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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Langsam bewegt sich die Barke der Mitte des Stromes zu, rascher und immer rascher gleitet sie stromabwärts; nach wenigen Minuten eilt sie, ihren Gang noch mehr beschleunigend, zwischen den Felseninseln oberhalb der Stromschnelle hindurch. „O Said, gieb uns Freude,“ fleht der Reïs, während die Matrosen noch immer singen wie vorher. Schneller und schneller tauchen die Ruder in die trübe Fluth; über die braunen, gestern erst frisch gesalbten Leiber der bis auf die Lenden nackten Schiffer rieselt der Schweiß hernieder; jeder Muskel ist angespannt und in Thätigkeit. Lob und Tadel, Schmeichelworte und Verwünschungen, Bitten und Drohungen. Segenswünsche und Verfluchungen wechseln im Munde des Reïs, je nachdem das Boot mehr oder minder seinen Wünschen entsprechend dahinrauscht. Die mit aller Kraft geführten Ruderschläge beschleunigen, obwohl sie nur zum Lenken bestimmt sind, den ohnehin ungemein schnellen Lauf des Fahrzeuges und vermehren die Gefahr manchmal eben so, wie sie ihr zu steuern suchen; der Reïs erscheint daher entschuldigt, wenn er alle ihm zu Gebote stehenden Mittel anwendet, um seine Leute anzufeuern.

„Legt Euch auf die Ruder; arbeitet, arbeitet, meine Söhne; zeigt Eure Kraft, Ihr Enkel und Nachkommen von Helden; beweist Euren Muth, Ihr Tapferen; bethätigt Eure Stärke, Ihr Recken, preist den Propheten, Ihr Gläubigen! O der Meriesa, o der sinnbildduftenden Mädchen von Dongola, o der Märchen in Kairo: Alles wird Euer sein! Backbord sage ich, Ihr Hunde, Hundesöhne, Hunde-Enkel, Urenkel und Nachkommen von Hunden, Ihr Christen, Ihr Heiden, Ihr Juden, Ihr Kaffern, Ihr Feueranbeter! Ach, Ihr Spitzbuben, Ihr Schelme, Ihr Diebe, Ihr Gauner, Ihr Strolche: wollt Ihr wohl rudern?! Erstes Ruder Steuerbord, hängen denn Weiber an Dir? Drittes Ruder Backbord, schleudere die Schwächlinge ins Wasser, welche Dich führen wollen! Recht so, vortrefflich, ausgezeichnet, Ihr kräftigen, gelenkigen, behenden Jünglinge; Gott segne Euch, Ihr Braven, und gebe Euren Vätern Freude, Euren Kindern Heil und Segen! Besser, besser, noch besser, Ihr Memmen, Ihr Kraft- und Saftlosen, Ihr Elenden, Erbärmlichen – verdamme Euch Allah in seinem gerechten Zorne, Ihr, Ihr – hilf uns, hilf uns, o Mohammed!“

So entquillt es ununterbrochen dem Munde des Befehlshabers; und Alles wird mit dem größten Ernst gesagt, gesprochen, geschrieen, gestöhnt und durch entsprechende Hand-, Fuß- und Hauptbewegungen noch besonders bekräftigt und verstärkt.

Das Boot lenkt in den oberen Anfang der Stromschnelle ein. Die Felsen zu beiden Seiten scheinen sich im Wirbel zu drehen; der donnernde Schwall des Wassers überfluthet Bord und Deck und übertönt jeglichen Befehl. Unaufhaltsam wird das gebrechliche Fahrzeug einer Felsenecke zugeschleudert. Furcht, Angst, Entsetzen prägen sich in Aller Gesichtern aus – da liegt die gefährliche Stelle bereits hinter dem Stern des Bootes: die von dem Felsen zurückschäumenden Fluthen haben uns das gefährdete Schifflein zurückgeworfen; nur zwei Ruder sind am Gesteine zersplittert wie schwaches Glas. Ihr Verlust hindert die rechte Leitung der Barke, und ohne noch länger dem Steuer zu gehorchen, treibt sie einem wirklichen Wassersturze zu. Ein allgemeiner Schrei, Entsetzen und Verzweiflung ausdrückend; ein Wink des mit zitterndem Knie am Steuer stehenden Reïs, und Alle werfen sich platt auf das Deck und versuchen, hier krampfhaft sich festzuhalten; ein betäubender Krach und allseitige Ueberfluthung durch zischende, gurgelnde Wogen; einen Augenblick lang nichts Anderes als Wasser, sodann ein förmliches Aufspringen des Bootes; auch der Sturz und mit ihm Todesgefahren sind überwunden, „El Hamdi lillahi“ – Gott sei Dank – ringt sich aus jeder Brust hervor; dann eilen einige in den Raum hinab, um entstandene Lecke zu suchen zu verstopfen, andere legen neue Ruder auf; es geht weiter.

