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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

mir ja bisher nichts gesagt! Ihren Reden nach wollten Sie nur in der Affaire mit dem Lord nach Wiesbaden gehen.“

„Es ist wahr, ich habe Ihnen nichts gesagt, weil ich nichts gewußt habe, Eins ausgenommen. Und ich weiß noch heute nichts, immer dieses Eine ausgenommen. Dieses Eine hat noch keine Wirklichkeit, schwebt in der Luft, und wenn es sich niemals auf den realen Boden herabläßt, dann wäre es auch besser gewesen, wenn Sie es niemals erfahren hätten – und Alles hätte wieder wie früher sein können.“

„Dieses Eine aber, diese Ausnahme?“ fragte sie mit festem Tone.

„Ihre unglückliche Hast übereilt eine Entdeckung,“ entgegnete er, „die ewig verborgen hätte bleiben können. Doch für mich ist es jetzt, da diese Uebereilung geschehen, besser so. Ich bin mir keiner Schuld bewußt! ich selbst wollte, es wäre nicht so gekommen. Was sind Schicksale, die man mit Händen greifen kann, eine Verarmung, ein Todesfall, eine Feuersbrunst, gegen die unsichtbaren Schicksale im Innern des Gemüthes! Eines Tages mußte ich mir sagen, ich liebe Edith Glowerstone – und damit war das Verhängniß fertig, und was nachkommt, ist nur das Sichtbarwerden des innern Schicksals. Ich liebe Edith Glowerstone – und so schrecklich es scheinen mag, ich fühle Wonne, es Ihnen, gerade Ihnen zu sagen, Brigitta.“

„Und damit wäre Alles abgethan, meinen Sie,“ fuhr sie heftig auf, „Sie lieben, und alle anderen Bande, alle Menschlichkeit, alle Pflichten wären zerrissen und nicht mehr vorhanden? Nein, man schleudert die Vergangenheit nicht so leicht wie ein Wort in die Luft. Sie sind mir zugeschworen, Sie haben sich mir zugeschworen mit jeder Minute, die Sie in den fünf Jahren seit unserer ersten Begegnung an meiner Seite verbracht haben, mit Ihren Gedanken, mit Ihren Zukunftsplänen, mit Allem, was Sie sind. Habe ich diese Zueignung als ein Geschenk genommen, das man wieder zurückfordern kann? Nein, ich habe sie erkauft; ich habe die Verbindung mit Ihnen schwer bezahlt mit dem Aufgeben von Freunden, mit peinvoller Einsamkeit und selbst mit meinem Ruf. Anders wäre heute mein Leben, wenn ich Sie niemals gekannt hätte, und nicht umsonst will ich ein nur erträumtes Glück so schwer bezahlt haben.“

Er blieb gelassen und sagte nach einer Pause mit der Gleichgültigkeit, die Alles über sich ergehen läßt, im Bewußtsein, daß nur Eins noch auf Erden von Wichtigkeit ist:

„Was denken Sie zu thun? Das Verhängniß ist gekommen; giebt es ein Mittel, es ungeschehen zu machen?“

„Sie sprechen, als ob Sie selbst diesem sogenannten Verhängniß Alles überlassen und aus eigener Kraft nichts thun wollten, um es ins Leben zu führen. Ist dies Ihre Absicht? Bleibt wirklich Alles nur ein inneres Schicksal?“

Fast knüpfte sie eine leise Hoffnung an diese Fragen, eine Hoffnung, die im nächsten Augenblicke zerstört war. Denn jetzt kam die Erregung auch über ihn, und er sagte:

„Wie könnte es ein Verhängniß sein, wenn es mich nicht mit Gewalt zur That triebe? Ich gehe von hier zu Glowerstone und werbe um die Hand Edith’s. Den ganzen Tag will ich dort zubringen, noch einmal in das Tiefste dieser Mädchenseele zu dringen suchen, und die Frucht des Tages wird das Ja sein oder auch das Nein von den Lippen des Mädchens. Dann erst ist das Schicksal auch von außen fertig.“

„Ja, ich werde helfen, es fertig zu machen,“ rief Brigitta unwillkürlich, und ein Lächeln des Hohnes und der Grausamkeit, wie er es niemals gesehen, verzerrte fast ihr schönes Antlitz. Er blickte sie mit Erstaunen und Betrübniß an und sprach im sanftesten Tone:

„Warum wollen Sie, wie gewöhnliche Weiber, eine unbefriedigte Neigung in grenzenlosen Haß verwandeln? Brigitta, ich habe Sie so sehr geliebt, ich liebe Sie noch so sehr, und gerade daß kein Atom dieses Gefühles in der neuen Leidenschaft untergegangen ist, daß Beides ungestört neben einander besteht, giebt mir die Berechtigung, Ihnen Alles zu sagen und giebt mir den Wunsch ein, Sie für mich zu stimmen, der alten Tage zu gedenken, in denen wir es uns niemals hätten träumen lassen, uns einst feindlich gegenüber zu stehen.“

