Seite:Die Gartenlaube (1887) 791.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

in sein Leben eingetreten, war der Schleier von jener Liebe gefallen und sie zeigte ihr wahres Gesicht. Es war Alles: Verehrung, Dankbarkeit, Hingebung, Anbetung – nur nicht die Liebe selbst. Sie stand ihm hoch genug, um ihr zuletzt Alles zu gestehen; aber sie war ihm auch theuer genug, um ihr diese Kränkung so spät wie möglich zu bereiten.

Er trat, wie erwähnt, in den Saal, in welchem die Gräfin und Perser sich noch am Tische befanden, setzte sich zu ihnen und sprach von gleichgültigen Dingen. Allein der Ton und die Aufregung, womit dies geschah, hätten schließen lassen, daß er von Gedanken und Vorstellungen beherrscht war, die er keineswegs auszusprechen Lust hatte. Perser, der sich seines Auftrags erinnerte, sobald die Reise der Geheimräthin nach dem Rheine gesichert sein würde, Allen, die es hören wollten, davon Mittheilung zu machen, beeilte sich jetzt, die bevorstehende Ankunft Brigitta’s anzuzeigen.

Der Legationsrath verlor ein wenig die Farbe, und so sehr er sich bereits in seinem diplomatischen Berufe gewöhnt hatte, jeden bedeutenden Affekt zu unterdrücken: das namenlose Erstaunen, welches ihn in diesem Momente beherrschte, mußte sichtbar werden. Er war im Grunde eine biedere Natur, die nach sittlichen Motiven handelte, und wenn er in seinem Beruf als Politiker Verstellung und Heuchelei als eine Kunst betrachtete, deren er sich nicht zu schämen hätte: in den Angelegenheiten seines Privatlebens war er bisher unfähig gewesen, sich solcher Mittel zu bedienen. Erst die letzte Wendung seines Gemüthes hatte eine gewisse Unlauterkeit in seinem Verhältniß zu Brigitta hervorgerufen, aber im Tiefsten seines Herzens wollte er sich dafür eines Rechtfertigungsgrundes bewußt sein.

In wenigen Sekunden war er gesammelt und verlor nicht nur den Ausdruck des Erstaunens, sondern auch die Aufregung, die ihn beherrscht hatte, bevor Perser die bedeutungsschwere Nachricht mitgetheilt hatte. Nur um nicht dem Baron gegenüber wie ein Dupirter zu erscheinen und um Brigitta selbst zu schonen, bemerkte er, daß ein alter Plan der Geheimräthin mit ihrem neuesten Entschlnß zur Reife gekommen sei. Er erhob sich hierauf vom Tische; die Gräfin ließ ihre Zofe kommen und verabschiedete sich von den Herren. Diese gingen auf ihre weit aus einander liegenden Zimmer. Von dem Zweck der Anwesenheit Perser’s mit ihm noch an diesem Abende zu sprechen, wäre Malköhne unmöglich gewesen.

Er verbrachte eine schlaflose Nacht. Am nächsten Morgen setzte er sich mit Perser über die politische Angelegenheit ins Einvernehmen. Die Sache war beim Lord mit Hilfe der Gräfin bald geordnet; Perser übernahm den Dienst als Sekretär, und als er die Gräfin in ihre Wohnung zurückbegleitet hatte und noch in ihrem Salon verweilte, sagte sie:

„Sie sind gestern nicht zu Worte gekommen, lieber Baron; das Eintreten des Legationsrathes hat unser Gespräch abgeschnitten. So viel habe ich errathen, daß es nicht die Erbärmlichkeit der äußeren Umstände ist, was Sie zumeist beschäftigt; es läßt sich ja solchen Dingen auf irgend eine Art leicht abhelfen. Wenn Sie aber meine Theilnahme für Sie, die immer mehr in lebhafte Freundschaft übergeht, nicht für weibische Neugier halten wollen, so biete ich Ihnen meine Hilfe an.“

Perser theilte der Gräfin wenigstens so viel mit, daß sie die Absichten ihres Vetters Glowerstone verstehen konnte.

„Ja wohl,“ sagte die Gräfin, „ich kenne meinen Vetter sehr genau; er ist einer von den Menschen, die immer nach Geld verlangen, denen aber alles Geld der Welt nicht helfen könnte, weil sie nicht damit umzugehen wissen. Darum denke ich auch bloß an Edith und überlasse ihren Vater seinen Spekulationen; sie vertreiben ihm die Zeit und geben seiner beständigen Unzufriedenheit wenigstens einen bestimmten Gegenstand. Was er jetzt im Sinne hat, ist leicht zu durchschauen. Er wird der Geheimräthin das Besitzthum des Staates und sein eigenes aufzubürden suchen, mit dem Preis, den sie dafür zahlt, die Regierung befriedigen und ein hübsches Sümmchen für sich zurückbehalten. Damit kann er in die Hauptstadt ziehen, das Leben nach seiner Art genießen – aber wie lange? Dann fängt eine neue Spekulation und neues Elend für seine Tochter an. Warum aber sollte die Geheimräthin in die Falle gehen? Freilich, wenn sie ein unerfahrenes Weib sein sollte oder wenn die Motive des Ankaufs in dieser Gegend so stark sind, daß sie über Alles hinwegsehen muß … Wir kennen diese Motive nicht, und was geht uns die Frau an?“

Die Gräfin hielt bei dieser Frage ihre ausdrucksvollen Augen auf Perser gerichtet, der unwillkürlich seinen tiefer gehenden Antheil an den Schicksalen Brigittas äußerte. In der Gräfin erwachte die Ueberzeugung, daß der Kummer und die Niedergeschlagenheit des Barons in diesem Punkte ihre Quelle hatten.




