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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

sein Urtheil. Viele Werkleute sind daran gewesen, und ein jeder hat sein Bestes nach dem Maß seiner Kräfte und Fähigkeiten gethan. Hat auch keiner eine billige Kritik zu fürchten, so ist es auch keine Schande zu sagen, daß wir Alle einer solchen bedürfen. – Was ich mit dem Buche wollte, ist in dem Programm kund gegeben, mit dem es begonnen hat. Meine Encyklopädie ging von dem Gedanken aus, nur eine allseitige Bildung erkenne unsere Zeit für die wahre, und jedes Mittel, jene zu fördern, habe etwas Verdienstliches. Als ein solches Mittel dachte ich mir ein Realwörterbuch des menschlichen Wissens und Könnens, in welchem Jeder das, was er suche und bedürfe, auffinden könne, ein Buch, welches in einer mäßigen Anzahl von Bänden den Kern und Schatz einer großen Bibliothek in sich schließe. Kannst du – so folgerte ich – einem solchen Werke eine allgemeinere Verbreitung geben, so giebst du der Fortbildung des Volkes eine Stütze und den Mächten der Verdummung zerbrichst du die gefährlichste Waffe. – Mein Motto war: die Intelligenz Aller ist der stärkste Hort der Humanität und Freiheit.“ – Es war Joseph Meyer nicht vergönnt, für die weitere Entwickelung und Verbesserung seines großen Unternehmens – jenes Werks, welches das umfangreichste seiner Gattung in der gesammten Litteratur und ein bleibendes Denkmal der Kultur und der Anschauungsweise der Zeit, in der es entstand, ist – selbst noch wirken zu können; er starb schon ein Jahr nach der Vollendung, aber er hinterließ das Erbe seines Geistes einem Sohn, welchem es gelungen ist, es in der That besser zu machen.

Burg Fleckenstein im Elsaß. (Nach Specklin.)

Hermann J. Meyer schuf, dem Wahlspruch seines Vaters treu und in der Einsicht, daß eine zweite Auflage des großen Lexikons eine Unmöglichkeit sei, das „Neue Konversationslexikon für alle Stände“, das 1858 bis 1860 in 15 Bänden vollendet wurde, und dem 1861 bis 1868 die zweite Auflage, eine Neuarbeit nach verbessertem Plane, folgte. Einen bedeutenden Aufschwung indeß, auch in der inneren Einrichtung, gewann die dritte Auflage, die 1873 zu erscheinen begann und eine bis dahin unerhörte Verbreitung fand. Erst von dieser Auflage, an welcher sich eine stattliche Reihe unserer vorzüglichsten Gelehrten und Schriftsteller als Mitarbeiter betheiligte, datirt die große Popularität des Meyer’schen Konversationslexikons, wie es der gegenwärtigen Generation bekannt ist. In nicht weniger als 15000 Häusern fand es während des verflossenen Jahrzehnts Eingang, und der Herausgeber ließ es sich angelegen sein, durch fünf ebenfalls mit außerordentlichem Beifall aufgenommene eigenartige jährliche Supplementbände zur Neuerhaltung und Vervollkommnung des Werkes beizutragen. Auch der illustrative Theil des Werkes erhielt von Auflage zu Auflage eine wesentliche Vervollkommnung und Vermehrung. Die Probe-Illustrationen, welche diesen Artikel schmücken, mögen dem Leser einen, wenn auch sehr geringfügigen, Einblick in die Mannigfaltigkeit der belehrenden Abbildungen des Lexikons gestatten.

So vorbereitet, wurde vor zwei Jahren die vierte Auflage ins Werk gesetzt, der ein gleicher Siegeszug beschieden ist. An planmäßiger, geschmackvoller, sachgemäßer Durchführung übertrifft sie alle ihre Vorgänger.




Blätter und Blüthen.

Deutsche Gouvernanten in England. Da ist ein englisches Buch erschienen von Wilhelm F. Brand, dem auch unsere „Gartenlaube“ viele interessante Artikel über englische Zustände verdankt; es hat den Titel: „London Life, seen with German eyes“ (Londoner Leben, mit deutschen Augen gesehen) und enthält viele feine Beobachtungen über das Leben und Treiben in der Weltstadt. Was Brand über die deutschen Gouvernanten in London sagt, dürfte in Deutschland besondere Beachtung verdienen. Die Zahl der nach England strömenden deutschen Lehrerinnen ist überaus groß; auch finden allerdings viele derselben Stellungen. Sind sie so unterrichtet, daß die englischen Hausfrauen die ganze Erziehung ihrer Töchter ihnen anvertrauen können, so werden sie mit Rücksicht auf ihre Vielseitigkeit und Gewissenhaftigkeit vor den Erzieherinnen aus anderen Nationen bevorzugt. Diejenigen haben die meisten Aussichten, welche Deutsch und Französisch zu lehren verstehen, auch Unterricht in Musik und, wenn möglich, in Malerei und Latein ertheilen können. Die Gouvernanten, die man „finishing governesses“ nennt, das heißt solche, welche die letzte Hand an die Erziehung der Tochter zu legen im Stande sind, erhalten oft ein Jahresgehalt von 100 bis 120 Guineen; andere müssen sich aber mit geringeren Gehältern begnügen, als in Deutschland bezahlt werden. Es kommen eben auch viele junge Damen nach England, welche kein Examen gemacht haben und überhaupt ganz unfähig zur Kindererziehung sind. Sodann wird den deutschen Gouvernanten häufig der Vorwurf gemacht, sie hielten zu wenig auf ihr Aeußeres, und in der That kann man es einer Mutter nicht verargen, wenn sie nicht als Erzieherin, die doch ein Vorbild für die Tochter sein soll, eine Dame wählt, welche sich geschmacklos kleidet und linkisch in ihrem Benehmen ist. Am besten ist’s in England, wenn die junge Dame zu schneidern versteht und sich selbst ihre Kleider machen kann, da die Kleiderstoffe in England wohlfeiler sind als anderswo.

