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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Es war die Geliebte, die sich ablehnend gegen ihn verhielt. Auch in einem Silbenräthsel in Sonettenform feierte er sie:

„Zwei Worte sind es, kurz, bequem zu sagen,
Die wir so oft mit holder Freude nennen,
Doch keineswegs die Dinge deutlich kennen,
Wovon sie eigentlich den Stempel tragen!

Es thut gar wohl in jung’ und alten Tagen,
Eins an dem andern kecklich zu verbrennen,
Und kann man sie vereint zusammennennen,
So drückt man aus ein seliges Behagen.

Nun aber such’ ich ihnen zu gefallen
Und bitte, mit sich selbst mich zu beglücken;
Ich hoffe still, doch hoff’ ich’s zu erlangen,

Als Name der Geliebten sie zu lallen,
In Einem Bild sie beide zu erblicken,
In Einem Wesen beide zu umfangen.“

Jetzt nachdem Gaedertz diese Briefe aufgefunden, müssen wir annehmen, daß Minna die Neigung des Dichters erwiederte; er war zwar achtundfünfzig Jahre alt; doch wie die greise Minna selbst es aussprach: Goethe war immer jung, man merkte bei ihm nicht das Alter. In einem Briefe an eine Freundin vom 10. Februar 1808 schreibt sie: „Goethe war aus Weimar herübergekommen, um hier recht ungestört seine schönen Gedanken für die Menschheit bearbeiten zu können und so denen, die sich so sehr bemühen, immer besser zu werden, auf den rechten Weg zu helfen und ihnen Nahrung für Kopf und Herz zu verschaffen. Er wohnte im Schloß, zu unserer großen Freude; denn wenn wir seiner Wohnung nicht so nahe gewesen wären, wer weiß, ob wir ihn dann jeden Abend gesehen hätten; denn er muß sich doch auch ein Bischen nach seiner Gesundheit richten, die zwar jetzt im sehr guten Gleise ist. Er war immer so heiter und gesellig, daß es Einem unbeschreiblich wohl und doch auch weh in seiner Gegenwart wurde. Ich kann Dir versichern, liebe beste Christiane, daß ich manchen Abend, wenn ich in meine Stube kam und Alles so still herum war und ich überdachte, was für goldene Worte ich den Abend wieder aus seinem Munde gehört hatte, und dachte, was der Mensch doch aus sich machen kann, ich ganz in Thränen zerfloß.“

Und aus ihrer Heimathstadt Züllichau, wo sie zum Besuch bei ihrer Schwester war, schreibt sie am 15. Oktober 1808 an dieselbe Freundin: „Alles, was mich trübe machen konnte, verbanne ich aus meiner Seele; wer weiß, ob ich nicht ganz geheilt werde, und dann ist mir geholfen, wenn ich nur mein begangenes Unrecht wieder gut machen könnte!“

Wilhelmine Herzlieb.

Das sind zweifellose Liebesgeständnissc, und das letztere könnte sogar Bedenken erregen, ob Minna immer die Hoheit der Fürstin gewahrt.

Im Jahre 1812 hatte sie sich mit Professor Pfund verlobt. Doch löste sie das Verhältniß wieder. Goethe schrieb im Februar 1813 an die Malerin Luise Seidler: „Grüßen Sie Minchen. Ich habe immer geglaubt, dies Geistchen gehöre einem treueren Element an; doch soll man sich überhaupt hüten, mit der ganzen Sippschaft zu scherzen.“

Im Jahre 1821 heirathete sie Professor Walch in Jena. Doch die Ehe war nicht glücklich; die Gleichgültigkeit steigerte sich bis zu völliger Abneigung. Walch’s Tod 1853 löste das unglückliche Verhältniß. Die Greisin starb am 10. Juli 1865 in einer Heilanstalt für Geisteskranke zu Görlitz.

Minchen Herzlieb war, wie man wohl vermuthen darf, das Urbild für die Ottilie in den „Wahlverwandtschaften“. Das wäre das dauernde Denkmal, das ihr der große Dichter gesetzt hat.†      

Nach dem Mont Saint Michel. (Mit Illustration S. 673.) Eines jener Länder, um welches Geschichte und Poesie die Aureole des Interesses und der Schönheit gesponnen, ist die Normandie. Im Allgemeinen darf man wohl sagen: jeder Theil derselben ist des Besuches werth, bietet ein besonderes Interesse: sowohl die historisch berühmten Städte mit ihren Kirchen, Kathedralen und alten Bauwerken, wie die schön bewaldeten Thäler und schlössergekrönten Hügel mit den silbernen Wasserfädcn und Bändern, die sich die Abhänge bald nackter Kalkfelsen, bald anmuthiger, von Buchen und Birken begrünter Berge hinabwinden oder in geraderem Laufe durch die smaragdgrünen Wiesen und üppigen Obstgärten ziehen, und die reizenden Dörfer, in denen das Weinlaub sich reich um die Fenster schlingt und selbst bis zu den mannigfarbigen Dächern emporklimmt.

Das im Ganzen sehr fruchtbare, reich angebaute Land gleicht in vielen Gegenden vollständig einem Garten. Alles ist voll Leben und athmet Fülle; es giebt wenig Länder, die diesem vergleichbar sind. Brennt einmal die Sonne so recht auf den Asphalt der Pariser Boulevards nieder, daß sie die ganze Bevölkerung auf die Schattenseite der breiten Straße schüttet, wie eine Sanduhr, die man umdreht; kommt die Jahreszeit, in der auch die Nächte keine Kühle bringen, da treibt es uns aus der Weltstadt fort, da wenden wir uns mit Vorliebe nach der Normandie, an deren Küsten wir die ersehnte Kühle finden, und zwar suchen wir zunächst den äußersten Westen der Provinz auf. Es ist dies das Departement La Manche, die westliche Halbinsel, Cotentin genannt, eine küstenreiche Landschaft, fruchtbar, besonders an Getreide, mit wenig Wäldern, aber weiten Wiesen, welche Pferde und Kühe nähren. Mit einem Theile der beiden östlich angrenzenden Departements des Calvados und der Orne bildet es die sogenannte Basse Normandie (Unternormandie), die wieder in viele einzelne Landschaften zerfällt.

