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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Weihnachten eines Seekadetten.

Von Helene Pichler. Mit Illustrationen von Fritz Bergen.

Eine lustige Nacht! Eine tolle Nacht! Seiner Majestät Schiff „Jason“ tanzt im Wogengetümmel mit dicht gerefften Segeln nach der Musik, welche der Meister Sturm aus allen Tonarten pfeift. Bald fiedelt er in den höchsten Regionen der Tonleiter und sämmtliches Tauwerk vibrirt in dem Triller; bald rauscht und brummt er im tiefsten Baß und giebt dabei der Fregatte einen Stoß, daß sie eine Verbeugung nach der Seite macht, die befürchten läßt, das Schiff werde kopfüber auf den Meeresgrund gehen. Aus nachtschwarzem Himmel gießen Wasserfluthen herab und von unten schäumen die übermüthigen Wellen über die Reeling des Schiffs. Auf dem Schiff selbst stehen achterwärts vier Mann am Steuer; mit aller Kraft haben sie das Steuerruder in dem vorgeschriebenen Kurse zu erhalten; die ungebärdigen Wogen möchten es ihnen entreißen, aber keinen Strich Ost oder West lassen sie sich rauben. Eine hohe Mannesgestalt, dicht in einen Regenrock eingeknöpft, dessen Kapuze das Haupt umgiebt, steht auf dem Hinterdeck in Luv, und mittels eines Nachtglases späht sie hinaus in die dunkeln Meeresweiten: das ist der „wachthabende Officier“. Vorn, im Bereich des Fockmastes stehen ebenfalls mehrere Gestalten wie angenagelt, der „Ausguck“ und ein Theil der Backbordswache. Und weiter: mittschiffs, so in der Nähe des Großmastes, kauern an gedeckten Stellen mehrere menschliche Körper, denen in dieser Nacht das süße, wenn auch unerlaubte „Nickerchen“ von selbst vergeht: es sind die Kadetten der Wache. Diese letztere junge Schar vielleicht ausgenommen, empfinden aber die Männer, welche zur Zeit auf dem Oberdeck der „Jason“ sich befinden, von dem Pfeifen und Orgeln, Brausen und Zischen rings in Luft und Wasser keinen stärkeren Eindruck, als hörten sie einige Knaben ihre neuen Jahrmarktspfeifen probiren oder als sei ein Weinglas an fröhlicher Tafel ins Schwanken gerathen. Das macht die strenge Zucht, welche „von oben“ kommt und den Menschen zur heilsamen Disciplin erzieht, daß er selbst in Noth und Tod nicht den Kopf verliert und allzeit den alten friesischen Seemannsspruch: „Rum Hart, klar Kimming“, „Weites Herz, klarer Horizont“, vor Augen hat.

In dieser Zucht sollen auch die blühenden Jünglinge, die Seekadetten, erstarken, um derentwillen die „Jason^ auf jener Hälfte des Erdballs sich befindet. Vor Allem ist die Zucht Einem nöthig, den die Kameraden in der Kadettenmesse den „Durchgänger“ nennen; in der Liste der „Jason“ steht er als Bruno Stein, Seekadett, verzeichnet: er, der Jüngling-Mann, welcher, von einer Kanone gegen den Sturm geschützt, seine vier Stunden Wache durch einige höchst unstatthafte Gedanken zu verkürzen strebt. Die schaurige Nacht ist dem langen Burschen schon recht. Solchen energischen Beweisen einer „höheren Macht“ kann er einigen Respekt nicht versagen. Aber die Menschen? Besonders diejenigen auf Seiner Majestät Korvette „Jason“? – Ach, nicht so viel giebt er drum, wenn er sich auch freilich wohl hütet, dem „Wachthabenden“, oder gar dem Bootsmann, dem Gestrengen des Vorderdecks, auch nur die leiseste Ahnung eines solchen Gedankens zu erwecken.

Da kauert er nun im Nachtdunkel und lehnt sich im Herzen gegen alle Ordnung und alle Pflichten auf; am meisten gegen die nächsten Vorgesetzten. Da ist der „Wachthabende“, der ein so gemüthlich Fahrzeug war, so lange er, selber Kadett, mit den Kadetten auf einer Bank saß; seit er aber den Officier herausgebissen hat, ist er der schlimmste Chikaneur von allen; und der Bootsmann gar? Na, der kennt ja ohnedies keine grimmigere Freude, als wenn er dem ersten Officier eine recht lange „schwarze Liste“ vorlegen kann und dieser die darauf stehenden Schuldigen den Strafarbeiten des Bootsmannes überweist. Außerdem ist Bruno Stein sich bewußt, bei dem ersten Officier ebenfalls nicht gut angeschrieben zu stehen. Mit geheimem Zähneknirschen gedenkt er des häufigen Bordarrestes, während die Kameraden mit Sang und Klang an Land gehen durften. Na, wartet nur, wenn ich erst Officier bin – nein, so lange wird nicht gewartet. Ihr sollt noch mit mir zu thun haben, ihr Disciplinhelden, ihr Ordnungsphilister, ihr Reinlichkeitsnarren, ihr – ihr –! Weiter kommt der junge Mensch nicht mit seinem geheimen Raisonnement, denn der wachthabende Officier ruft ihn an und schickt ihn mit einem Auftrag an den Bootsmann.

Das paßt ihm wieder nicht. Ihm paßt überhaupt nichts an Bord der „Jason“. Gehorchen und wachen – wachen und gehorchen! Das wird dem neunzehnjährigen Kopfe blutsauer. Er hatte sich die Wirthschaft auf solchem Kriegsschiff ganz anders vorgestellt, und nun ist sie schlimmer als „daheim“ der Schulzwang und die unerträgliche väterliche Autorität. Die letzten Beiden sind vollständig abgeschüttelt worden, so vollständig, daß nicht mal der Zwang eines Briefes auf ihm liegt. Er ließ alle elterlichen Briefe unbeantwortet; mögen sie daheim doch warten, bis es ihm beliebt zu schreiben. Eben so wird auch die Kette, welche das Vaterland ihm durch die Admiralität anlegen ließ, bei erster Gelegenheit abgestreift werden. In irgend einem Schlupfwinkel der vielbuchtigen Küste Ostasiens wird der kühne Plan ausgeführt werden. Freiheit! Freiheit! Das Wort erregt in der Brust des jungen Menschen ein merkliches Zittern. Das Schimpfliche seines Vorhabens empfindet er nicht, weil die Stimme der Ehre schweigt vor der begehrlichen Sprache der Lust.

Gährend umbraust ihn die Finsterniß; unten in der Tiefe blitzen grünliche Funken auf. Der Wind wächst von Minute zu Minute. „Großsegel weg!“ tönt das Kommando, welches alsbald durch die schrillen Pfiffe des Bootsmanns der ganzen Mannschaft zur Kenntniß gebracht wird und hundert Hände zugleich in Bewegung setzt, a tempo das mächtige Stück Tuch dicht an die Raa zu bringen.

Sicher, als hätten sie den Boden eines Tanzsaales unter ihren Füßen, laufen die Leute an den Wanten empor; als leuchte ihnen das strahlende Tagesgestirn, so genau wissen sie ihren Weg in der schwankenden, vom Sturme gepeitschten Takelage zu finden. Auch der Kadett der Wache hat mit hinauf müssen in den Großmars, um die Ausführung des Kommandos zu überwachen. Jetzt ist es ausgeführt; wie die Katzen gleiten die Matrosen hernieder. Bruno Stein als der Letzte setzt eben den Fuß in das Großwant,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 828. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_828.jpg&oldid=- (Version vom 3.2.2024)