Seite:Die Gartenlaube (1887) 739.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

sein.“ Wirklich ergab sich hier, wie vorausgesagt, eine Differenz von vier Takten.

Teresina Bondini, die erste Zerline, zeigte sich im ersten Finale etwas zimperlich und war nicht dazu zu bringen, den verhängnißvollen Aufschrei ordentlich auszustoßen. Nach mehreren Versuchen, die sich als vergeblich erwiesen, hörte man sie endlich in natürlichster Weise erschrocken aufschreien: Mozart war nämlich auf die Bühne gegangen und hatte die Bondini im richtigen Momente plötzlich um die Hüften gepackt. „So ist’s recht,“ rief er ihr lachend zu, „so muß man aufschreien!“

In Prag war der Erfolg des „Don Giovanni“ ein ganz außerordentlicher, in Wien aber, woselbst die Oper am 7. Mai 1788 zum ersten Male gegeben wurde, ein ziemlich geringer. Trotz aller Zusätze und Aenderungen wollte das Werk anfangs nicht recht gefallen. „Die Oper ist göttlich,“ sagte Kaiser Josef zu Da Ponte, Mozart’s Librettisten, „vielleicht noch schöner als ‚Figaro‘; aber das ist keine Speise für die Zähne meiner Wiener.“ Als Da Ponte diesen Ausspruch des Monarchen Mozart mittheilte, bemerkte Letzterer schlagfertig: „Lassen wir ihnen Zeit zu kauen.“

Reizend ist die Antwort, die Rossini in einer Gesellschaft auf die Frage gab, welche von seinen eigenen Opern ihm die liebste sei: „Eh bien, c’est Don Giovanni“. Viardot (dessen Frau, Pauline Viardot-Garcia, so glücklich ist, im Besitze der Mozart’schen Originalpartitur zu sein, deren Ausstellung im Foyer der Großen Oper in Paris gelegentlich des Jubiläums beschlossen wurde) erzählt auch in der „Illustration“ vom Jahre 1855, daß Rossini, der eine ganz besondere Vorliebe für den „Don Juan“ hegte, ihn mit den Worten besucht habe: „Ich will niederknieen vor dieser heiligen Reliquie.“ Im Geburtslande Rossini’s dauerte es jedoch recht lange, bis das Mozart’sche Meisterwerk das richtige Verständniß und die ihm gebührende Verehrung fand; ja heute noch ist der Kreis Jener, welche die Bedeutung „Don Giovanni’s“ zu würdigen verstehen, ein sehr geringer. Würde man es für möglich halten, daß in einer Stadt des angeblichen „Landes der Musik“, in Florenz, im Jahre 1857 des Heils die Oper – ausgepfiffen und für „veraltete hyperboreische Musik“ erklärt wurde?! …

Nach der ersten Aufführung des „Don Juan“ in Deutschland gab es übrigens gleichfalls Stimmen, auch „kritische“, welche sich mehr oder weniger gegen die Mozart’sche Oper wendeten. Es wird gewiß zur Erheiterung unserer Leser beitragen, wenn ich diese „Don Juan“-Reminiscenzen mit einem Citate aus der Kritik über die erste Aufführung der „Oper aller Opern“ in Berlin (20. Dec. 1790) schließe, die sich in der „Chronik von Berlin“ (IX, S. 132 ff.)[WS 1] befindet. Dieser weise Kritikaster predigt Mozart zum Schlusse seiner Besprechung folgendes: „… aber theatralische Musik kennt keine andere Regel, keinen anderen Prüfungsrichter als das Herz; ob und wie sie darauf wirkt, bestimmt alsdann allen Werth derselben. Nicht Kunst in Ueberladung der Instrumente, sondern das Herz, Empfindung und Leidenschaften muß der Tonkünstler sprechen lassen; dann schreibt er groß, dann kommt sein Name auf die Nachwelt und ein immer grünender Lorbeer blüht ihm im Tempel der Unsterblichkeit. Gretry, Monsigny und Philidor werden davon Beweise sein. Mozart wollte bei seinem ‚Don Juan‘ etwas Außerordentliches, unnachahmlich Großes schreiben; so viel ist gewiß, das Außerordentliche ist da, aber nicht das unnachahmlich Große! Grille, Laune, Stolz, aber nicht das Herz war ‚Don Juan’s‘ Schöpfer, und wir wünschen lieber in einem Oratorium oder sonst einer feierlichen Kirchenmusik die hohen Möglichkeiten der Tonkunst von ihm zu bewundern erhalten zu haben, als in seinem ‚Don Juan‘, dessen Ausgang so ziemlich analog ist mit einer Schilderung des jüngsten Gerichts, wo wie Seifenblasen die Gräber aufspringen, Berge platzen und der Würgengel des Herrn mit der Schrecktrompete zum Aufbruch bläst. Bei alledem (!) hat diese Oper der Direktion gute Einnahmen geschafft, und die Galerie, die Logen und das Parquet werden in der Folge nicht leer sein; denn (sic!) ein geharnischter Geist und feuerspeiende Furien sind ein sehr starker Magnet. Ach, Verstand der Abderiten!“

„Ach, Verstand der Abderiten!“ rufen sicherlich auch unsere Leser aus und klappen mit uns die „Chronik von Berlin“ zu. Rich. Robert.     