11.

Brigitta hatte sich nach der Verabschiedung Perser’s unwohl erklärt, was ihren Bediensteten gegenüber bedeutete, daß sie keinen Besuch irgend einer Art empfange. Sie wollte ihren Gedanken ungestört nachhängen, und doch kam ihr mitten in dieser Ungestörtheit ein bisher noch nicht erlebtes Gefühl der Vereinsamung ins Herz. Warum hatte sie keine Vertraute, weßhalb war in dem großen Kreise, den sie im Hause empfing oder dem sie sich in Gesellschaften anschloß, kein einziges weibliches Wesen, mit dem sie diesen schwersten Augenblick ihres Lebens hätte theilen wollen? Sie sah plötzlich mit Grauen auf die durchlebten Jahre zurück; tausend Anlässe, hier oder dort eine Gemüthsbefriedigung, einen erquickenden Anschluß zu finden, hatte sie mit übermüthiger Freude von sich geschleudert, weil das Opfer der Erhaltung des Geheimnisses gebracht wurde, welches sie mit Malköhne verband. Es war der Brennpunkt gewesen für Alles, was man Traum und wirkliches Leben nennen konnte, und nun zeigte ihr der Schrecken vor ihrer Einsamkeit, daß sie nicht wirklich gelebt, sondern in trügerischen Träumen die Jahre aufgezehrt hatte. Sollte es auf diese Weise fortgehen können, selbst wenn sie Siegfried wieder eroberte, ja selbst wenn ihre Befürchtungen nur eitel Gespenster gewesen wären?

Denn manchmal war es ihr, als könnte ihre Angst eine grundlose sein, hervorgegangen nur aus dem beständigen Zittern vor dem Untergang ihres Glückes. Nichts hatte sie erfahren, was darauf hindeutete, daß Siegfried die Tochter Glowerstone’s wirklich gekannt oder auch nur gesehen hätte. Wohl hatte er viele Abende bei der Gräfin zugebracht, aber es geschah aus politischen Gründen, und vielleicht war ihm das Mädchen nicht bedeutend genug erschienen, um auch nur den Namen zu nennen. Allein Brigitta verwarf diesen schwindelnden Trost so rasch wieder, als er in ihr aufgestiegen war. Siegfried’s ausweichende Antwort, als sie nach der Umgebung Glowerstone’s, nach seinen Angehörigen gefragt hatte, kam ihr in den Sinn, und der schreiende Schmerz in der Seele bestätigte das Schlimmste, was sie von Siegfried dachte. Es war kein Zweifel, er war auf dem Wege, einen unerhörten Verrath an ihr zu begehen – und es sollte ihm nicht gelingen, müßten sie Beide auch in Jammer und Verzweiflung untergehen.

Gerade in diesem Augenblick der Entschlossenheit war es, daß Perser’s Telegramm eintraf. Sie wußte jetzt klar, was sie zu thun hatte. Es war spät Abends, der Schnellzug ging in den frühesten Morgenstunden ab. Sie gab ihrer Kammerfrau Befehl, das Nöthigste zurecht zu machen und sich selbst zur Begleitung auf die Reise vorzubereiten. Die Lampe in der Hand schritt sie von Zimmer zu Zimmer, um nachzusehen, was von den tausend Kleinigkeiten, die der Luxus täglich gedankenlos in Gebrauch hat, ihr unvermuthet so dienlich sein könnte, um mitgenommen zu werden. Dabei fielen ihr die letzten Geschenke Malköhne’s ins Auge, die zierlichen und kostbaren Nippessachen, die er für sie bei Carmisoli erstanden hatte. Sie dünkten ihr eine Bestätigung seines Verrathes zu sein.

Sie setzte sich an den Schreibtisch und vergegenwärtigte sich noch einmal ihr ganzes Vorhaben. Dem Geliebten nachzureisen, um ihm Scenen zu machen, das wäre eine Lächerlichkeit gewesen und zugleich eine Herabsetzung ihrer Frauenwürde, und das war ihr keinen Augenblick in den Sinn gekommen. Allein er sollte sie auch nicht ohne Weiteres zerschmettern dürfen, um auf ihrer Leiche Hochzeit zu halten. Sie hatte ihm jene Jahre geopfert, welche die letzten sind, in denen ein Weib noch vollauf glücklich werden kann, er sollte das Opfer, wenn es umsonst gebracht war, mit seinem Leben bezahlen. Sie sah nach, ob der Revolver, den sie besaß, in gutem Stande war. Dann kehrte sie zum Schreibtisch zurück und setzte ihr Testament auf. Einige

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 791. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_791.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)