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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

konnte. Von dem revolutionären Rath verlangte er, förmlich und feierlich als Prophet anerkannt zu werden. Die besorgten Blicke nach Rom lenkte er durch die Versicherung auf sich selbst: Rom sei gefallen, der Papst für dieses Land sei bereits unterwegs. Würde er hier freie Hand gewinnen, so reise er selbst nach Paris und Italien, um den Papst absetzen und einen nach seinem Geschmack wählen zu lassen etc. Die armen gläubigen, ungebildeten Mestizen wurden durch diese Offenbarungen mit andächtiger Hingebung und blindem Vertrauen zu dem unbesiegbaren Propheten erfüllt. In Riel’s Prophetenrolle ruhten die Grundwurzel und der größte Zauber seiner Macht.

Dieser geheimnißvolle Einfluß ward verstärkt durch das glänzende Kampfziel, das er als Siegespreis vor Augen hielt, nämlich die Theilung des gesammten Landes in sieben Theile. Davon sollte ein Siebentel den Mestizen und Indianern zukommen, die andern Siebentel den Völkern, welche den Mestizen zu Hilfe ziehen würden. Gewiß nicht aus Unwissenheit nannte Riel als solche Völker: die Preußen (!), die Bayern (!), die Belgier, die Polen und – die Juden (!), sondern aus seiner Berechnung des Bildungszustandes seiner Landsleute. Wenn er gesagt hätte: die Vereinigten Staaten, die Irländer etc. rückten zur Hilfe heran, so hätte deren Ausbleiben die Mestizen stutzig gemacht – aber die Prussiens, die Bavarois, die Polen und die Juden, die brauchten längere Zeit, um sich zu sammeln und den Mestizen zu Hilfe zu eilen. So bald konnten diese nicht auf der Bildfläche erscheinen.

(Schluß folgt.)




Der Unfried.

Nachdruck verboten.
Alle Rechte vorbehalten.
Eine Hochlandsgeschichte von Ludwig Ganghofer.
(Fortsetzung.)

Guten Abend!“ grüßte Götz. Und während Karli den Gruß erwiederte, machte Kuni eine Bewegung, als hätte sie aufspringen mögen, um den, welcher da die Stube betreten hatte, vom Tische fern zu halten. Fragend schaute der Pointner zu ihr auf, und aus Gregor’s Augen traf sie ein stechender Blick. Da rückte sie mit zitternder Hand den Stuhl, als ob er schlecht gestanden hätte.

Inzwischen hatte Götz seinen Hut in die nächste Fensternische gelegt. Dort blieb er stehen, bekreuzte sich, verschlang die Hände über der Brust und betete.

Nun kam er zum Tische.

Als er sich an Karli’s Seite niederließ, schaute ihm der Bursche betroffen in die Augen. Er hatte noch niemals ein lustiges Gesicht an Götz gesehen, aber auch nie noch Züge von dieser starren Trauer und finsteren Härte.

Götz schien diesen besorgten Blick nicht zu gewahren. Er nahm seinen Löffel auf, wischte mit den Fingern darüber, legte den linken Arm auf den Tisch und wollte zu essen beginnen.

Im gleichen Augenblick zog Gregor hastig die Hand von der Schüssel, warf den Löffel nieder, daß er hoch aufsprang, und lehnte sich mit gekreuzten Armen an die Mauer zurück.

„Aber was is denn jetzt das für an Art!“ fuhr der Pointner entrüstet auf; doch als wäre er selbst über seinen Ton erschrocken, so fügte er kleinmüthig bei: „Weßwegen ißt denn net weiter?“

„Weßwegen? – Weil ich mich z’ gut dafür halt’, als daß ich mit Ei’m aus der gleichen Schüssel schlamp’, der wo im Zuchthaus g’sessen is!“

Kuni schnellte von ihrem Stuhl empor: „Gori!“ stammelte sie; doch ihre weiteren Worte erstickten unter Karli’s schrillender Stimme. Mit dunkelrothem Gesichte war der Bursche aufgesprungen und hatte den Pointner am Arm in die Höhe gerissen.