Blätter und Blüthen.


Bernhard v. Langenbeck †. (Mit Portrait S. 725.) In der Nacht vom 29. auf den 30. September starb in Wiesbaden Bernhard v. Langenbeck, einer der größten Chirurgen unseres Jahrhunderts. Er entstammte einer Familie, in welcher der ärztliche Beruf seit langen Zeiten eingebürgert war, und sein Oheim, der berühmte Professor J. Martin Langenbeck in Göttingen, war sein hervorragendster Lehrer und Meister. Bernhard Langenbeck, der zuerst in Göttingen und Kiel docirte, erlangte rasch einen bedeutenden Ruf; denn als im Jahre 1847 Dieffenbach plötzlich im Hörsaale während einer Operation, die er auszuführen hatte, gestorben war, glaubte man für den Lehrstuhl der Chirurgie an der Berliner Universität keinen würdigeren Nachfolger finden zu können, als Langenbeck, der damals erst 37 Jahre alt war.

Er hat die Hoffnungen, die auf ihn gesetzt wurden, glänzend erfüllt. Die Chirurgie verdankt ihm viele ihrer größten Fortschritte, und berühmte Meister wie Billroth, Hüter etc., die auf deutschen und ausländischen Universitäten wirken, waren einst seine Schüler. Langenbeck war der eifrigste Vertreter der „konservativen Chirurgie“, welche bei den Operationen möglichst schonend vorgeht und von den zu operirenden Theilen so viel als möglich zu erhalten bestrebt ist.

Während z. B. früher bei Knochen- und Gelenkverletzungen die Chirurgen meist zur Amputation des ganzen Gliedes schritten, brachte Langenbeck die Knochen- und Gelenkresektionen zur allgemeinen Geltung, wodurch zahllose Verwundete und Verunglückte vor einer gänzlichen Verstümmelung bewahrt wurden. Nach dieser Richtung hin konnte Langenbeck namentlich in der Kriegschirurgie segenbringend wirken und that es auch in allen Kriegen, welche Preußen in letzter Zeit geführt hatte. Schon im Jahre 1869 wurde er zum Generalarzt erster Klasse à la suite der Armee ernannt. Mit dieser Charge ist der Oberstrang verbunden; aber der König verlieh Langenbeck, um ihn ganz besonders auszuzeichnen den Rang eines Generallieutenants.

Nach den Angaben der Tageszeitungen und der Konversationslexika wurde Langenbeck am 9. November 1810 in Hannover geboren; dem gegenüber wird jetzt vom Pastor v. Hanffstengel die Behauptung aufgestellt, der „Altmeister der deutschen Chirurgie“ habe am 8. November 1810 in Padingbüttel im Lande Wursten das Licht der Welt erblickt. *     

Ein Museum der Steuerbehörde. Wie in London, so hat auch in Paris die Steuerbehörde ein großes Museum (musée de l’octroi) errichtet, in welchem sie der Erfindungsgabe und dem Genie derjenigen Rechnung trägt, welche den Kampf mit ihr in höchst scharfsinniger Weise aufzunehmen und durchzuführen versuchten. Setzt die Behörde doch damit auch zugleich ihrem eignen Scharfsinn ein Denkmal, welcher alle diese Listen zu durchschauen und zu enthüllen vermochte; freilich war sie oft längere Zeit hindurch das Opfer der beabsichtigten Täuschungen. Wandert man durch die Säle dieses Museums, so findet man eine große Menge von Gegenständen, welche sich dazu hergeben mußten, steuerpflichtige Waaren vor den Augen der Behörden zu verbergen: über einander geschichtete Porcellanteller, von denen nur das obere und untere halbe Dutzend als solche zu benutzen sind, während den übrigen der Boden fehlt und sie so sich zur Aufnahme verpönter Artikel eignen; Statuen in Lebensgröße und kleinere Puppen, anscheinend aus Wachs und Papiermaché gebildet, unbearbeitete Holzstämme oder Leinwandrollen, die sich bei näherer Prüfung als Blechgefäße ergaben, die mit Baumrinde oder Leinwand umkleidet sind; Früchte, wie sie die Landleute auf den Markt bringen, aber inwendig hohl. Auch in Deutschland sind ja Tournüren bekannt, mit deren Hilfe schon manche vornehme Dame eine Sünde gegen das Zoll- und Steuergesetz beging, eben so Westen mit weiten wasserdichten Innentaschen.

