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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

„Und – ob jetzt ’s Unglück g’wiß oder ung’wiß – es wär’ mir leid, wann’s der Karli von weiß Gott wem so g’radweg hören müßt’. Drum wirst wohl nix dagegen haben, Bäuerin, wann ich ’naufspring’ zu der Holzerhütten?“

„Ja, Götz – ja – schau nur gleich, daß ’naufkommst – und sag’s ihm fein net z’ gach ins G’sicht!“

Mit verwunderten Augen schaute Götz die Bäuerin an, und ein weicher, freundlicher Ausdruck erschien in seinen Zügen.

„Hätt’s net ’denkt, daß Dich Dei’m Bauern sein Bua so jammern könnt’!“ Er hob die Hand, wie um sie auf Kuni’s Schulter zu legen, und sagte in einem Tone, als hätte er vergessen, daß er, der Knecht, vor seiner Bäuerin stehe: „Dich lernt sobald auch Keiner aus! Und schau – oft schon hab’ ich mir’s g’sagt – dengerst is ’s schad’ um Dich! Aus Dir hätt’ amal was werden können!“

„So – geh’, geh’!“ lachte Kuni bitter auf, während ein finsterer Schatten über ihre Züge huschte. „Und was nachher meinst denn, das werden hätt’ können aus mir?“

„Was anders, als aus Dir ’worden is!“ erwiederte Götz mit trockener Härte, zog die Schultern auf, nickte und verließ die Stube.

Als er den Flur betrat, hörte er über den gepflasterten Vorplatz langsame Schritte näherkommen. Dieser Schritt war ihm unbekannt. Kopfschüttelnd trat er unter die Hausthür und sah vor sich einen Fremden stehen, in schwarz und grün gewürfeltem Anzug, den zerknüllten grauen Filzhut schief über den schwarzen, ölig glänzenden Haaren. Götz hatte diesen Menschen niemals noch gesehen, und dennoch meinte er zu wissen, wer vor ihm stehe – der bewußte „Bruder“. Mit scharfen Blicken maß er den Fremden von den Füßen bis zum Kopfe, und das Resultat dieser Musterung schien kein sonderlich beruhigendes für ihn zu sein. Tiefer und tiefer furchten sich seine Brauen, während sich seine Blicke in das blasse, spöttische Gesicht und in die grauen, halb zugekniffenen Augen des Fremden bohrten.

Der stand, mit der Hüfte auf den Stock gelehnt, und ließ sich diesen nicht gerade schmeichelhaften Empfang eine Weile gefallen. Dann plötzlich kreuzte er den Rock über die Schenkel, blies gleich einem Raucher seitwärts durch die geschlossenen Lippen, und aus seinen grauen Augen blitzte ein tückischer Blick, während er mit gedehnten Worten frug: „Is die Bäuerin daheim?“

„Mir scheint!“

„No also – siehst net, daß ich ’nein will – Lackl! Geh’ halt auf d’ Seiten!“

„Die Lackeln sind bei uns net daheim – wir kriegen s’ allweil von draußen ’rein,“ erwiederte Götz mit trockenen Worten und stieg von der Schwelle, um die Thür freizugeben.

Trägen Schrittes ging der Fremde an ihm vorüber. Noch einmal kreuzten sich ihre Augen; es war das ein Blick, in welchem es die Beiden offen gestanden, daß sie sich haßten.

Götz schaute dem Andern nach, bis er ihn in der Stube verschwinden sah. Dann warf er mit einem kurzen, zornigen Lachen die Schultern auf und ging, um seine durchnäßten und verdorbenen Kleider gegen andere umzutauschen.

Als er einige Minuten später das Gesindehaus verließ, um den Weg zur Holzerhütte auf dem Sonnberg einzuschlagen, hörte er von einem der Fenster her die jammernde Stimme des Pointner’s. Er sah auch gleich, mit wem der Bauer sprach – draußen vor dem Zaune stand der Lehrer mit seiner Frau.

Götz näherte sich den Beiden. Doch hatte er den Zaun noch nicht erreicht, als er die lange Straße einher ein wirres Lärmen und Schreien tönen hörte. Erschrocken sprang er dem Gatter zu. Hier sah er, wie aus der Höhe des Dorfes sich ein dichter Menschenknäuel, der sich vor jedem Hause durch neuen Zulauf vergrößerte, dem Pointnerhof entgegenwälzte.

„Ja was is denn – was hat’s denn jetzt da schon wieder ’geben?“ greinte der Pointner, der mit müdem Gesicht und schweren Augen im offenen Fenster lag.

Der Lehrer zuckte die Achseln und schaute kopfschüttelnd dem lärmenden Trupp entgegen.

