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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

lauert die lüsterne Krähe am seichten Ufer, um zu fischen oder zu krebsen, und man irrt, wenn man geringschätzig von ihrem Erfolg nach dieser Richtung hin denkt. Wie zutraulich sie gewöhnlich erscheint, bei der Verfolgung setzt sich alsbald nicht bloß in den bedrohten Krähen Mißtrauen fest, sondern auch in denen, welche die Vorgänge aus der Ferne mit angesehen haben oder denen dieselben von andern der Sippschaft erzählt worden sind. Die Noth macht erfinderisch. Das bewies eine Krähe, deren Weibchen heißbrütend auf dem Neste saß und vor dem anschleichenden Jäger nicht fliehen wollte. Das Männchen stieß jäh auf das Nest herab und trieb das Weibchen mit Gewalt zur Flucht. Dieser Vorgang stellt sich als ein wahrer Triumph der Thierseele in Bezug auf die Befähigung zu verstandesmäßigem Schließen dar, giebt uns aber auch zugleich den Schlüssel zur Würdigung des Scharfsinns und der Ueberlegung, mit welcher die Krähe in ihren Raubunternehmungen aufzutreten vermag.


(Schluß folgt.)




Der Unfried.
Nachdruck verboten.
Alle Rechte vorbehalten.
Eine Hochlandsgeschichte von Ludwig Ganghofer.


(Fortsetzung.)


Als Karli mit Götz die Stube betrat, suchte er mit den Augen die Stelle, an welcher das Bild seiner Mutter gehangen – und fand die Mauer leer.

„So, Mutterl – so? Bist schon dahin – und hast schon Platz g’macht? Ah ja – für mich wird’s auch bald Zeit sein!“ Mit beiden Händen deckte er das Gesicht, wankte nach der Bank und warf sich schluchzend über den Tisch. Dann wieder fuhr er auf: „Na – g’wiß wahr – Alles, Alles könnt’ ich ihm verzeihen, aber nie net hätt’ ich mir ’denkt, daß er so falsch sein kann, und daß er mir net amal den Tag anzeigt, an dem er Hochzeit macht.“

„Dein Vater hat Dir geschrieben – am selbigen Morgen noch, an dem der Tag von der Hochzeit festg’setzt worden is. Ich selber war dabei, wie er den Brief dem Postboten ’geben hat – und gestern muß der Brief in München g’wesen sein.“

„Und gestern bin ich fort! Aber na – na – ins Lager hat er mir noch g’schrieben, daß Alles gut und recht wär’, und daß die Kuni lang schon fort is in ihr Hamath.“

„Sie war auch fort – aber freilich, fünf Tag’ später war s’ wieder da, mit die Schriften, denk’ ich, wo s’ zur Heirath ’braucht hat. Ich sag Dir’s, Karli, bei der, da könnt’ a Fuchs in d’ Schul’ gehen. Am selbigen Tag, wo Du fort bist, hab’ ich mir gleich schon ’denkt, es muß ’was B’sonders ’geben haben. Aber daheim im Haus, da hat man kein Wörtl nimmer g’hört, und von mir selber bin ich halt auch net hinter ’s Richtige ’kommen. Wie ’s Deandl nachher fort war, hab’ ich freilich g’merkt, daß Dein Vater allweil um mich ’rumgeht, als möcht’ er mir ’was sagen, was ihn druckt, oder möcht’ mich fragen um ’was. Aber er wird halt ’s Kurasch net g’funden haben – und wie die Kuni wieder da war, da hat er sich schon so wie so kein Wort nimmer z’reden ’traut – ja, ich sag’ Dir’s, diemal hat er sich völlig ang’schaut, wie wann er sich fürchten thät’ vor ihr – weiß Gott, wegen was – und ganze Tag’ sind g’wesen, wo kein’ Lacher von ihm nimmer g’hört hast! Und da kannst Dir jetzt denken, wie ich g’schaut hab’ – ich und alle und ’s ganze Dorf mit einander – wie auf amal am letzten Sonntag Dein Vater mit der Kuni verkündt worden is in der Kirchen – einmal für dreimal. Und gleich am andern Tag is d’ Hochzeit festg’setzt worden.“

„Und Du, Götz – Du hast gar nix g’sagt – und zug’schaut hast, statt daß mei’m Vatern fürg’stellt hättst –“

„Was willst von mir! Ich bin der Knecht, und Dein Vater is der Bauer. Und amal, da hab’ ich’s dengerst vergessen und hab’ Dein’ Vater drum ang’redt – aber d’ Antwort hab’ ich von der Kuni ’kriegt. Und von der Stund’ is ’s Deandl Dei’m Vater nimmer von der Seiten g’wichen – und wo ich ’gangen und g’standen bin, da war auch die Kuni net weit. Ich weiß ja, daß ich ihr noch nie net ’taugt hab’. Sie hat von eh’ was g’habt gegen mich, das hab’ ich an Allem g’merkt – und b’sonders seit dem Tag, Karli, wo Du ins Manöver fort bist. Von da an hat s’ Dir so a g’spaßige Freundlichkeit g’habt für mich – weißt – so a Freundlichkeit, bei der der Haß aus alle Augen schaut – der Haß und d’ Furcht! Und so gar Unrecht hat s’ auch net damit! Vom ersten Schritt ins Haus ’rein hab’ ich’s ihr ang’sehen, daß die nix Gut’s net unters Dach ’rein bringt. Aber diemal nachher – diemal is mir’s dengerst wieder g’wesen, als ob ich mich ’täuscht hätt’ in ihr – mit mei’m unguten Glauben. Denn daß ich Dir’s sag’, Karli – ich will Dein’ Vater net weiß malen – aber sie hat ’was an ihr, wo Ei’m ankann –“

