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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Der Unfried.
Eine Hochlandsgeschichte von Ludwig Ganghofer.
(Fortsetzung.)


Ein gellender Aufschrei zitterte in die Luft – Sanni hatte ihn ausgestoßen – und mit gerungenen Händen warf sie sich dem Vater entgegen. Der Bursche aber riß sie an seine Seite zurück, und während er den einen Arm um ihre Schultern preßte und den anderen wie zur Abwehr über seine Stirn warf, brach es in heißen, bebenden Worten von seinen bleichen Lippen: „Sorg’ Dich net, Sanni – ich kenn’ kein Fürchten net – und sehen soll er’s, Dein Vater, daß wir z’sammg’hören, ich und Du!“

Noch hatte er nicht ausgesprochen, da stand der Bygotter schon auf Schrittesbreite vor den Beiden. Einen Augenblick noch schien es, als müßte er die erhobenen Fäuste nun niederschmettern über das Haupt des Burschen – dann aber ließ er langsam die Arme sinken und stierte keuchend zu Boden, als vermöchte er die unerschrockenen, zornigen Blicke nicht zu ertragen, die ihm aus Karli’s Augen entgegenblitzten.

Aufathmend drückte der Bursche die Geliebte noch enger an sich. Doch Sanni wand sich aus seinen Armen, und die zitternden Hände faltend, stammelte sie unter Thränen: „Vater – Vater –“

Auf der Sparkasse in Wien.0 Originalzeichnung von G. Zafaurek.


Da richtete der Bygotter sich in die Höhe, und vor der unheimlichen Wildheit, die in seinem verzerrten Gesichte zuckte und aus seinen rollenden Augen flackerte, erstarben die Worte auf Sanni’s Lippen. Mit einem taumelnden Schritte trat er dicht vor das Mädchen hin; ein Schauer überrann seine hagere Gestalt, und mit keuchender, kaum verständlicher Stimme raunte er seinem zitternden Kinde zu:

„Das Siegel der Vollendung warst Du mir – Deines Vaters Leben solltest Du sein – und Deines Vaters Vernichtung willst Du werden. Tausend Wege sind – und einer nur ist Gottes Weg. So wähle zwischen ihm und allen – wähle zwischen Deinem Vater und diesem, der Deinen Sinn bethöret, auf daß Du buhlest mit ihm in Sünden!“

Ein krampfhaftes Schluchzen erschütterte seine Brust; er drückte die zuckenden Fäuste wider seine Stirn und wankte in das Gebüsch, dessen Zweige raschelnd hinter ihm zusammenschlugen.

Die Beiden folgten ihm mit den Augen und standen wie erstarrt. Karli war es, der zuerst wieder Bewegung und Sprache fand. „Na – na – das is ja die helllichte Narretei!“ stotterte er. „Sanni – Sanni – zu dem laß’ ich Dich nimmer heim! Der is ja freilich zum Fürchten – der! Komm, Sanni, komm – Du gehst mit mir!“

Als er bei diesen Worten ihren Arm mit beiden Händen umklammerte, fuhr sie aus ihrer Betäubung auf, starrte ihm mit angstvollem Blick ins Gesicht und stammelte: „Er is mein Vater, Karli – mein Vater!“

„Und ich, Sanni? Was bin denn nachher ich? Bin ich Dir gar nix – han?“

Da schlug sie ihre Arme um seinen Hals und unter Küssen weinte sie: „Mein Alles, Karli – mein Alles bist – mein Alles – aber – aber –“

Laut schluchzend riß sie sich von ihm los, raffte das Linnenzeug vom Ufer und flog davon wie ein gescheuchtes Reh.

„Sanni – Sanni!“ hörte sie Karli mit bebender Stimme noch rufen, als sie die Büsche schon gewonnen hatte.

Blaß, erschöpft und zitternd erreichte sie das Zaunthor des väterlichen Gehöftes. Dasselbe stand weit offen vor ihr, und auf der Hausthürschwelle kauerte der Vater, mit aufgestützten Armen, das Gesicht in die Hände vergraben. Als Sanni den Hof betrat, warf er den Kopf empor, und wie in wilder Freude blitzte es über sein Gesicht. Je näher ihm aber Sanni kam, desto starrer und härter wurden seine Züge wieder, und regungslos, mit lauernd funkelnden Blicken schaute er in ihre scheuen, flehenden Augen, während sie vor ihm stand, bebend am ganzen Leibe, keines Wortes mächtig. Er sprach keine Silbe; er stellte keine

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verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 733. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_733.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2023)