Zwei Hauptschienenwege führen von Paris aus dahin, ein nördlicher nach Cherbourg, ein südlicher nach Granville, einem Städtchen, das sich immer mehr zum vielbesuchten Seebade gestaltet. Folgt man der am Meer entlang laufenden Straße nach Süden, so gelangt man auf einer dreistündigen Fahrt mit der Diligence nach dem reizenden Städtchen Avranches, mitten in der Biegung des rechten Winkels gelegen, welchen die Küsten der Normandie und der Bretagne hier bilden.

Aus dem Innern des Landes kommen von Osten nach Westen zwei Flüßchen herunter, die Sée und die Célune. Zwischen beiden ragt ein ziemlich steiles Vorgebirge mit Avranches auf dem nach dem Meere hingekehrten Rande. Vor dessen Fuß vereinigen sich die Flüßchen, um ein breites und flaches Thalland zu bilden, welches während der Fluth ganz vom Meere bedeckt ist. Mitten in dieser bald festen, bald flüssigen Ebene erhebt sich, wie hingezaubert, ein steiler Felsenkegel, der bis zu seiner Spitze mit Bauwerken bedeckt ist. Das ist der Mont Saint Michel, seit dem frühesten Mittelalter halb Kloster, halb Festung. Wir theilen eine gelungene Abbildung desselben mit. Um zu dieser Feste zu gelangen, muß man von Avranches zu einer Stunde abfahren, wann die Ebbe eintritt. Ueber breite, sandige Niederungen, welche mitunter von starken Sturmfluthen überspült werden, gelangt man nach ein- bis zweistündiger Fahrt auf den schlechtesten Wegen der Welt an die gewöhnliche Fluthgrenze.

Hier glaubt man das Ziel fast erreicht zu haben; aber man täuscht sich und hat noch eine gute Viertelstunde in gerader Linie über den spiegelglatten Sand in scharfem Trabe zu fahren, ehe man anlangt. Aus der Entfernung macht der Mont Saint Michel den Eindruck des Anmuthigen und Wunderbaren zugleich – in der Nähe ist er von überwältigender Großartigkeit. Als Basis seiner Pyramide, welche man in einer guten Viertelstunde umschreiten mag, erscheinen hier unersteigliche Granitwände, dort cyklopische Mauern mit Zinnen und Thürmen; darüber hinauf die Häuser des Dörfchens, dann wieder Felsen, dazwischen hohe Mauern mit ragenden Widerlagen; endlich bildet sich die Spitze in einer großen, über Alles emporblickenden Kirche, einem gewaltigen, schmucklosen Granitwerke, halb romanischen, halb gothischen Stiles, von dessen Mittelthurm man, zwischen Himmel und Felsen schwebend, eine herrliche Aussicht auf die Küsten der Normandie und Bretagne genießt – wahrlich ein erhabenes Schauspiel, das seines Gleichen sucht.

Der Ritt der Zietenhusaren zur Donau. (Mit Illustration S. 677.) In den Junitagen dieses Jahres durchzog eine glänzende Reitertruppe die deutschen Lande. Es waren 23 Officiere des brandenburgischen Husarenregimentes Nr. 3, welches dem deutschen Volke unter dem stolzen Namen Zietenhusaren wohl bekannt und lieb ist. Auf ihrem eiligen Ritt vom Norden nach dem Süden Deutschlands wurden sie überall freudig begrüßt; die Officierkorps verschiedener Regimenter ritten ihren ankommenden Kameraden an vielen Orten entgegen, und an der Grenze des Fürstenthums Schwarzburg-Rudolstadt empfing sie der Fürst selbst in zuvorkommender Weise. Aber wie freundlich auch die Quartiere winken mochten, die Zietenhusaren hielten überall nur kurze Rast; denn es war keine Vergnügungsreise, auf der sie sich befanden; unter Führung des Oberstlieutenant von Podbielski, ihres Regimentskommandeurs, hatten sie eine wichtige Aufgabe zu lösen. Der kleine Trupp Reiter stellte eine größere Kavallerieabtheilung vor, welche eine quer durch Deutschland marschirendc Armee in der linken Flanke zu schützen hatte, und mit dieser strategischen Uebung war zugleich ein Distanceritt verbunden, welcher unseres Wissens zu den größten und gelungensten zählt, die bis jetzt bekannt geworden sind.

Die Distanceritte, die den Gebrauchszweck unserer Kavalleriepferde auf diesem Gebiete prüfen sollen, mithin sich auch auf die Schlagfertigkeit unserer Reiterei beziehen, stehen streng genommen den Rennen, bei denen es sich nur um kurze Leistungen, ohne besonders schweres Gewicht handelt, fast diametral gegenüber. Das Rennpferd wird für seine Arbeit trainirt, gepflegt und gehegt; unser Kavalleriepferd, wenn auch in Athem geritten, muß ex abrupto Leistungen aufweisen, auf welche es in dieser Weise nie vorbereitet werden kann, und wenn es dann seine Aufgabe gewissenhaft erfüllt hat, fehlt es ihm nicht selten im Kriege an Wartung und Pflege, ja an einem schützenden Obdach, aber es zeigt sich, trotz seines geringeren Blutes, dennoch wetterhart und kampffähig.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 687. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_687.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2023)