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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

denen der fallende Strom Schlamm absetzte, und besamt die eben wasserfrei gewordene Schicht mit Bohnen; einige Tage später, nachdem der Strom inzwischen etwas tiefer gesunken ist, wiederholt er seinen Besuch und die Aussaat, und so fährt er fort, so lange die Fluth fällt. Daher sieht man auf solchem, mit der Stromsenke stätig sich verbreiternden Felde Bohnen in allen Zuständen ihres Wachsthums; und eben so nimmt man wahr, daß der genügsame Landwirth gleichzeitig mit Aussaat und Ernte beschäftigt ist. Unter den allergünstigsten Umständen gestattet eine tiefer einspringende, mit Nilschlamm ausgefüllte Bucht die Anlage eines Schöpfrades zur Bewässerung eines wenige Ar umfassenden Feldes, und der glückliche Besitzer desselben ist dann im Stande, eine Kuh zu halten, also wenigstens erträglich zu leben, obwohl er immer noch als so arm erachtet werden muß, daß selbst die ägyptische Regierung nicht wagt, ihm Steuern aufzubürden. Solche Stellen aber sind selten, Oasen in dieser grausigen Wüste. Der stromaufwärts segelnde Schiffer begrüßt jeden Strauch, einen Palmbaum mit ersichtlicher Freude, ein Bohnenfeld, vielleicht das Ziel tagelanger Hoffnung, mit Jubel, ein Schöpfrad mit Dank gegen den Allbarmherzigen. Denn nicht bloß die Furcht kann sein muthiges Herz kennen lernen in diesem Felsenthale, sondern auch bitterer Mangel ihm schwere Heimsuchung bringen, ja sogar die Gefahr zu verhungern ihm drohen, wenn er nicht für Monate mit Nahrung sich versorgte.

An seiner südlichen Grenze geht das Felsenthal fast unvermittelt in den fruchtbarsten Landstrich Mittelnubiens über. Ein von zwei Wüsten eingeschlossenes, schmales Seebecken mit mehreren großen Inseln inmitten des Stromes, welches der letztere mit seinem Schlamme ausfüllte, ebenso wie er die Inseln aus solchem aufbauete, nimmt den Wanderer auf. Zwar zeigt es noch immer nicht allen Reichthum der Gleicherländer, bekundet aber doch deren Frische und Lebendigkeit in einzelnen pflanzlichen und thierischen Erscheinungen. Kaum unterbrochene Palmenwälder, in denen die köstlichsten Datteln der Erde reifen, begrenzen gegen die noch wüstenhaften Steppen hin diese liebliche Oase, in welcher die Arbeit des Ackerbauers durch reiche Ernten belohnt wird. Christusdornen und verschiedene Mimosen, welche man bisher noch nicht beobachtete, lassen erkennen, daß man den Wendekreis überschritten hat. Dem genannten Honigsauger gesellen sich andere Vögel des inneren Afrika.

Allein auch dieses Stück amnuthige Erde ist eng umgrenzt. Schon unterhalb der Trümmer des Tempels von Bankal tritt das noch immer öde und unfruchtbare Gebirge wiederum an den Strom heran und verdrängt eben so das Fruchtland wie die Wüstensteppe. Die letzte Stromschnellengruppe liegt vor dem zu Berge ziehenden Reisenden. So unsäglich arm wie das Felsenthal ist das Gebiet der dritten Stromschnelle nicht; gut bebaute, wenn auch schmale Feldstreifen zu beiden Seiten und kleine fruchtbare Inseln inmitten des Stromes verscheuchen den Eindruck trostlosen Mangels, welchen jenes hervorruft. Die Felsmassen der Ufer sind zerklüfteter als jene des Felsenthales und reich an sogenannten Steinmeeren, jenen wirr und wild über einander gethürmten Hügeln und Wällen aus Blöcken und Rollsteinen, wie sie gewaltige Ströme zurücklassen, wenn sie ihr Bett tiefer eingraben in das von ihnen ausgewaschene Thal. Zu beiden Seiten des Stromes, meist auf der Höhe der vorderen Berge des Ufers, sieht man Blöcke von mehr als hundert Würfelmeter Inhalt, welche so lose auf unverhältnißmäßig kleiner Unterlage ruhen, daß sie bei heftigem Winde schwanken und mit Hilfe von Hebeln durch die Kraft weniger Menschen abgewälzt werden können. An vielen Stellen sind diese Steinmeere so wundersam zusammengesetzt, als ob müßige Laune riesiger Kobolde gewaltet habe, um alle die Kegel und Pyramiden, Wälle und Mauern zu erbauen, welche im wirren Durcheinander die Uferberge krönen. Mehr aber noch als diese Bauten, des Stroms verleihen alte Bauwerke von Menschenhand der dritten Stromschnellengruppe ein besonderes Gepräge. Auf allen geeigneten Felsvorsprüngen der Ufer, insbesondere aber auf größeren Felseninseln, erheben sich Gebäude mit Umfassungsmauern, Thürmen und zackigen Zinnen, wie solche anderswo im Nilthale nicht bemerkt werden. Es sind Festungswerke früherer Tage, Burgen gewesener Häuptlinge der Anwohner des Stromes, welche errichtet wurden zu Schutz und Trutz, um Leben und Habe vor den feindlich andrängenden Nachbarstämmen zu sichern. Roh über einander geschichtete, meist ausschließlich mit Nilschlamm vermörtelte, unbehauene Steine bilden die Grundmauern und Wälle, dicke, gegenwärtig größtentheils verfallene oder verfallende Wände aus lufttrockenen Schlammziegeln den Oberbau gedachter Burgen, welche weniger durch ihre Bauart als durch die Kühnheit der Anlage fesseln. Aus der Mitte des rauschenden Stromes z. B. steigt ein nackter, tiefschwarzer, glänzender Felsen auf, dessen Gipfel solche Feste trägt. Wild umbrausen die Wogen seinen Fuß; aber unerschütterlich widersteht er dem Schwalle, und sicher trägt er das ihm anvertraute Schutzhaus des Menschen. An seiner stromabwärts liegenden Seite hat er die Wellen beruhigt und dadurch, Dank dem allbelebenden Strome, neuen Schmuck gewonnen. In dem stillen Wasser lagerten sich im Laufe der Zeiten fruchtbare Schlammschichten ab, und eine Insel entstieg allmählich den Fluthen; der Mensch bemächtigte sich des fruchtbaren Eilandes, pflanzte die Palme und legte Felder an, und so entstand auf und hinter dem Felsen ein freundliches Bild der Sicherheit und Wohnlichkeit, welches gerade durch seinen Gegensatz zu der umgebenden unruhigen und öden Wasser- und Felsenwüste ergreifend wirkt.

