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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

No. 51.   1887.
      Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.



Jascha.

Von W. Heimburg.

In einer kleinen Stadt, von köstlichen Wäldern umgeben, finden Mädchen von fünfzehn bis achtzehn Jahren im Hause einer hochgebildeten Frau Pension. Fern von dem Getriebe der Großstadt bietet der Aufenthalt, neben Unterricht in Litteratur, Konversation und Musik, den jungen Mädchen die reinsten Freuden einer schönen Natur, eines harmonischen Zusammenlebens und die vollste Gelegenheit, in der ozonreichen Luft ihre Gesundheit zu kräftigen. Bedingungen, Referenzen etc.“

Man muß nun nicht an eine Pension denken, wo man noch auf den Schulbänken zu sitzen pflegt; wir waren sämmtlich erwachsen, zwei von uns bereits verlobt – Lene Beckenschild und ich. Aber darum konnten wir doch alle die Wohlthaten vertragen, welche die obige Annonce verhieß; und das Zusammensein mit fröhlichen gleichalterigen Genossinnen, die gütige Fürsorge der liebenswürdigen Vorsteherin und die erfrischende Waldluft stählten Geist und Herz für künftige schwere Zeiten. Ich spüre noch heute den Segen jener harmlosen köstlichen Jahre, die ich bei Frau Doktor Degenhardt verlebte. Und wie oft noch bin ich Nachts im Traum in jenem großen alten Hause, in seinen geräumigen trauten Zimmern, in dem schattigen Garten, der es umgab!

Mehr als zwölf Pensionärinnen nahm Frau Doktor nie; einmal nur wurden wir auf kurze Zeit – dreizehn. Auf kurze Zeit – es war so traurig! Man sollte wohl traurige Geschichten nicht erzählen; und doch, sie, von der diese Zeilen sprechen, war es wohl werth, daß man ihrer gedenkt. Und heute, wo wiederum der Herbst da ist und die Blätter fallen, gedenke ich ihrer so recht lebhaft und jenes Septembers, da ich ihr nahe treten konnte.

Des Augenblicks, als sie zu uns kam, erinnere ich mich noch so deutlich! Wir saßen alle Zwölf im Saal, ganz verschieden beschäftigt; es war einer der Tage, an denen bei Strafe kein Wörtchen Deutsch gesprochen werden durfte, und Mademoiselle Cecile, die hübsche lebhafte Französin, schwang heute ihr Scepter: die Engländerin saß stumm am Ofen – es war im März – und nähte points lace für einen jener großen altmodischen Kragen, die sie beständig über dem Kleide zu tragen pflegte; sie sah mißmuthig aus und fröstelte. Frau Doktor las uns Etwas vor. Was? – Das habe ich heute vergessen. Auf einmal scholl schmetternd ein Posthorn herauf, ein Wagen rasselte über das Pflaster, und Mademoiselle, die an das Fenster geeilt war, schrie: „Mon dieu, quelle surprise, une visite pour notre maison – voilà madame.

Wahrhaftig! Schon nach ein paar Minuten stürzte

Georg Daniel Teutsch. Bischof der evangelischen Landeskirche A. B. in Siebenbürgen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 841. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_841.jpg&oldid=- (Version vom 25.3.2023)