Doch einige dieser Merkwürdigkeiten des Zollmuseums sind mehr im großen Stile gehalten; da ist ein gewaltiger Block von karrarischem Marmor, der dem Anschein nach nur durch bedeutende Transport- und Hebekräfte in das Museum gebracht werden konnte: doch dieser Koloß ist federleicht; es ist ein kunstvoll aus dünnem Blech gefertigter Felsblock, einer von sechs gleichartigen Genossen, welche aus Italien kamen und in ihrem Innern Spitzen im Werthe von 150 000 Franken verbargen. Die Wachspuppe eines Lakaien erinnert an ein anderes pikantes Zollabenteuer. Dieser Lakai saß mit gekreuzten Armen auf einem leichten Wagen, den ein eleganter Herr täglich durch die Steuerbarrieren von Paris lenkte. Da begegnet ihm eines Tages das Unglück, daß der Wagen nicht weit vor der Accise an einen Markstein anprallte und umschlug. Der Wagenlenker wurde besinnungslos fortgetragen; der Lakai hatte sich eine Stirnwunde beim Sturze zugezogen, doch aus derselben strömte nicht Blut, sondern – Kognak, und in dem ganzen Wagen war in verborgenen Höhlungen Alkohol untergebracht.

Ein drittes merkwürdiges Stück des Museums ist ein Sarg, den ihm die Stadt Marseille zum Geschenk machte. Während der Cholerazeit im Jahre 1884 fuhr alltäglich ein schwarzbehangener Leichenwagen mit einem Sarg durch das Thor der Stadt, dem auch die Zollbeamten die üblichen Honneurs machten. Als aber auch nach dem Erlöschen der Cholera derselbe Leichenwagen täglich mit peinlicher Pünktlichkeit zum Thor hinausfuhr, erschien das den Zollbeamten verdächtig; sie untersuchten Wagen und Sarg und fanden, daß der letztere mit Cigarren angefüllt war.

Die Kunst und die Artillerie. Daß der Dienst bei der Artillerie eine Fundgrube humoristischer Lebensbilder sein kann: das hat Friedrich Hackländer bewiesen, der seine Jugendzeit zum Theil mit dem Wischer und Zündstock in der Hand zugebracht hat. Ohne diese militärische Vorschule hätte er seine ansprechenden „Bilder aus dem Soldatenleben“ und seinen Roman „Der letzte Bombardier“ nicht zu schreiben vermocht. Die Stätte, wo Hackländer diese Studien machte, ist die Dominikanerkaserne in Köln, welche wahrscheinlich demnächst niedergerissen werden wird, indem das neue Postpalais an ihre Stelle treten soll. In jener alten Kaserne haben indeß noch andere Kunstjünger eine militärische Lehrzeit vollbracht: zu ihnen gehört Junkermann, der ausgezeichnete Fritz Reuter-Spieler, dessen Lebensbeschreibung wir in Nummer 42 brachten. Am Stuttgarter Hoftheater fand er einen früheren Vorgesetzten aus der Kaserne wieder, den ehemaligen Artillerielieutenant Wentzel, der dort noch heute engagirt ist. Einer der damaligen Kanoniere ist sogar jetzt Leiter des Berliner Hofschauspiels geworden: es ist dies Anno, der als Komiker bei den deutschen Bühnen seinen Weg gemacht, dann Direktor des Berliner Residenztheaters wurde, wo er die neufranzösischen Dramen mit Geschick in Scene setzte und wegen seiner Regietalente jetzt die einflußreiche Stellung am Berliner Hoftheater erhielt.

Auf der Sparkasse in Wien. (Mit Illustration S. 733.) Seitdem der Dichter den Wienern einen Ruf als Phäakenvölklein gemacht, bei dem immer am Herde der Spieß sich dreht, ist auch die Mythe gang und gäbe geworden: der Wiener könne nicht sparen; doch zu jeder Zeit hat es auch in Wien sparsame Leute gegeben und in unseren Tagen ist dort die Schar der Sparer zahlreicher als je.

Eine kurze Periode hindurch – während der sogenannte „volkswirthschaftliche Aufschwung“ die Köpfe verwirrte – war das Sparen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Chronic von Berlin oder Berlinsche Merkwürdigkeiten. Herausgegeben von Tlantlaquatlapatli. 9. Bändchen, 201. Stück (5. Februar 1791) SLUB Dresden
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 739. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_739.jpg&oldid=- (Version vom 29.7.2022)