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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

der Kleine in den Mund greift, weil der Brei zu heiß gewesen, müssen wir zurückweisen; denn in einem solchen Fall würde keine Mutter so zufrieden lächeln und noch weniger eine Großmutter so ruhig und stillvergnügt dreinschauen. Daß die Männer vielleicht anderer Ansicht sind und namentlich der Alte innerlich, und vielleicht auch äußerlich, brummt über das ewige Uah! Uah!, das er freilich wohl schon oft gehört haben mag, darf uns weniger Wunder nehmen, denn die Männer verstehen nichts von der Sprache, welche in dem Kleinkindergeschrei liegt.

Wildermuth’s Jugendgarten. Wenige Bücher führen auf dem Titel die Bezeichnung „Eine Festgabe für die Jugend“ mit solchem Rechte, wie der von der unvergeßlichen Ottilie Wildermuth begründete und von ihren Töchtern Agnes Willms und Adelheid Wildermuth fortgesetzte „Jugendgarten“ (Stuttgart, Gebrüder Kröner). Schon bei flüchtigem Durchblättern überzeugt man sich von der Reichhaltigkeit und planmäßigen Anlage dieses Jahrbuches, und wenn man sich in die einzelnen Beiträge hineinliest, findet man bald unwiderleglich heraus, daß nur die gediegensten Arbeiten Aufnahme gefunden haben. So war es schon seit vielen Jahren, und nur der unermüdlichen Sorgfalt, welche die Herausgeberinnen auf den „Jugendgarten“ verwendeten, ist es zuzuschreiben, daß derselbe zu einem der meistbegehrten und werthvollsten Geschenkwerke wurde. Auch in diesem Jahre wird der treffliche Freund unserer Jugend in zahlreichen Familien sehnsüchtig erwartet werden, und wir freuen uns, im Voraus die Versicherung geben zu können, daß er auch diesmal wieder alle auf ihn gesetzten Erwartungen voll befriedigen wird. Der Inhalt des vorliegenden 12. Bandes ist ein überaus reichhaltiger; die besten Schriftsteller und Künstler haben sich zusammengethan, um mit vereinten Kräften möglichst Vollendetes zu leisten. Adelheid Wildermuth, Hermann Hirschfeld, Ottilie Schwahn, A. Kleinschmidt, Richard Roth, R. Niedergesäß, Johann v. Wildenradt, K. Neumann-Strela u. A. erfreuen mit Erzählungen und Schilderungen der mannigfachsten Art; Agnes Willms auch mit einem dreiaktigen, leicht aufführbaren Schauspiel „Das braune Lenchen“. Außer den Textbildern finden wir nicht weniger als acht farbige und 12 Tondruckbilder, einen gewiß ungewöhnlich reichhaltigen Bilderschmuck, der noch um so schätzenswerther ist, als jedes einzelne Bild leicht erkennen läßt, mit welcher großen Sorgfalt und künstlerischen Meisterschaft es ausgeführt wurde.

Wir empfehlen den „Jugendgarten“ allen seinen alten Freunden aufs Neue und wünschen seine Bekanntschaft auch denen, welchen er bisher noch nicht beschert wurde. **     


Wulfhild an Albrecht’s Leiche.
Aus dem Prachtwerke: „Der wilde Jäger“ von Julius Wolff. Originalzeichnung von Woldemar Friedrich.

Das Asyl für Obdachlose in Berlin. (Mit Illustration S. 813.) Es ist Winterszeit. Ueber der großen Stadt liegt bereits der Schleier des Abends. Auch ist’s eisig kalt, und ein schneidender Schneewind läßt selbst die Passanten in den Pelzmänteln eiliger fortschreiten, um ein gewärmtes Zimmer zu erreichen.

Aus den Fabriken kommen die Arbeiter; Gewerbtreibende und geschäftsthätige Männer, Frauen und Kinder eilen vorüber. Lastfuhrwerke, welche die Abendzüge erreichen sollen, knarren mit ihren hochbepackten Ladungen, Kisten und Ballen, dahin und sperren die Straßen, und nur mühsam winden sich die Droschken erster und zweiter Klasse, die Equipagen und die Handwagen durch den Wirrwarr des Verkehrs.

Alles strebt nach einem bestimmten Ziel: der Ablösung von den Lasten des Tages; Ruhe, Speise und Trank winkt endlich Allen!

