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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

„Mußt Dich net fürchten – ich sorg’ schon, daß morgen Alles wieder sauber is unter Dei’m Dach. Wie’s mich von überall vertrieben hat – das einzige, gottverhaßte Wort – so vertreibt’s mich auch wieder von da, wo ich mich elf Jahr’ lang’ ’rein verwachsen hab’ – wie a Stein in der Mauer, hab’ ich heut wen sagen hören.“

Er machte ein paar Schritte in die Stube, blieb wieder stehen, schaute zu Karli zurück und fuhr mit schluchzenden Worten auf: „Na – na – von überall bin ich fort und hab’ kein Wort net g’sagt – aus Dei’m Haus aber, Karli, aus Dei’m Haus kann ich net fortgehn, ohne daß ich g’redt hab’. Und was ich auch zum sagen hab’, a Jed’s kann’s hören – g’rad Einer net – Einer net!“

Seine Stimme hatte sich zu schneidender Schärfe gehoben, und mit brennenden Blicken richteten sich seine Augen auf Gregor.

Der Bursche lächelte, zog erwartungsvoll die Brauen hoch und rührte sich nicht vom Flecke. Verdutzt aber schaute er darein, als Kuni hastigen Schrittes vor ihn hintrat und ihn mit zorniger Stimme anfuhr: „Geh, sag’ ich Dir – geh!“

„No ja – meinetwegen! Mich plagt d’ Neugier auf sein’ Unschuld net!“ lachte Gregor, nahm den Hut von der Ofenstange und verließ die Stube. Götz folgte ihm mit den Augen, bis sich die Thür geschlossen hatte.

„Wie er’s erfahren haben mag, ich kann mir’s net denken!“ stieß er mit bebenden Worten vor sich hin. „Und – er – er weiß net, was er mir anthan hat! Aber mag er’s jetzt ’than haben, bloß in der Bosheit, die aus seine Augen schaut – oder – oder weil er mich g’forchten hat –“

„G’forchten? Ja wegen was denn?“ ließ sich der Pointner mit schüchterner Frage vernehmen.

„Wegen was?“ wiederholte Götz. Da trafen sich seine Blicke mit Kuni’s erschrockenen Augen. Eine Weile schwieg er und sagte dann in einem eigenen, ausweichenden Ton: „Ich weiß net, wegen was! Aber no – jetzt is’s g’schehen! Und vor’gangen is mir’s auch schon – schon wie ich ’rein bin in d’ Stuben. A Stund’ kann’s her sein, da hab’ ich so schon a Mahnung ’kriegt – gelt, Stoffel? Und dengerst hab’ ich’s net glauben mögen – weil’s über mein’ Kraft geht, daß ich fort soll von da, wo ich g’meint hab’, ich hätt’ mir mit blutiger Arbeit ’s Recht verdient zum Bleiben und amal zum ruhigen Versterben.“

Mit ausgestreckten Händen und bleichem Gesichte wankte Karli auf ihn zu.

Götz aber wehrte ihn von sich. „Laß gut sein! Ich weiß ja, daß Du mich halten thätst. Aber d’ Leut’, Karli – d’ Leut’ lassen’s net zu. Und daß sie’s jetzt erfahren, was ich hinter mir hab’ – Einer wird schon sorgen dafür. Und Jedem kann ich ’s ja net verzählen, was mich ins Zuchthaus ’bracht hat! G’wiß wahr – unverdrossen hab’ ich mich für Dein’ Vater ’plagt, und Dich hab’ ich gern g’habt – bist mir g’wesen wie mein Kind. Aber wie jetzt Alles steht – ich verlang’ mir kein’ andern Dank, als daß kein’ schlechten Gedanken über mich net b’haltst und daß mich mit ei’m guten Abschied gehen laßt. Wohin – das weiß ich freilich net. Heimath hab’ ich ja keine! Im Unterland, weit draußen, haben meine Eltern g’haust, arme Schlucker. Wie s’ verstorben waren, is ’s Häusl mit’m Schuldenzahlen drauf’gangen, und mir is nix verblieben, als meine sechzehn g’sunde Jahr’ und zwei Arm’, die bei jeder Arbeit schneidig zu’griffen haben. Drum hab’ ich auch gleich an guten Dienst g’funden. A paar Jahr’ sind drüber hin’gangen. Unter der Woch’ hab’ ich g’arbeit’ wie a Roß – am Sonntag aber, wann ich meine paar Halbe Bier ’trunken hab’ und bin so um einander g’stiefelt auf die Felder und im Holz – da war’s mir wohl – und oft hätt’ ich im Uebermuth gleich unsern Herrgott g’fragt, was d’ Welt denn kosten möcht’. G’rad Eins noch hat mir g’fehlt zum völligen Glück – und das Eine hab’ ich auch bald g’funden!“

Schwer athmend verstummte er; als würden ihm die Kniee schwach, so tastete er rückwärts nach dem Ofen und ließ sich auf die Holzbank niedersinken.