Jählings richtete Karli das verweinte Gesicht empor, und mit einem höhnischen Gelächter, das Zorn und Thränen halb erstickten, schrie er gegen die Decke: „Ja jetzt is schön – Du also auch – ja sag’ – ’leicht bist mir gar noch eifersüchtig auf mein’ Vater!“

„Dir, Karli, kann ich nix verübeln – und heut’ schon g’wiß net. Und daß ich in der Kuni ’s Deandl g’sehen hab’ – ich weiß – das glaubst ja dengerst net von mir. G’rad einmal, Karli’ – ein einzigsmal g’rad haben meine Augen nach so ’was ausg’schaut – und kein zweitsmal nimmer in mei’m Leben!“

Vor dem tiefernsten, schmerzdurchzitterten Ton dieser Stimme verging dem Burschen das Lachen, und mit erschrockenen Augen starrte er auf den Knecht.

Götz athmete schwer auf, fuhr sich langsam mit den Händen über die geschlossenen Augen und sprach mit rauher Stimme weiter: „Was mich diemal an der Kuni so g’spaßig an’packt hat – ich ’ kann’s net sagen – und gar lang hat so ’was auch nie net ’dauert bei mir. Oft war’s bloß a Minuten – und in der nächsten hab’ ich ’s Deandl schon wieder g’rad so ang’schaut, wie selbigsmal, wo s’ mir die erste Hand hin’boten hat. Ich hab’s von Anfang g’wußt, daß mit der Kuni der Unfried zur Thür’ ’rein tanzelt – aber daß sich derselbig Anfang zu ei’m solchen End’ auswachst, das hätt’ ich mir dengerst nie net träumen lassen! Denn schau, Karli – daß ich Dir’s offen einb’steh’ – was ich g’forchten hab’, hab’ ich g’forchten ganz allein für Dich – denn weißt, in junge Jahr’, da is halt ’s Blut so a Sach’ – das kann Dir Keiner besser sagen als wie ich – und um Dich wär’s mir leid g’wesen – um Dich und d’ Sanni!“

„Für mich hast g’forchten, Götz – für mich?“ stotterte Karli, während eine flüchtige Röthe seine verstörten Züge überhuschte. „No schau – ein’ Offenheit is die ander’ werth!“ Und mit stockenden Worten berichtete er dem Knechte, was in jener Nacht nach seinem lustigen Abschied vorgefallen.

Erregte Spannung im Gesichte, mit vorgestrecktem Kopfe, Schritt um Schritt, kam Götz auf Karli zu gegangen.

„Natürlich, wie ich am andern Morgen nach’denkt hab’ über alles,“ so schloß der Bursche, „da hab’ ich halt auch nix anders ’glaubt, als daß die Kuni ihr’ Rechnung g’macht hätt’ mit mei’m rauschigen Blut. Aber was für a unsinnige Einbildung das g’wesen is, das hab’ ich gleich erfahren müssen, wie ich ’runter ’kommen bin in d’ Stuben –“

Karli verstummte und schaute mit fragenden Blicken in die seltsam funkelnden Augen des Knechtes, der mit heftigem Griffe seinen Arm umklammert hatte und nun in überstürzten, halblauten Worten auf ihn niedersprach: „Und wie in d’ Stuben ’kommen bist, Du hast zum spötteln ang’fangt – gelt? Und hast es ihr so hing’rieben, was sie für Eine wär’? Und z’erst, da hat s’ Dich ang’schaut, wie wann s’ kein Wörtl net verstehen thät’ – gelt? – und nachher auf amal, da hat s’ Dir g’rad ins G’sicht ’neing’lacht – und hat Dir g’sagt, wie denn Du so ’was von ei’m Deandl denken könntst, das über a paar Wochen schon Hochzeit mit Dei’m Vater macht? Red’, sag’ ich Dir – hab’ ich Recht oder net?“

„Ja, Götz – ja – so is g’wesen!“ stotterte Karli. „Aber – wie kannst denn Du erfahren haben –“

Wieder verstummte er und schaute kopfschüttelnd auf Götz, der die Hände an die Stirn schlug und unter heiserem Lachen den Kopf zwischen die aufgezogenen Schultern drückte.

Und in die seltsamen Laute dieses Lachens mischten sich jetzt die näherkommenden Klänge von Trompeten, Geigen und Klarinetten, mischte sich das Kreischen und Krachen der Jauchzer und Schüsse, die den Hochzeitszug auf seinem Wege begleiteten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 699. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_699.jpg&oldid=- (Version vom 26.10.2023)