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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Der Raub in der Thierwelt.

Charakterdarstellungen von Adolf und Karl Müller. Mit Originalzeichnungen von Adolf Müller.
II. (Fortsetzung.)

Bei den Nachtraubvögeln, den Eulen, sind die Fänge wie bei den Tagräubern auch die Waffen, die in erster Linie zum Fang und Mord dienen, so, sie erscheinen als solche zum Theil noch wirksamer. Dem ersten Schlag des furchtbaren Uhu erliegt die nicht allzu große Beute gewöhnlich gleich. Tief gräbt sich der sehnige, mit scharfen Bogennägeln versehene Fang in den Sitz des Lebens ein. Die Unternehmungen dieses unheimlichen Nachtthieres bestehen im Aufscheuchen der ruhenden Thierwelt durch weckende Flugzüge über Felder, Wiesen und Waldblößen oder in jähem Ueberfall. Der Jagd vermag dieser Unhold empfindlichen Schaden zuzufügen Dagegen erweisen sich die Eulenarten sonst

Schleierkauz von Tagvögeln ausgezankt.

als wesentlich nützliche Vertilger schädlicher Nager. Ihre Gewölle zeugen von ihren Thaten, wenn sie auch zum Theil mehr als oberflächlich eingreifen in die Reihen der Insektivoren. Die Stärke der Eulen als Räuber liegt in dem unhörbaren Flug, dem die Nacht durchdringenden Auge, der außerordentlich wirksamen Fang- und Mordwaffe. Mit einem gewissen Grausen gedenken wir der sicher gezielten, augenblicklich tödtenden Fangschläge in die Käfige edler Sänger, so der Singdrosseln zur Nachtzeit, mit gründlichem Respekt der am offenen Fenster Abends von Schleiereulen ausgeführten Angriffe auf einen Mann, der ihre beiden Jungen in die Stube hereingenommen hatte. Mit jedem Schlage flogen Hautfetzen vom Kopfe und strömte das Blut herab. Das Verhältniß des Schleierkauzes zu den ihn umgebenden Kleinvögeln ist der Art, daß bei ihrem Erscheinen am Tage oft große Erregung in diesem befiederten Völkchen entsteht und die verschiedensten Vertreter der Sängerarten ihn umfliegen, Aengstlichkeit, Unwillen und Neugierde zugleich offenbarend. Wahrlich, ein interessantes Scenenbild für den aufmerksamen Beschauer!

Kehren wir zu Räubern des Tages zurück und verlassen wir die eigentlichen Raubvögel. Wir greifen uns als den Repräsentanten und das Urbild aller Raben den Kolkraben heraus, in welchem wir eine außerordentliche Schärfe der äußeren Sinne verbunden finden mit weitgehender Berechnung, Schlußbildung und Folgerung der Verstandesgabe. Der Mensch ist schon von weiter Ferne in seiner Gefährlichkeit oder Nichtgefährlichkeit von diesem Rabenkopf erkannt. Es ist, als ob er jede Bewegung in ihrer Bedeutung und Absicht verstehe, den Feind nach dem Kleide beurtheile, das er trägt, aus der Haltung seine Verdachtsgründe schöpfe. Die Küchlein der Hühner, Enten, Gänse und Truthühner auf Anger, Feld und Weide, wenn sie nur von einem Kinde gehütet werden, zieht er sofort in den Bereich seiner Raubpläne, und trotz der abwehrenden Versuche in Ton und Gebärde wagt er den frechen Diebstahl vor den Augen des geringgeschätzten Menschleins. Dem tapfer sich wehrenden und seine Jungen hinter sich vertheidigenden Mutterhasen versetzt er mit dem Schnabel, dieser derben, kraftvoll geführten Waffe, im Flugstoß betäubende Hiebe, die unter Umständen auch tödten und verloren ist dann die ganze Hasensippschaft, denn eins nach dem andern der Kleinen, deren Sitz sein vortreffliches Ortsgedächtniß genau sich gemerkt hat, trägt er zum nahen Walde oder zum einsamen Ort der Flur. Sein Horst zeugt durch die Reste der Vorräthe von der Vielseitigkeit und Fülle des Raubes. Alles durchforscht er, Bäume, Büsche, Flur, Trift, Wiesengrund, Fluß- und Teichufer. Was da stiegt und kriecht, kann er's bewältigen, wird unbarmherzig gemordet. Seine seelische Begabung führt ihn zu gemeinschaftlicher Ausführung von komplicirten Anschlägen mit einem Genossen, wobei die Rollen geschickt vertheilt sind.

An der Elster und dem Heher dürfen wir nicht vorübergehen; denn sie sind wahre Verwüster der Vogelbruten, erstere vorzugsweise in Fluren und Gärten, letzterer in Wäldern. Während die Elster hauptsächlich die ihr Sicherheit bietenden Morgenstunden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 697. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_697.jpg&oldid=- (Version vom 26.10.2023)