„Neunzehn Jahr bin ich alt g’wesen. Da bin ich amal in a Nachbarort zur Kirchweih ’gangen. Und selbigs mal – da hab’ ich a Deandl g’sehen – a ganz a jungs. Schon gleich wie ich’s ang’schaut hab’, da is mir’s so g’spaßig warm in mir drin aufg’stiegen. A gar so a liebs G’sichtl hat s’ gehabt – g’wiß wahr – und so viel gute Augen! An einzigen Tanz g’rad hab’ ich mit ihr g’macht, und nachher hab’ ich zug’schaut, wie sie sich alle um’s Deandl g’rissen haben – und a jedsmal, wenn s’ an mir vorbei ’tanzt is, da hat s’ mich ang’schaut. Wie’s nachher Abend ’worden is, hat s’ heimgehen müssen. A vier a fünf Burschen haben s’ g’führt – und ich bin nach’gangen, weit hintendrein. Wie aber ’s Deandl in ihr Haus ’nein is – in a ganz armseligs Häusl – da hab’ ich mich ’tummelt und hab’ ihr noch an guten Abend g’wunschen. In der Nacht vor’m nächsten Sonntag hab’ ich ihr den ersten Buschen an’s Kammerfenster g’steckt. Im Garten hab’ ich ’paßt – und wie s’ meine Bleameln g’funden hat, hab’ ich mich ’zeigt. Ueber und über hat sie sich verfarbt und hat ’s Fenster zug’schlagen – in der Kirchen aber hat s’ mein’ Buschen am Mieder g’habt. Und nachher – ja, nachher – da war’s halt so, daß wir uns gern g’habt haben. Gern haben – es is g’rad a Wörtl – aber was sagt sich net Alles damit! Gern haben, wenn’s Einer richtig g’spürt, heißt leben – und sterben.“

„Leben – und sterben!“ seufzte Karli vor sich hin. Lautlos saßen die Andern auf ihren Stühlen. Nur Kuni stand hoch aufgerichtet inmitten der Stube, mit halbgeöffneten Lippen, starre Spannung in den Zügen, die funkelnden Augen unverwandt auf Götz gerichtet.

Der strich sich langsam mit dem Rücken der zitternden Hand über die Stirn: „A Glück is zwiefach Glück, wann’s heimlich is ! An Kameraden hab’ ich g’habt im Deandl sei’m Ort – das war der Einzig’, der von meiner Liebssach’ g’wußt hat – a braver, seelenguter Mensch, aber auch einer von dieselbigen Hascher, auf denen ’s Leben um einander trampelt mit g’nagelte Schuh’! Sonst hat kein Mensch ’was erfahren davon – am allerwenigsten dem Deandl ihre Leut’. Die zwei, die waren a Bißl von der harben Art. Was hätt’ uns auch ’s Reden g’holfen! An a Heirathen war ja kein Denken net – ’s Deandl hat nix g’habt und ich noch weniger. Aber wir zwei, wir sind ja schon z’frieden g’wesen mit der Lieb’ allein – und jung g’nug zum Warten auch. Aber no – wie’s halt geht! Z’erst bin ich bloß alle Sonntag ’nüber – bald aber waren mir die zwei Stund’ Weg an kei’m Abend nimmer z’weit. Da hat aber auch mein Bauer bald ’was g’merkt von meine heimlichen Weg’ und hat mich zur Holzarbeit am Berg ’naufg’schafft. Keine vierzehn Tag’ noch bin ich droben g’wesen, da haben s’ mich zu die Rekruten ’packt. In der Nacht, wie ich mei’m Schatz B’hüt Gott hab’ sagen wollen – da is a Licht in ihrer Kammer g’wesen, und ’s Fenster war verhängt – und für’kommen is mir’s, als wie wenn ’s Deandl krank wär’ und wär’ ihr Mutter bei ihr drin. G’wart’t hab’ ich – und g’wart’t – und d’ Nacht is vergangen – und fort hab’ ich müssen – ohne Wort und Abschied – und vor Leid und Weh hab’ ich g’meint, es druckt mir ’s Herz schier ab. Sieben Jahr’ Soldat sein – das heißt fein ’was, wann Einer kein anders Denken net hat als auf sein Lieb’. Den Sprung aber, den ich vor Freuden g’macht hab’ – wie ich in der Stadt drin ’s Nummer ’zogen hab’ – und hab’ mich freig’spielt g’habt!“

„Freig’spielt“ staunte der Pointner. „Du warst ja doch beim achten Regiment?“

„Ich? Na – ich net! Ich hab’ mich freig’spielt. Und in der gleichen Stund’ noch bin ich davon und heimzu in ei’m Sauser. Und wie ich da durch’s Holz durch komm’ – zwei Stund’ weit von mei’m Ort – da hör’ ich von weitem schon a Rumpeln und Rasseln – und kaum daß ich mich recht versieh, da sausen Dir schon zwei scheuche Roß daher – und die Kutschen dahinter hat’s hin- und herg’worfen, als müßt’ s’ in jedem Augenblick ’neinfliegen unter die Bäum’. A Herr is dring’sessen, ganz kreidenblaß – und neben seiner a noble Frau, die g’rad ein’ Schrei um den andern ’than hat. Natürlich – was will ich machen? Wie’s halt jeder g’macht hätt’! Mit ei’m Fahrer –“ Dabei schoß er von der Bank empor und griff mit beiden Fäusten in die Luft. Eine brennende Röthe färbte sein bleiches Gesicht, seine Augen blitzten auf, und während er in fliegenden Worten weitersprach, begleitete er seine Schilderung mit hastigen, erregten Gesten. „Mit ei’m Fahrer bin ich zug’sprungen auf d’ Roß, hab’s Handpferd bei die Zügel, ’s ander’ bei der Stang’ erwischt, hab’ mich dran hing’hängt mit mei’m ganzen G’wicht – woltern a vierzig Schritt weit haben s’ mich fortg’rissen – und auf amal sind s’ g’standen und haben ’zittert am ganzen Leib – und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 815. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_815.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)