„Lassen Sie diese Weichheit,“ rief sie heftig; „ich weiß, daß man damit am leichtesten eine arme Frauenseele zu betrügen glaubt. Ich will keine Unterscheidungen der Gefühle; einfach und klar, unerschütterlich steht es vor mir: Sie haben mich um den Grund meiner Existenz betrogen, und ich brauche nichts mehr zu schonen, wenn ich mich selbst für vernichtet ansehe. Können Sie – ich frage Sie nur dieses einzige Mal, können Sie noch von dem Wahne lassen, der Sie überkommen hat, und zu mir zurückkehren, wo allein Ihr Platz ist? Sie schweigen? Nein? So gehen Sie denn an Ihr Werk! Auch in meiner Hand liegt etwas vom Verhängniß.“

Ein diabolischer Zorn hatte sie ergriffen, dem sie keine Worte gab, der aber an den Grundfesten ihrer sonst so edlen Natur zu rütteln schien. Still wiederholte sie sich, daß sie von einem Unterschied der Gefühle nichts wissen wolle; mit einer Art Genugthuung empfand sie sich als ein Weib wie jedes andere, das, im Innersten seiner Leidenschaft zu Tode getroffen, keine Täuschung und Selbsttäuschung scheut, keine Rache unterdrückt und kein Mittel bei Seite läßt, um sich vielleicht noch aufzuhelfen.

„Gehen Sie an Ihr Werk,“ sagte sie noch einmal, während Siegfried traurig, mit einem Ausdruck tiefen Mitleids sie anblickte, mit einem Ausdruck, der sie noch mehr erbitterte! „die Werbung wird Ihnen gelingen. Hat dieser Wahnsinn Sie so sehr verblendet, daß Sie, ganz zum Thoren geworden, einen Augenblick an dem Gelingen zweifeln könnten? Sie sehen dort die bitterste Armuth von den Wänden starren, jene schreckliche Armuth, die immer im Kampf mit der Unmöglichkeit ist, sich zu verbergen, die vornehme, die den Reichthum heuchelnde Armuth. Wären Sie die schrecklichste Kreatur der Schöpfung – man würde der Versuchung nicht widerstehen, nach Ihrer so großartig rettenden Hand zu greifen. Gehen Sie, und lassen Sie sich betrügen, wie Sie betrogen haben.“

Malköhne erhob sich ruhig und sprach mit dem Ausdruck der sichersten Ueberzeugung:

„Dem ist vorgebeugt, weil ich gerade dies am meisten gefürchtet habe. Darum habe ich es schon in der Hauptstadt vermieden, Sir Albert Glowerstone persönlich vor Augen zu kommen; darum habe ich mich bei Edith als einen bescheidenen Ministerialbeamten eingeführt. Niemand ahnt dort etwas Anderes.“

Brigitta ließ ein seltsames Lachen vernehmen und trat, ihm den Rücken wendend, ans Fenster. Er verließ schweigend das Zimmer.

Als sich Brigitta allein wußte, entströmten ihr plötzlich die Thränen. Ein zwiefacher Schmerz überfällt in solchen Lagen die arme Menschenseele. Neben den Wunden des Herzens bluten die des Selbstgefühls, der gekränkten Eigenliebe. Diese Wunden sind nicht die tieferen, aber im ersten Augenblick brennen sie noch heftiger als die Wunden des Herzens. Sie kam sich so verworfen, so gedemüthigt, so erniedrigt vor, daß sie am liebsten sogleich mit ihrer Existenz ein Ende gemacht hätte. Da kam ihr der Gedanke, daß die Würfel noch nicht gefallen, daß das Schicksal noch in der Schwebe, daß jenes Ja! oder Nein! von Edith’s Lippen erst die Entscheidung bringen werde. Ein unerklärlicher Muth kam für einen Moment in ihre Seele und machte ihre Thränen versiegen. O, wie wollte sie ihn trösten, wie wollte sie ihn beglücken, wenn er enttäuscht, ein leeres Phantasiebild für immer aufgebend, zu ihr zurückkehrte, die ihn allein, die ihn wirklich liebte! Sie wartete, bis von ihrer Erregung im Aeußeren nichts mehr sichtbar war; dann vollendete sie ihre Toilette und ging zur Gräfin hinab; denn sie fühlte, daß sie in der Pein der Erwartung, mit welcher Entscheidung dieser Tag enden werde, dem Wahnsinn verfallen müßte, wenn sie sich nicht mit Gewalt an gleichgültige Tageseindrücke klammerte.




14.

Am Morgen dieses Tages hatte sich Sir Albert zu Fuß in ein Nachbardorf begeben, um sich bei einem Bauer, wie schon oft, einen Ackergaul satteln zu lassen. Auf diese Weise beritten, pflegte er den Forst zu durchstreifen, und diesmal geschah es, um dem Pächter gute Nachricht zu bringen. Auf die eine oder die andere Art, durch Malköhne oder durch die Geheimräthin, mußte der Verkauf des staatlichen wie des eigenen Besitzthums endlich zu Stande kommen, und der Pächter sollte nur das Haus, das alt und wenig geschmückt war, gehörig säubern und zieren, damit die schöne Frau aus der Stadt einen gefälligen Anblick davon gewinne. Auf solche Aeußerlichkeiten sähen ja die Frauen zumeist, auch bei ernsten Geschäften. Glowerstone hatte

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