In Deutschland sind die Gouvernanten an das Leben im Kreise der Familie gewöhnt; sie werden oft als die ältesten Töchter des Hauses betrachtet und sind überall gern gesehen. In England werden sie in das Schulzimmer verwiesen; außerhalb desselben haben sie keine Rechte; hier nehmen sie die Mahlzeit einsam zu sich, während die ganze übrige Familie zusammen bei Tisch sitzt und den Abend gemeinsam verbringt. Die Engländer wollen in ihrer Familie durch keine Fremden gestört sein und nicht auf eine Gouvernante Rücksicht nehmen müssen.

Diese Abgeschlossenheit der Lehrerinnen ist gewiß eine Härte; doch sie hat auch wiederum den Vorzug, daß dieselben nicht ihre Abende langweiligen Tisch- und Gesellschaftsgesprächen zu opfern brauchen, sondern ihren Geist durch freigewählte Studien fortbilden können.

Unter dem Patronat der Herzogin von Connaught, der Großherzogin von Baden und anderer Fürstlichkeiten hat sich in den letzten Jahren ein deutscher Gouvernantenverein gebildet, welcher in jeder Hinsicht nur Gutes wirkt und deßhalb rasch eine geachtete, angesehene Stellung erlangt hat. Der Verein läßt nur solche Lehrerinnen zu, die ihre Berechtigung nachweisen können. Diese erhalten Stellungen, soweit dies irgend möglich ist, und für Krankheitsfälle sowie für die freien Feiertage ist ihnen ein Heim geschaffen, wie sie es sonst nirgends finden können. Stoßen sie auf Schwierigkeiten, so finden sie bei erfahrenen Kolleginnen Rath und Hilfe. Die Gesellschaft zählt 700 Mitglieder. Sonst ist es sehr schwer für deutsche Gouvernanten, Stellung zu finden; nicht jede hat persönliche Empfehlungen; die Anzeigen in den Zeitungen sind in England sehr theuer und die Vermittlung durch Agenten hat ihre großen Schattenseiten. †      

Als künstlerisches Ereigniß ersten Ranges wird überall in Deutschland die kürzlich in München durch Konservator Hauser bewerkstelligte wundervolle Restauration der Darmstädter Madonna von Holbein gefeiert. Bekanntlich ging diese aus dem jahrzehntelangen Kampf der Kunstgelehrten 1872 als Siegerin über die Dresdener Madonna hervor, nachdem eine genaue Vergleichung der beiden sowie der vorhandenen Studien das Darmstädter Bild als das ältere Originalwerk festgestellt hatte. Immerhin blieb dem Dresdener der Vorzug viel größerer Farbenpracht und Schönheit der Köpfe; man sah wohl: das Darmstädter war im Lauf dreier Jahrhunderte schlimm übermalt und gefirnißt worden; allein zum Wagniß einer Restauration wollte sich der hohe Besitzer des Bildes doch nicht verstehen. Erst auf dringendes Zureden seines neuen Galerie-Inspektors, Herrn Hoffmann-Zeitz (des bekannten Malers der „Francesca da Rimini“, „Heilige Elisabeth“ u. a.), der aus langjährigem Münchener Aufenthalt Hauser’s vortreffliche Methode und große Erfolge kannte, entschloß er sich dazu. Der Inspektor kam mit dem sorgsam verpackten Schatz in München an und nach kurzem Aufenthalte in dem geheimnißvollen Parterreraum der Pinakothek, wo Apparate, Flaschen und Fläschchen die Tische bedecken, stand ein wundervolles Bild da, ein echtes Meisterwerk.

Der dicke schwarze Ueberzug ist verschwunden, mit ihm alle fremde störende Uebermalung. In ursprünglicher Herrlichkeit und Leuchtkraft heben sich die Figuren vom Grunde, und ihre Züge stimmen jetzt in Linien und Ausdruck vollständig mit denjenigen der Dresdener Kopie überein. Das Kind auf dem Arm der Madonna lächelt nicht mehr krampfhaft; diese selbst hat die Steifheit verloren und blüht in holdseligem Jugendreiz; der hintere Frauenkopf, bisher eine schattenhafte Maske, tritt aufs Lebendigste hervor; der vordere aber, die klugblickende Bürgermeisterin, die knieenden Kinder mit dem entzückenden blonden Knäbchen, vor Allen die Prachtgestalt des Bürgermeisters Meyer selbst, sind von einer Frische, als habe das Bild gestern die Staffelei verlassen.

Zeugte nicht schon die unvergleichliche Schönheit und Feinheit der Ausführung laut für dieses Bild als Original, so würde es ein hochwichtiger Umstand thun: man sieht erst jetzt nach entfernter Schmutzkruste ganz deutlich unter der obersten Farbenschicht allerhand frühere Kontouren an den Kopftüchern der Frauen, den Haaren des Mädchens, der Hand des knieenden Jungen u. s. w., welche genau mit den in Basel befindlichen Studien Holbein’s zu dem Bilde stimmen, von ihm aber während der Arbeit abgeändert wurden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 706. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_706.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2023)