Kulturvölker der Erde in einer postalischen Gemeinschaft zu einigen für die ersprießlichen Werke des Friedens. Eben so groß, wie diese Idee war, eben so zahlreich und schier unüberwindlich waren auch die Schwierigkeiten, die sich ihrer Ausführung von allen Seiten entgegenstellten; aber sie vermochten dem energischen Willen, der maßgebenden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 857. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_857.jpg&oldid=- (Version vom 21.2.2024)
  1. Bayern und Württemberg haben nur für ihren eigenen inneren Verkehr eigene Bestimmungen. Die deutsche Postgesetzgebung gilt für sie wie für die übrigen deutschen Staaten. Dem Ausland gegenüber vertritt die deutsche Reichspost auch Bayern und Württemberg.