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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

mit ihm zu reden und ihm zu sagen: Alles, was Du geschrieben, ist Lüge und Verleumdung. So aber hatte der Vater bisher mit keinem Worte noch jenes Briefes gedacht. Vor diesem Widerspruch blieb Karli stehen und dachte nicht mehr weiter. Er hatte allzuviel mit seinem Herzen und seiner Hoffnung auf Sanni’s Genesung zu thun, um sich lange Gedanken über Gregor und alles Andere zu machen. Vor allem suchte er die Ruhe im Hause zu wahren, ließ also Gregor seines Weges gehen, und verzog nur manchmal die Lippen, wenn er so mit ansah, wie bequem es sich der Bursche auf dem Sofa zu machen wußte, wie tief er in die Cigarrenschachtel des Pointner’s griff, wie fleißig er jeder Arbeit aus dem Wege ging, dafür aber mit staunenswerther Pünktlichkeit zu jeder Mahlzeit erschien.

Einmal aber wollte den jungen Pointner diese Langmuth doch im Stiche lassen. Es war am neunten Tage seit Sanni’s Erkrankung. Der Doktor hatte bei seinem Morgenbesuche ein gar ernstes Gesicht gezeigt und schließlich gestanden, daß dieser Tag die Entscheidung bringen müsse, entweder die Wendung zum Besseren oder – das Schlimmste. Auf des Pointner’s jammernde Bitte hatte man diese Eröffnung vor Karli geheim gehalten. Der Bursche schien es aber zu fühlen, daß ihm irgend etwas verschwiegen wurde. Mit unruhigen Augen schaute er Jedem ins Gesicht, hielt immer wie unter stätem Lauschen die Lippen halb geöffnet und schoß in zitternder Aufregung während des ganzen Vormittags in Haus und Hof umher. Mittags bei Tische hielt er es kaum eine Minute auf seinem Platze aus. Um ihn ein wenig zu zerstreuen, nahm ihn der Pointner zur Besichtigung einer Wiese mit, die man ihm zum Kaufe angetragen hatte. Auf halbem Wege aber brannte Karli dem Vater durch und rannte wieder nach Hause. Als er hier den Flur betrat und über die Treppe hinaufschleichen wollte, schlug eine scharfe Stimme an sein Ohr. Unwillig über diese Ruhestörung öffnete er die Stubenthür und sah Götz mit zorngeröthetem Gesichte vor dem Tische stehen, hinter welchem Gregor saß, der eben unter bissigen Worten ein blankes Messer in die Tischplatte stieß.

„So, g’rad kommst recht,“ fuhr Gregor auf, als er des Burschen ansichtig wurde, „und da kannst Dei’m lümmelhaften Knecht gleich sagen, wie a Dienstbot’ mit der Herrschaft ihre Gäst’ zum reden hat!“

„Vor allem bitt’ ich mir a staders Reden aus,“ erwiederte Karli gereizt. „Und im Uebrigen – was hat’s denn geben, Götz?“

„Was wird’s denn ’geben haben? An Pfifferling!“ schnitt Gregor dem Knechte die Antwort ab. „Da am Tisch bin ich g’sessen, und in der Langweil’ hab’ ich mein Messer ’raus’zogen und hab’ so a Bißl im Holz umeinander g’stupft – und da kommt auf amal der arragante Lackl da ’rein –“

„Ja, ich komm’ in d’ Stuben,“ fiel Götz mit harten Worten ein, „und wie ich sieh, daß ihm nix G’scheiters net einfallt, als daß er den ganzen Tisch verschneidt, g’rad wie a Büberl –“

„Ja Himmel, Teufel!“

„– g’rad wie a Büberl, wo zum ersten Mal an Feitl in d’ Hand kriegt – da hab’ ich mir zum sagen ’traut, daß man mit ander’ Leut’ ihrem Sach’ dengerst a Bißl feiner umgeht und schon gar mit ei’m Tisch, an dem man dreimal im Tag von der Freundschaft zehrt.“

Gregor’s blasse, verlebte Züge spielten ins Grünliche. Mit einem knirschenden Fluche sprang er hinter dem Tische hervor. Karli aber vertrat ihm raschen Schrittes den Weg, und während er mit zornigen Blicken die schneeweiß gescheuerte Tischplatte streifte, in welche Gregor’s Name schon zur Hälfte tief eingeschnitten war, stieg ihm das Blut mit dunkler Röthe ins Gesicht.

Gregor stutzte, als er in Karli’s blitzende Augen sah, und murrte: „Jetzt ich sag’ halt –“

„Und ich – ich sag’ –“ fiel ihm Karli mit bebender Stimme ins Wort; doch weiter kam er nicht; erschrocken verstummte er und lauschte nach dem Flur hin.