Und doch nicht Allen! Tausende in der großen Stadt wissen nicht, wohin sie sich für die Nacht wenden sollen. Sie haben kein Brot und keine Schlafstelle und der mitleidlose Himmel sendet Kälte und Nässe herab und läßt Alles noch schwerer, hoffnungsloser empfinden.

Vor der Büschingstraße 4, vor dem hohen Eingangsportal des Männerasyls stehen an die Hunderte, drängen und stoßen und schieben sich, um in die vordersten Reihen zu gelangen; denn um 6 Uhr wird geöffnet und nur 300 werden eingelassen! Die Uebrigen bleiben zurück. Wohin diese sich dann wenden sollen, sie wissen es nicht! Ein dunkles Hausportal, der Thiergarten selbst in Winterkälte, ein verrufenes Lokal, wo für einen Groschen – den letzten – wenigstens der hungerige, ermüdete Körper Ruhe findet!

Und der nächste Tag? Gering bezahlte Arbeit, Mitleid für den Bettler – oft Geduld und Entsagung müssen über diesen forthelfen. Und dann kommt wieder der Abend, die Kälte, der Hunger – das bittere Elend! Dieser kurze Hinweis auf die Noth so Vieler, bei Weitem nicht immer Unwürdiger, vergegenwärtigt die segensreiche Einrichtung des Asyls der Obdachlosen. Nachdem von Seiten des Hausvaters eine Musterung und dann eine Reinigung der zugelassenen Asylisten stattgefunden hat, eine Reinigung, welche sich auch auf ein warmes Bad ausdehnen kann, wird eine heiße Milchsuppe mit Brot verabreicht und die Aufgenommenen, je nach ihrem Alter, in den drei großen, hellen und erwärmten Schlafsälen in guten Betten untergebracht. Hier ist auch noch Trinkwasser und Material zum Ausbessern der Kleider und Stiefel vorhanden, welche erstere während des Bades desinficirt werden. Am nächsten Morgen erhält der Asylist heißen Kaffee und eine Berliner Schrippe. – So mag er denn neugestärkt den Daseinskampf wieder beginnen!

Und nun noch ein Schlußwort aus der Statistik des letzten Jahresberichts: während dreizehn Jahren haben 185 800 hier Unterkommen gefunden!

Die Namen der Männer, welche den Gedanken zu diesem Asyl faßten, die ihre Zeit und Aufmerksamkeit diesem humanen und segensreichen Werke widmeten und auch ferner widmen, verdienen, auf goldenen Tafeln eingeschrieben zu werden, und ein im besten Sinne christliches Werk ist es, diesem Asyl für die Nothdürftigen und Elenden ein jährliches Scherflein zuzuwenden, das auch im kleinsten Betrage von dem Vorstande des Berliner Asylvereins für Obdachlose entgegengenommen wird und bei 3 Mark jährlich zur Mitgliedschaft berechtigt. Hermann Heiberg.     


Kleiner Briefkasten.

B. K. in Z. Der im Laufe dieses Jahres von uns veröffentlichte Roman „Götzendienst“ von Alexander Baron v. Roberts ist unter dem Titel „Um den Namen“ als Buch im Verlage von Heinrich Minden in Dresden erschienen.

J. H. in K. Nr. 72. Verf. von „Ein Held der Feder“ und „Am Altar“ ist E. Werner.


Inhalt: Die Geheimräthin. Novelle von Hieronymus Lorm (Fortsetzung). S. 805. – Das erste Jahr im neuen Haushalt. Eine Geschichte in Briefen. Von R. Artaria. XII. S. 810. – Ein Hochverrathsproceß in Kanada. S. 812. – Der Unfried. Eine Hochlandsgeschichte von Ludwig Ganghofer (Fortsetzung). S. 814. – Gretchen. Illustration aus dem Prachtwerk: Goethe’s ,,Faust“. S. 817. – Blätter und Blüthen: Geschenklitteratur für Weihnachten. S. 819. – Vor dem Nikolaustag. S. 819. Mit Illustration S. 805. – Tafelmusik. S. 819. Mit Illustration S. 809. – Wildermuth’s Jugendgarten. S. 820. – Wulfhild an Albrecht’s Leiche. Illustration aus dem Prachtwerk: „Der wilde Jäger“. S. 820. – Das Asyl für Obdachlose. Von Hermann Heiberg. S. 820. Mit Illustration S. 813. – Kleiner Briefkasten. S. 820.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 820. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_820.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)