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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Schaukeln und eleganten Restaurationslokalen besteht. Einen Heidenlärm machten nun aber die diversen Kapellen jener Schaubuden und die Dampfdrehorgeln der Karoussels, von denen man immer drei Kompositionen zu gleicher Zeit hörte, gerade wie in der Berliner Hasenheide, so daß wir endlich verzweiflungsvoll flüchteten.

Am nächsten Tage hatte ich das Vergnügen, die Bekanntschaft einiger geschätzter Kollegen zu machen, die als Leiter der besten Gesangvereine einen achtbaren Ruf unter den deutschen Sängern New-Yorks genießen. Es waren dies die Herren: Claassen, Dirigent des Eichenkranz und Brooklyner Zöllner-Männerchors, Mangold, Dirigent des Mozart-Schiller-, Franz Abt-Gesangvereins, sowie des Newarker Arion, und Spicker, Dirigent des Beethoven-Männerchors. Im Auftrage ihrer Vereine wurden mir von diesen Herren ehrende Einladungen zu Theil, denen ich auch später Folge leistete.

Zum heutigen Abend war ich durch den Präsidenten Herrn W. Steinway nach dem deutschen Liederkranz eingeladen worden. Es war dies das erste Mal, daß ich auf amerikanischem Boden in den Kreis eines hochangesehenen Vereins trat und von den liebenswürdigen Mitgliedern desselben begrüßt wurde. Als man mir mit Wärme und freudiger Begeisterung die Hände drückte, da hatte ich vergessen, daß ich nicht mehr in der Heimath, sondern Tausende von Meilen in fremdem Lande weilte. Eine ebenfalls herzliche Aufnahme wurde gleichzeitig meiner Tochter und Herrn Opernsänger J. von Witt aus Schwerin, der sich, gerade wie ich, auf der Durchreise zum Milwaukee-Sängerfest befand, zu Theil. Wir hatten alle Ursache, uns an diesem Abend in der Mitte unserer deutschen Sangesbrüder so recht von Herzen wohl zu fühlen. Manches vorzüglich gesungene Quartett, mancher herrliche Solovortrag, manche zündende Rede und mancher begeisterte Toast, besonders wenn man der alten, lieben Heimath gedachte, machten den Abend zu einem schönen und unvergeßlichen. Zu meiner Freude stellte sich mir auch ein früheres Mitglied der Berliner „Cäcilia“, Herr Mahling, vor, der vor langen Jahren bereits unter meiner Leitung gesungen hatte. Es war in später Stunde, als unser liebenswürdiger Begleiter, Herr Steinway, seinen Wagen vor unserem Hôtel halten ließ und sich von uns verabschiedete.

Wie oft ist es mir in diesem Lande vorgekommen, daß ich, manchmal ganz zufällig, Personen kennen lernte, die mir sofort mit einer Freundlichkeit und Herzlichkeit entgegen kamen, als wäre ich ein alter Bekannter, die mich in den Kreis ihrer Familie einführten und förmlich mit Güte und Liebe überschütteten! Ich habe gefunden, daß diese seltene Gastfreundschaft ein Grundzug des Deutsch-Amerikaners ist, der wohl allerdings auch zum großen Theil in der Anhänglichkeit an das alte unvergeßliche Vaterland wurzelt. So war mir und meiner Tochter durch Herrn Professor Mangold, den ich ja eben nur erst kennen gelernt hatte, eine Einladung in seine Familie geworden, deren Annahme ich ferner so manche schöne Stunde in New-York zu danken hatte. Herr Mangold ist der Neffe des Darmstädter Hofkapellmeisters M. und besitzt wie alle angesehenen Musiker in Amerika sein eigenes Heim.

Bei dieser Gelegenheit kann ich nicht umhin, ein flüchtiges Bild der amerikanischen Häusereinrichtung zu geben. Die Privathäuser bestehen in der Regel aus zwei Etagen und dem Erdgeschoß. Die erste Etage ist hohes Parterre, zu dem von der Straße aus eine Freitreppe durch den kleinen, von schönem Eisengitter abgegrenzten Vorgarten führt. Schon der Flur ist, wie alle Wohnräume, mit schweren Teppichen vollständig ausgelegt und mit Spiegel, Kandelabern und Kleiderhaltern versehen. In dieser Etage befinden sich die Empfangsräumlichkeiten, das Arbeits- und Musikzimmer; in der höheren Etage die Wohn- und Schlafzimmer nebst Baderaum etc., im Erdgeschoß hingegen das Speisezimmer, die Küche und andere Gelasse. Die innere Einrichtung der Zimmer ist durchaus luxuriös, ohne dem Gemächlichen und Wohnlichen Eintrag zu thun. Meistentheils habe ich aber Tische, Konsols und Schränkchen mit Albums, Photographien und Nippsachen so überfüllt gefunden, daß ich selbst in meinem Schlafzimmer kein Plätzchen fand, wohin ich Uhr und Börse legen konnte. Die Betten sind musterhaft, fast so breit wie sie lang sind; hierin sucht die amerikanische Hausfrau ihren besonderen Stolz. Eines der beliebtesten Möbel ist der unvermeidliche Schaukelstuhl, der sich häufig in zwei bis drei Exemplaren in jedem Zimmer vorfindet, und natürlich mit Vorliebe benutzt wird.