An der südlichen Grenze der dritten Stromschnellengruppe beginnen die Steppen und Waldungen der Wendekreisländer Afrikas, in denen nur hier und da Felsen an den erstarkten Strom und seine größeren Zuflüsse herantreten. Ueber einhundert geographische Meilen weit durchfließen Abiadt und Asrakh, der weiße und blaue Nil, fruchtbares fast ebenes Land; dann erst finden sich wiederum einige Stromschnellen. Sie aber gehören nicht mehr zu dem Bilde, welches ich in seinen gröbsten Umrissen zu zeichnen versuchte. Nubien allein ist das Land der Katarakte des Nil.

Es mag dahingestellt bleiben, in wie fern und in wie weit der Nubier durch seine Heimath beeinflußt oder zu dem gemacht wurde, was er ist: so viel aber kann nicht in Abrede gestellt werden, daß er sich von dem heutigen Aegypter, seinem Nachbar, eben so bestimmt unterscheidet, wie seine Heimath von der des Aegypters verschieden ist. Beide haben mit einander nichts gemein, weder Gestalt noch Hautfarbe, weder Abstammung noch Sprache, weder Sitte noch Gebräuchlichkeit, kaum selbst den Glauben, obwohl der eine wie der andere heut zu Tage das Bekenntniß ablegt: „Es giebt nur einen Gott und keinen Propheten Gottes außer Mohammed.“

Die Aegypter von heute sind Mischlinge der alten Aegypter und der eingewanderten arabischen Horden aus Jemen und Hedjâs, welche sich mit den früheren Einwohnern des unteren Nilthals verquickten, die Nubier Abkömmlinge der „wilden Blemmyer“, mit denen die Pharaonen des alten, mittleren und neuen Reiches wie die ägyptischen Herrscher der Ptolemäer fortdauernd und keineswegs immer siegreich kämpften. Jene reden die Sprache, in denen Mohammed’s „Offenbarungen“ niedergeschrieben wurden, diese eine gegenwärtig in mehrere Zweige zerfallende Mundart des Altäthiopischen; jene pflegen ein uraltes Schriftthum; diese haben wohl nie ein solches gehabt, welches in ihrer eigenen Sprache wurzelte. Jene bekunden noch heute den Ernst der alten Aegypter wie der Söhne der Wüste, von denen sie entstammen, denken mit der allen Morgenländern innewohnenden Angst während ihres ganzen Lebens an das Jenseits und regeln nach ihren Träumen von demselben Sitten und Gebräuche; diese haben sich die heitere Lebensfreudigkeit der Aethiopier bewahrt und leben wie Kinder in den Tag hinein, das ihnen Wohlthuende ohne Dank, das ihnen Schmerzliche mit lauter Klage entgegennehmend, und das Eine wie das Andere unter dem Einflusse des Augenblicks leichtfertig vergessend. Auf Beiden lastet gleichschwer das Joch des Fremdherrschers: der Aegypter aber trägt es stöhnend und grollend, der Nubier gleichmüthig und ohne zu murren; jener ist ein verbissener Sklave, dieser ein williger Diener. Jeder Aegypter dünkt sich hoch erhaben über den Nubier, hält sich, seiner Abstammung, Sprache und Sitte halber, für edler, als dieser in seinen Augen es sein soll, prahlt mit seiner Bildung, obgleich solche nur wenigen seines Volkes zugesprochen werden darf, und sucht den dunkelfarbigen Mann eben so unbedingt zu unterdrücken, als er selbst widerstandslos der auf ihm lastenden Knechtschaft sich fügt; der Nubier erkennt die leibliche Ueberlegenheit des Aegypters im Allgemeinen, die geistige Bildung hervorragender Männer des Nachbarvolkes willig an, scheint sich kaum bewußt zu sein, daß ihm eigene Bildung mangelt, ist zwar auch geneigt, den minder

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