Fliegende Tritte eilten draußen über die Treppe nieder, die Thür wurde aufgerissen, und Kuni schoß in heller Aufregung über die Schwelle: „Is der Karli net – Gott sei Dank, Karli, daß daheim bist! Jetzt komm nur geschwind, komm, d’ Sanni is aus’m Fieber erwacht, und g’rad allweil nach Dir verlangt s’ – nach Dir, Karli, nach Dir!“

Der Bursche stand und zitterte an Händen und Füßen. Der tödlichste Schreck hätte ihn nicht so sehr um alle Fassung bringen können, wie es die jähe Freude that. Doch als ihn Kuni am Arme packte, riß er sich mit einem schluchzenden Laute los, stürmte aus der Stube, und mit zwei Sätzen stand er oben auf der Treppe. Hastig stieß er die schweren Schuhe von den Füßen und taumelte in die Kammer. Die Wärterin, welche zu Häupten des Bettes stand, nickte ihm lächelnd zu; er aber sah sie nicht, er sah nur das schmale, blasse, von den schwarzen Haaren umrahmte Gesichtchen, aus welchem zwei feuchte blaue Augen ihn in heißer Sehnsucht entgegenleuchteten, und sah nur die mageren, wachsbleichen Hände, die sich verlangend nach ihm erhoben.

„Sanni – Sanni!“ stammelte er in Weh und Freude, und vor dem Lager in die Kniee brechend, umschlang er die Geliebte mit beiden Armen und barg sein thränenüberströmtes Gesicht an ihrer Brust.

Leise weinend legte sie ihre Wange auf seinen Scheitel und streichelte ihm mit bebender Hand die Haare.

Da klang von der Thür her ein schwerer stockender Seufzer; die Beiden aber hörten ihn nicht; nur die Wärterin drehte das Gesicht über die Schulter und schaute verwundert in die finsteren Züge der jungen Bäuerin, deren Augen unverwandt und mit verzehrenden Blicken an dem jungen Paare hingen. Als aber Sanni sich plötzlich aufrichtete, wandte sich Kuni hastig ab und verschwand im Dunkel des Flurs.

Mit ängstlichen Blicken schaute Sanni um sich, und in scheuer Frage glitt es von ihren schmalen Lippen: „Wo – wo is er – wo is er denn?“

„Mußt Dich net sorgen, Schatzerl – fort is er!“ stammelte Karli ohne Besinnen; er sagte eben, was ihm der Augenblick auf die Zunge legte. „Fort is er! Fort! Und wieder ’nüber in sein Amerika!“

Erschrocken starrte ihm Sanni in die Augen; ein Zittern kam über ihre Arme, und in lautes Weinen ausbrechend, barg sie das Gesicht in beiden Händen.

Karli wollte ihr die Arme niederziehen, wollte sie mit zärtlichen Worten beruhigen, aber die Wärterin duldete nicht, daß er noch länger bleibe. Sie schob ihn zur Thür hinaus und hielt ihm dabei mit leisen Worten vor, welche üble Folgen solche Aufregung für Sanni haben könnte.

Glücklicher Weise bewahrheitete sich diese Befürchtung nicht. Tag um Tag verging, und jeder brachte einen merklichen Fortschritt in Sanni’s Besserung. Da machte nun die Frau des Lehrers den Vorschlag, daß Sanni, sobald es thunlich wäre, vom Pointnerhof in das Lehrerhaus übersiedelt werden sollte. Alle waren dafür, der Pointner, Götz, der Doktor – nur Kuni und Karli wehrten sich gegen dieses Vorhaben mit allen Kräften. Aber die Beiden mußten sich bescheiden, als Sanni selbst mit schüchternen Bitten für die Uebersiedlung eintrat. Ein sonniger Oktobertag begünstigte die Sache. Der von Götz so ziemlich wieder in Ordnung gebrachte Schimmel wurde vor die kleine Kutsche gespannt und Sanni auf den mit Kissen ausgelegten Sitz gehoben. Dann ging es in langsamem Zuge die Straße dahin; Karli führte das Pferd am Zügel, während der Pointner an der rechten, die Frau des Lehrers an der linken Seite des Wagens schritt. Götz war auf die Straße hinausgetreten und schaute dem Gefährte nach, bis es um eine Biegung des Weges verschwand.

Nun schloß er das Zaunthor und schlug die Richtung nach dem Holzhof ein; doch als er um die Hausecke biegen wollte, stand er plötzlich still. Durch ein offenes Fenster schlug aus der Stube die erregte Stimme der Bäuerin an sein Ohr: „Und ich will amal nix hören davon. Und jetzt laß mich aus!“

„Und jetzt g’rad will ich’s haben, daß Du ihn ausschaffst!“ erwiederte kaum verständlich eine zischende Stimme.

„Den Götz – und ausschaffen? Da – reiß an Stein aus der Wand! Wie so a Stein in d’ Mauer, so verwachsen is der Götz in’ Hof!“

„Ob jetzt verwachsen oder net! Ich sag’ Dir nur g’rad das Eine: er oder ich! Daß aber ich net gutwillig geh’, das brauch’ ich Dir net erst zum sagen. Da könnt’ ich ’leicht zum Abschied a Bißl ’was verzählen! G’spaßige G’schichten – ja!“

Da wurde es so still in der Stube, daß Götz den Pendelschlag der Wanduhr hören konnte. Bis in die Lippen war er erblaßt, und nun ballte er die Fäuste, schüttelte zornig den Kopf und ging mit lauten Schritten davon.

(Fortsetzung folgt.)


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