Götz aber schrie mit heiserer Stimme:

„Bauer – Bauer – da muß ’was g’schehen sein! Dein Karli is voran – und tragen thut er ’was – auf seine Arm’!“

„Ja lieber Herrgott – es wird doch ihm nix –“ Die Stimme des Pointner’s erlosch, und sein Kopf verschwand. Doch schon nach wenigen Sekunden erschien der Alte mit verstörtem Gesicht in der Hausthür, und unter stotternden Worten humpelte er der Thür zu. „Jesus Maria – ja Bua – ja Bua – ja was is denn?“ kreischte er und starrte, die Hände ringend, auf Karli, der seinem Vater entgegenwankte, von einer schreienden, wild erregten Schar umdrängt, bleich bis in die Lippen, naß von Schweiß, zu Tod erschöpft, eine seltsame Last auf den zitternden Armen. Der Pointner erkannte an dieser Last die braune Kreisterkotze, die er im Frühjahr erst für seine Holzerhütte gekauft hatte; sie war zu einem schweren Pack gerollt, mit Riemen verschnürt – und aus dem unteren Ende sah er zwei nackte, zarte Füße schwanken, während auf Karli’s rechtem Arme mit geschlossenen Augen ein blasses Mädchenhaupt gebettet lag, von welchem das gelöste schwarze Haar in langen, feuchten Strähnen niederfloß.

„Vater – da – da schau her!“ stammelte der Bursche, dessen heiße Augen keine Thränen mehr hatten. „Da schau – d’ Sanni – dem Bygotter sein’ Sanni –“

Weiter brachte er kein Wort hervor, die Erschöpfung lähmte ihm die Zunge. Keuchend drängte er sich dem Hofe zu. Während sich ihm die ganze Schar der Schreier und Gaffer nachschob, erfuhr der Pointner von den drei Holzknechten, was droben auf der Sonnbergplatte vorgefallen wäre. Noch hatten sie ihren wirren Bericht nicht zu Ende gebracht, als Karli mit wankenden Knieen innehielt. Angstvollen Blickes starrte er um sich und keuchte:

„An Doktor – g’rad betteln thu’ ich – schaut’s um an Doktor! ’s Deandl kennt mich schon nimmer – aus ei’m Fieber fallt’s ins andere.“

Ein paar Burschen lösten sich aus dem schreienden Kreise, aber ihnen voraus hatte Götz schon die Straße erreicht und rannte hastigen Laufes davon.

Auf Karli’s Arm aber legte sich eine zitternde Hand, und als der Bursche das verstörte, schweißberonnene Gesicht erhob, schaute er in die blassen erregten Züge der jungen Pointnerin.

„Mach’ weiter, Karli, und ’nein ins Haus! Da is kein’ Zeit net zum verlieren! Und in mein’ Kammer ’nauf! Mach’ weiter, geh’!“ so hörte er sie mit fliegenden Worten sagen, und willenlos folgte er, während sie ihn am Arme nach der Thür zog. Den Beiden schloß sich die Frau des Lehrers an, und so erreichten sie den Flur und stiegen die Treppe hinauf. Droben in dem Stübchen, welches Kuni bis zum verwichenen Tage bewohnt hatte, hoben die zwei Frauen das bewußtlose, im Fieber lallende Mädchen von Karli’s Armen auf das Bett, und während Kuni schon die Riemen löste, mit denen die wollene Decke um Sanni’s Körper geschnürt war, schob die Lehrerin den Burschen über die Schwelle und schloß hinter ihm die Thür.

Draußen taumelte Karli in die Arme des Vaters. Der zog ihn unter Stottern und Jammern mit fort und stützte ihn beim Niedersteigen über die Treppe gleich einem Kranken. In der Stube drückte er ihn auf den Lehnstuhl nieder, rannte nach frischem Wasser, und während er ihm aus einem Glase zu trinken gab, strich er ihm die klebrigen Haare aus der nassen, bleichen Stirn.

Inzwischen stand der Lehrer draußen unter der Hausthür und vertheidigte dieselbe gegen die Schreier und Dränger, die am liebsten den Pointnerhof gestürmt hätten – weßhalb, das wußten sie selbst nicht recht. Dabei hatten sie auch von dem Vorgange auf dem Sonnberg droben nur unklare Begriffe, und eigentlich wußten und verstanden sie nur das Eine, daß der Bygotter sein Kind hätte tödten und verbrennen wollen. Da kamen sie nun gleich überein, daß Einer, vor dem das Leben seines eigenen Kindes nicht sicher wäre, eine Gefahr für das ganze Dorf bedeute. Die Frage aber, wie dieser Gefahr zu begegnen wäre, theilte die Schreier sofort in zwei Parteien. Die älteren Männer und die Weiber wollten vor Allem die Meinung und den Rath des Pfarrers hören; die Burschen aber hielten hartnäckig an der Ueberzeugung, daß hier das einzig Richtige eine rasche Selbsthilfe wäre. Was mit dem Bygotter zu geschehen hätte, das sei die zweite Frage; vorerst komme es darauf an, daß man den „g’spaßigen Heiligen“ hinter Schloß und Riegel bringe. Da die beiden Parteien sich nicht einigen konnten, setzte jede einzelne für sich ihren Willen durch. Ein Häuflein machte sich nach dem Pfarrhofe auf, die Burschen aber zogen in lärmender Schar zum Binderholze, um von dort aus über die Gehänge des Sonnberges eine Streife nach dem Bygotter zu unternehmen. Doch wurde deßhalb der Hof vor dem Pointnerhause nicht leer. Es verblieben neben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 768. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_768.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)