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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

No. 46.   1887.
      Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.



Die Geheimräthin.

Novelle von Hieronymus Lorm.
(Fortsetzung.)


Malköhne erzählte Brigitta, daß, nicht weit vom Gute Glowerstone’s entfernt, in der Nähe von Wiesbaden ein seltsamer Fremder lebte, anscheinend ein Lord, der in diesem schön gelegenen Theile des Landes einfach seine Renten verzehrte, in Wahrheit aber einer der durchtriebensten politischen Agenten fremder Regierungen war. Er war wirklich ein Engländer, und Glowerstone, sein Landsmann, kannte ihn sehr gut. Ja, sie waren so intim, daß man viel aus Glowerstone herauszubekommen hoffte, als er wegen einer persönlichen Angelegenheit mit dem Ministerium verkehrte.

Malköhne setzte der Geheimräthin, die stets großes Interesse und große Klugheit bei den diplomatischen Geschäften ihres geliebten Freundes an den Tag gelegt hatte, jetzt erst die politische Wichtigkeit der Affaire aus einander, um die es sich handelte.

Sie begreifen nun meine Aufregung,“ fuhr er fort, „und auch mein bisheriges Schweigen, so lange ich nur Vermuthungen hatte. Ich mußte darauf bedacht sein, mich persönlich von Glowerstone ferne zu halten, weil ich den Plan nicht aufgeben wollte, ihn einmal als ein Fremder, vielleicht sogar unter falschem Namen, am Rheine aufzusuchen. Um einige Anhaltspunkte zu gewinnen, forschte ich nach den Personen, die er hier besuchte. Da fand ich denn zuletzt, daß er am häufigsten bei der Gräfin Surville vorsprach. Der Name ist Ihnen bekannt?"

„Gräfin Surville?" sagte Brigitta nachdenkend, „ich erinnere mich. Ich habe sie in der Oper gesehen; sie war in der Loge des französischen Botschafters, und ich habe nach ihr gefragt, weil mir der grandiose Schmuck der ältlichen Dame auffiel.“

„Ihr verstorbener Mann,“ ergänzte der Legationsrath, „war der Oheim des Botschafters. So kommt sie oft in sein Haus, wohnt aber selbst in einer prächtigen Villa vor der Stadt. Der Zutritt war mir natürlich leicht; ich bin mehrmals bei ihr gewesen, kam aber dabei in meiner Sache nicht vorwärts. Ich erfuhr bloß, daß sie eine Verwandte von Glowerstone ist. Sie soll im Hause seines Vaters erzogen worden sein, ist in England geboren, aber in Deutschland, sogar hier in dieser Stadt, aufgewachsen. In ihren alten verwitterten Zügen liegt ein seltsames Gemisch voll Stolz und Trauer. Für politische Dinge ist sie ganz ohne Interesse und Verständniß. Abende hindurch habe ich mich umsonst bemüht, in der hier einzig möglichen Form der geselligen Konversation, der Einkleidung des Wichtigen in das Nichtige, meinem Ziel näher zu kommen. Alles, was ich erreichte, war die Mittheilung, daß sie mit dem Lord in Wiesbaden ganz


Euridice amor ti rende. atto II Sec. II …

Titelbild der ersten Ausgabe von Gluck’s „Orfeo“, Paris 1764, gezeichnet von Monnet-Dufac,
gestochen von Le Mire. (In zinkographischer Verkleinerung).

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 757. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_757.jpg&oldid=- (Version vom 5.11.2023)