„Vater – Vater – so ’was laßt net sagen an Dei’m Tisch – und z’ allerletzt von Ei’m, dem unser Schüssel schon länger taugt, als recht is!“

„Oho! Wirfst mir gar das Bißl Essen vor!“ spottete Gregor. während der Pointner ein unverständliches Stottern hören ließ, „Soll ich Dir’s zahlen? Was kost’s?“

„So? Spötteln? Spötteln willst auch noch? Wart’, Herr Vetter – Dir lern’ ich ’s Reden im Ernst!“ schrie Karli weinend vor Zorn. Mit Stammeln und Stottern suchte der Vater ihn zu beruhigen und auf die Bank niederzuziehen. Karli aber riß sich los und schrie auf Gregor ein: „Und auf der Stell’ jetzt – auf der Stell’ giebst Rechenschaft über Dein’ Red’! Wer – wer is im Zuchthaus g’sessen? Vom Pointnerhof wohl keiner net! Denn unter unserm Dach – verstehst mich – unter unserm Dach is noch allweil Alles sauber g’wesen – bis auf a g’wisse Zeit! Wer, frag’ ich – wer is im Zuchthaus g’sessen? Meinst ’leicht, mein Vater – oder ich? Und Du, Stoffel – laßt Du Dir so a Schand’ ins G’sicht ’neinsagen? Oder Du?“

Da wurde seine zornige Sprache zum Lallen, und verstummend starrte er mit erschrockenen Augen auf Götz, welcher regungslos an seiner Seite saß, die Fäuste in den Tisch gestreckt, mit leichenblassem Gesichte, mit trostlosem Blick und zitternden Lippen.

Nur der Pendelschlag der Wanduhr, sonst war kein Laut in der Stube zu hören.

Ein häßliches Lachen unterbrach diese Stille. „Ahan, mir scheint jetzt merkst ’was von der Sauberkeit unter Dei’m Dach!“ Und lachend schob sich Gregor aus der Bank, stellte sich mit gespreizten Beinen vor den Tisch, und die Hände in die Taschen grabend, wiegte er sich auf den Hacken seiner Stiefel.

Zenz und Stoffel schauten sich mit langen Gesichtern an; der Pointner schüttelte nur immer den Kopf, wühlte mit beiden Händen in seinen Haaren und schielte rathlos zu Kuni auf, welche hinter ihrem Stuhle stand und mit unruhigen Fingern über die Lehne tastete, während ihre Augen in scheuer Erregung zwischen Götz und Gregor hin- und widerglitten; Karli aber rüttelte den Knecht am Arm und stammelte: „Na – na – es kann net wahr sein! So red’ doch, Götz – so red’ doch – und sag’s ihm, daß er g’logen hat!“

Götz schien ihn nicht zu hören; er starrte regungslos ins Leere und raunte mit gebrochener Stimme vor sich hin: „Also wieder amal! Elf Jahr’ lang’ hab’ ich a Ruh’ g’habt – elf gute Jahr’ – und jetzt is’s wieder da! Mein Lieb’ und Glück – und mein verlorenes Leben – und noch net haben s’ g’nug! Und noch net lassen s’ mich in Ruh’! Herr Gott, was für a Denken hast Du in d’ Menschen g’legt, daß s’ kein Vergessen gar net kennen!“

Mit einem schluchzenden Laut erlosch seine Stimme, und schwere Thränen tropften von seinen Wangen nieder auf den Tisch.

Wieder herrschte lautlose Stille. Von draußen aber war ein dumpfes Rauschen zu hören, das aus der Ferne sich zu nähern schien. Jetzt pfiff ein jäher Windstoß um die Mauern; mit lautem Klirren flog ein Fenster auf, und fauchend zog ein kalter Luftstrom in die Stube.

„Na – na – was das jetzt Alles is!“ stotterte der Pointner, während er sich zitternd erhob, um das Fenster zu schließen.

Langsam richtete Götz den Kopf empor. Seine nassen Augen glitten über die von der zuckenden Lampenflamme trüb erhellten Gesichter und blieben an Kuni’s blassen Zügen haften.

„Ja – schaut’s mich an! Im Zuchthaus bin ich g’sessen – und Eisen hab’ ich ’tragen – und hab’ a Menschenleben auf mei’m G’wissen.“

„Jesses na!“ hörte man drüben am Fenster den Pointner kreischen; Zenz und Stoffel rückten scheu vom Tische; sogar auf Gregor’s Lippen erlosch das spöttische Lächeln, während er betroffen den Kopf aus den Schultern hob. Nur Kuni rührte sich nicht, als hielte Götz sie gebannt mit seinen Augen. Und schwer athmete sie auf, als er die Blicke von ihr wandte und mit einem schmerzlich bitteren Lächeln auf Karli schaute, der erschrocken von seiner Seite gewichen war.

Hastig erhob er sich, stieß sich aus der Bank und blieb vor Karli stehen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 814. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_814.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2023)