Hinter dem ersten jagt ein zweites Boot durch die gefährliche Schnelle. Mit ungestümer, fort und fort beschleunigter Hast arbeiten die Ruderer; da stürzen plötzlich alle zu Boden, und einer fliegt in hohem Bogen vom Ruder hinweg, durch die Luft und in den Strom hinab. Er scheint verloren, in der tosenden Tiefe begraben zu sein; aber nein, inmitten des kreisenden und schäumenden Wirbels unterhalb der Schnelle taucht, während die Genossen rathlos die Hände ringen, der unvergleichliche Schwimmer wieder auf, und als ein drittes Boot an dem zweiten, auf einem Felsblocke sitzenden vorüberjagt und in den Wirbel gelangt ist, erhascht er eines der Ruder und schwingt sich gewandt an Bord: er ist gerettet. Auch das vierte Boot eilt herbei; flehende Gebärden der gescheiterten Bemannung, des zweiten rufen um Hilfe; ein Aufzeigen zum Himmel ist die beredte Antwort. In der That, menschliche Hilfe kann jenen nicht werden; denn kein Fahrzeug ist hier in der Gewalt des Menschen; der Strom selbst muß helfen, wenn er nicht zerstören will, und er hilft. Heftiger werden die Schwankungen des vorn und hinten in die Wogen tauchenden und von ihnen wieder gehobenen Bootes, und plötzlich wirbelt und jagt es wiederum durch Strudel und Strömung. Einige Schiffer rudern, andere schöpfen Wasser, wie zwei im Boote reisende Weiber; wieder andere hämmern, nageln und kalfatern im Raume. Zur Hälfte mit Wasser gefüllt, kaum noch über der Oberfläche sich haltend, erreicht es das Ufer und wird ausgeladen; aber die Hälfte der Ladung, aus arabischem Gummi bestehend, ist verloren, und klagend, jammernd, weinend, auf die mit den Männern reisenden Weiber fluchend, zerrauft der Eigenthümer, ein unbemittelter Kaufmann, seinen Bart. Die beiden Weiber haben Alles verschuldet; wie könnten auch sie, welche den ersten Menschen im Paradiese bereits ins Verderben gestürzt haben, gläubigen Muslimin jemals Heil und Segen bringen! Wehe, wehe über die Weiber und ihr gesammtes Geschlecht!

Die Barke wird am nächsten Tage ausgebessert, neu kalfatert und beladen; sodann schwimmt sie mit den übrigen den nächsten Stromschnellen zu, durcheilt sie ohne weitere Schädigung und erreicht, wie sie, das fruchtbare, felsenfreie Stromthal Mittelnubiens, welches alle Schiffer gastlich empfängt und aufnimmt. Vergessen ist alsbald jegliche Sorge, welche vorher gequält hatte; wie Kinder lachen und scherzen die braunen Männer wieder, und mit Behagen schlürfen sie Palmwein und Meriesa. Viel zu rasch für ihre Wünsche führt der Strom die Boote durch das glückliche Land.

Wiederum schüttet die Wüste goldgelbe Sandmassen über die Felsen des Stromufers; wiederum beengen, zertheilen, stauen felsige Eilande das Bett des Nil; die Schiffe sind in die zweite Stromschnellengruppe eingetreten. Einer der gefährlichen Wasserläufe, einer der gefürchteten Strudel oder Wirbel, eine der sorgenbringenden Engen und Krümmungen nach der andern bleiben zurück, nachdem sie glücklich durchfahren wurden; nur die letzten und wildesten Stromschnellen trennen die Schiffer noch von dem Palmendorfe Wadihalfa und dem von hier ab nur noch einmal, unterhalb Philä, von Felsen durchsetzten, übrigens aber gefahrlosen unteren Stromthale. Alle Boote suchen oberhalb der in der That furchtbaren Stromschnellen Gaskol, Mondjêna, Abu-Sir und Hambol eine ruhige Bucht auf; alle Schiffer lagern hier bis zum nächsten Morgen, um sich für die Arbeit, Anstrengung, Angst und Sorge des kommenden Tages stärken. Auf federnden Lagerstellen geben sich auch die Abendländer erquicklicher Ruhe hin.

Die Nacht zieht ihren Schleier über das wilde Land. Im Felsenthale donnern die abstürzenden Wogen; in der stillen Bucht spiegeln sich die Sterne wieder; am Strande duften blühende Mimosen. Da tritt ein uralter, zwischen den Stromschnellen geborener und ergrauter Reïs zu den Abendländern. Sein blendend weißer Bart umrahmt das würdige Antlitz; sein weißes Obergewand mahnt an den Talar eines Priesters.

„Söhne der Fremde, Männer des Frankenlandes,“ so beginnt er zu reden, „Schweres habt Ihr mit uns überstanden, Schwereres steht Euch bevor. Ich bin im Lande geboren; siebzig Jahre hat die Sonne mein Haupt beschienen; endlich hat sie mein Haar gebleicht; ich bin ein alter Mann – Ihr könntet meine Kinder sein. So achtet der Stimme des Warners und laßt ab von Eurem Vorsatze, uns morgen zu begleiten. Unwissend geht Ihr der Gefahr entgegen; ich aber kenne sie. Hättet Ihr, gleich mir, jene Felsen gesehen, welche den Wogen die Thore schließen, hättet Ihr vernommen, wie ich, wie diese Wogen zürnend und dröhnend Ein- und Durchlaß begehren, wie sie Felsen überfluthen und brüllend zur Tiefe stürzen; bedächtet Ihr, daß einzig und allein die Gnade Gottes, den wir bewundern und erheben, unser armseliges Schifflein führen kann: Ihr würdet mir nachgeben. Würde nicht Kummer das Herz Eurer Mutter brechen, wenn die Barmherzigkeit des Allerbarmers uns verließe? – Ihr wollt nicht abstehen? So möge des Allgnädigen Gnade über uns Allen sein!“

Vor Sonnenaufgang wird es lebendig am Strande. Inbrünstiger als je zuvor sprechen die Schiffer das Gebet des

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 800. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_800.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2023)