Also weiter! Die Frau des Hauses, eine sehr liebenswürdige und feingebildete Dame, verstand es, bei einem vorzüglichen Diner, und auch nach demselben, uns die Stunden im Familienkreise zu recht angenehmen zu gestalten, und in heiterer und fröhlicher Stimmung begab ich mich am Abend in die Versammlung des Eichenkranz.

Dieser Verein war der einzige, der sich von New-York aus an dem Sängerfest in Milwaukee, welches allerdings von hier aus über 1000 englische Meilen entfernt ist, betheiligte. Nun hatte ich heute schon die Freude, daß mir von meinen lieben Sangesbrüdern der für das Fest studirte Einzelvortrag, eine Komposition meines Freundes Köllner in Guben, in ganz vorzüglicher Weise vorgetragen wurde. Der hierauf folgende Kommers veranlaßte eine begeisterte Stimmung, und als ich nun von den etwa 800 Berliner Sängern, die einige Tage vor meiner Abreise in meinem Jubiläums-Koncert auf „Tivoli“ unter meiner Leitung gesungen hatten, die mir aufgetragenen sangesbrüderlichen Grüße an die amerikanischen Sänger übermittelte, da brach ein endloser Jubel aus, und einstimmig wurde beschlossen den Berliner Sängern vermittelst Kabeldepesche den Gegengruß zu übersenden. Durch meinen Kollegen, Musikdirektor Edw. Schultz, an dessen Adresse die Depesche gerichtet war, erfuhr ich später, daß eine betreffende Mittheilung an die Berliner Sänger, die er als Referat an eine hiesige Zeitung geschickt, nicht erschienen ist. Ob die Notiz verloren gegangen oder nicht welterschütternd genug gewesen ist, ich weiß es nicht. Die amerikanische Presse ist in dieser Hinsicht zugänglicher und zwar zu ihrem Vortheil.

Die Nachrichten aus Deutschland, und auch speciell aus dem Vereinsleben, haben für die Amerikaner eine hohe Bedeutung; in allen Ständen wird mit gleichem Interesse die Zeitung, die man für 1 Cent auf der Straße kaufen kann, gelesen; in einer einzigen Familie findet man oft zwei bis drei deutsche und englische Zeitungen; auf den Pferde- und Eisenbahnen, auf den Ferrybooten, auf den Bänken der freien Plätze, überall forscht man nach dem Neuesten. Der „New-Yorker Herald“, der seine eigene Kabelverbindung mit Europa hat, bringt oft spaltenlange Nachrichten, die sofort wieder nach den größeren Städten der Vereinigten Staaten telegraphirt werden. So habe ich den eine halbe Spalte langen Bericht über die erste Festvorstellung im Wagner-Theater in Bayreuth schon am folgenden Tage Nachmittags auf der Fahrt von Milwaukee nach Chicago in der „Ill. Staatszeitung“ in Chicago gelesen. Die Nachricht von Liszt’s Ableben war sogar zwei Stunden vor seinem Tode, selbstverständlich mit Rücksicht auf die Zeitdifferenz, in den amerikanischen Blättern enthalten.

Vom Dirigenten und einigen Mitgliedern des Eichenkranz wurde ich an diesem Abend noch nach einem beliebten Restaurationslokal begleitet, woselbst ich eine höchst interessante Bekanntschaft machte. Ein Herr, der bereits am Tische Platz genommen hatte, war mir sofort durch sein ganzes Aeußere, welches den Künstler verrieth, sowie durch sein einnehmendes, joviales Wesen aufgefallen. Und ich hatte recht vermuthet; ich hatte das Vergnügen, in diesem Herrn den berühmtesten Photographen Amerikas, Herrn Kurtz, dessen Ruf übrigens auch in Fachkreisen Europas verbreitet ist, kennen zu lernen. Im Laufe der Unterhaltung erfuhr ich von ihm, daß er vor einer Reihe von Jahren, bei Gelegenheit eines Photographen-Kongresses in Amerika, unsern bekannten Berliner Professor Vogel kennen gelernt und mit demselben verschiedene Reisen nach dem Westen zu Kunstzwecken gemacht habe. Daß ich die freundliche Einladung des Herrn Kurtz, am nächsten Tage mit meiner Tochter nach seinem Atelier zu kommen, um durch eine photographische Aufnahme unsere Bilder zur bleibenden Erinnerung zu erhalten, nicht ausgeschlagen habe, wird wohl Jedermann begreiflich finden.

Eine Schilderung der großartigen Eindrücke, die der Besuch der weltberühmten Brooklyn-Brücke, des herrlichen Centralparks und anderer Sehenswürdigkeiten auf uns hervorbrachte, unterlasse ich, da die Leser der „Gartenlaube“ bereits Gelegenheit hatten, vorzügliche Berichte hierüber in früheren Jahrgängen des Blattes zu finden.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 795. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_795.jpg&oldid=- (Version vom 4.12.2023)