Seite:Die Gartenlaube (1887) 671.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

„Schmeichelkatze!“

„Tante – er kommt! Er kann ja gar nicht widerstehen!“

„Meinetwegen!“ sagt er da.

Meine Frisur kostete sehr viel Zeit. Tante hatte „hoch!“ befohlen.

„Alle Welt wird im Theater sein – ich will nicht, daß Du auffällst!“

Als ich mit Haarmachen fertig war, brachte sie noch eine hellblaue Schleife mit ein paar Rosen. Das wurde noch auf das Nest genagelt, da war’s thurmhoch. Nachdem sie mich dann eine Weile durch die Lorgnette beguckt hatte, rief sie aber auch.

„Ich finde Dich heute ganz passabel, Du mußt doch zugeben, daß es Dich kleidet?“

Ihr „passabel“ meinte: sehr hübsch. Man hat ein gewisses Gefühl für so etwas.

Als wir Beide angekleidet in den Salon traten, saß Onkel richtig noch im Schlafrock am Fenster und trommelte auf die Scheiben. Er stieß einen Seufzer aus, verschwand aber doch schnell in sein Schlafzimmer, um sich anzuziehen.

Der Wagen hatte schon eine gute Weile gewartet, als wir hinunter kamen. Zur Zugabe war das Handpferd lahm. Natürlich erschienen wir sehr spät im Theater, man hatte bereits angefangen. Wir hörten in der Garderobe die Schlußnoten einer Sopranarie. Tante warf Onkel einen vorwurfsvollen Blick zu; ich war nicht traurig. So hohe Sopranstimmen liebe ich nicht, sie sind wie zu helles Licht. Während des Beifallklatschens traten wir in die Loge, da konnten wir ungestört uns die Stühle zurecht rücken.

Ein Chorgesang folgte, ich sah mich dabei um: Alles feierlich, hochfrisirt, ernst und klassisch. Auf einmal begegnete ich in der dritten Loge von uns einem Paar Augen, die mir bekannt vorkamen. Sie gehören einem jungen brünetten Manne, der sehr aufmerksam zuhörte. Er steht hinter dem Stuhl einer netten alten Dame in mausgrauer Seide.

Wo ich nur diesen Augen schon begegnet bin? denke ich und versetze mich zurück nach Fennern, bringe es aber nicht heraus. Plötzlich wird mir’s klar.

„Onkel!“ rufe ich, „da ist ja …“

„Pst! Lisa – was fällt Die ein!“ flüstert Tante.

„Dein Bräutigam von Kana!“ sage ich so leise als möglich zu Onkel, der mir sein Ohr hinhält.

„Wo?“

„Dort –“

„Wahrhaftig! Das freut mich, da wirst Du ihn kennen lernen.“

„Nein – lieber nicht!“

Seit den Besuchen mit Tante fürchte ich mich vor neuen Bekanntschaften.

Er hat uns auch gesehen und den Operngucker nach unserer Loge gerichtet. Gewiß hat er bemerkt, daß ich ihn so lange angestarrt habe! Mein Herz klopft vor Scham. Das schwarzseidene Kleid ist etwas eng, da kann ich fühlen, wie es anschlägt.

Nach der ersten Abtheilung geht die Logenthür auf und der Bräutigam von Kana tritt ein.

Onkel nennt ihn Heinz und Du. Er scheint kein Liebling von Tante, denn sie sieht etwas verstimmt aus, als er auf Onkels Nöthigen den vierten Platz in unserer Loge einnimmt.

„Seit wann bist Du hier?“ fragt Onkel.

„Seit heute Morgen. Die Gebsattel’s ließen mir keine Ruhe; ich muß die Gläser, die ich ihnen besorgt, in dem kleinen Observatorium, das sie sich gebaut, selbst aufstellen.“

„Die Coeurdame will wohl mit Dir Beobachtungen machen?“

„Und Dein Bild?“

„Ja – denke, daß meine Nichte Dich nach dem Bilde erkannt hat; ich habe zu treu kopirt.“

„Und ich trage nicht einmal den Machlah!“

„Das ist schade,“ rufe ich, „denn er steht Ihnen besser, als der steife Kragen mit dem Schlips.“

Tante stößt mich mit dem Fuße an; wieder etwas Ungeschicktes gesagt!

„Und ich hätte Sie erkennen sollen, gnädiges Fräulein, nach einer Beschreibung, die zwei Kousinen meiner Mutter mir heute früh von Ihnen machten. Sie sind mit Ihnen gereist.“

Klapp – klapp! macht der Taktstock des Kapellmeisters. Herr Heinrich lehnt sich im Stuhl zurück, die Musik hat wieder begonnen.

Also meine beiden alten Damen sind mit ihm verwandt! Was mögen sie von mir erzählt haben, nichts Gutes, ich wette. Ich war recht abstoßend bei ihren Fragen … ach, man sockte gegen Fremde stets liebenswürdig sein – die Sonne bringt Alles an den Tag. Aber wer ist auch ohne Fehler! Wenn er Onkel besucht, wird er das Bild sehen und mich als Braut … Entsetzlich, wenn man so schnell roth wird wie ich … er sieht mich an, es muß ihm auffallen.

Ich will auf die Musik Acht geben … Gudehus singt. Gudehus – was für ein komischer Name! Es ist sonderbar, daß man bei einigen Menschen merkt, wenn sie uns ansehen, bei andern wieder nicht … Da ist die Arie schon wieder zu Ende. Alles klatscht. Ich klatsche mit, um meine Unaufmerksamkeit zu verbergen.

„Das war ein Genuß!“ sagte er, „Sie werden in Riga wohl kanm etwas Aehnliches hören?“

„Unser neuer Koncertsaal ist auch recht hübsch; sehr akustisch. Christine Nilsson hat vorigen Winter bei uns gesungen …“

Ein Chor erlöst mich. War es nicht das Dümmste, was ich antworten konnte? Wie kann ihn unser Koncertsaal interessiren? Und diesmal hatte ich nachgedacht; ich hätte so gern etwas Kluges gesagt – aber wenn mir nun nichts einfällt? Jetzt wird er sich über mich lustig machen, was ist das für eine einfältige Gans! wird er denken.

Vorsichtig drehe ich mich ein wenig nach seiner Seite, er nickt mir zu wie Jemand, der sein Entzücken mittheilen muß, mir aber ist’s auf einmal, wie ich ihn so andächtig sehe, als ob inwendig in mir etwas aufgeschlossen wurde – als ob ich jetzt erst zu hören anfinge. Sie singen einen Chor von Brahms. „Der Mensch verwelkt wie das Gras“. – Alle Verlegenheit, alle Qual wegen meiner ungeschickten Antworten ist plötzlich von mir genommen – o, diese himmlischen Töne! Sie umgeben mich wie eine unsichtbare Liebkosung … ich wollte, ich wäre in der Kirche und dürfte die Hände falten!

Schade, daß Alles so schnell vorüberging!

Beim Abschied sagte er, er würde uns besuchen. Aber ich werde ihn gewiß nicht wieder sehen. Ich merkte gleich, daß Tante ihn nicht gern hat, und da wird Onkel ihn für sich allein im Atelier behalten. Beim Nachhausefahren haben sie viel von ihm gesprochen. Sein Vater war Bildhauer und Onkels liebster Freund. Er starb früh und hinterließ nur eine halbfertige Marmorgruppe, kein Geld. Herr Heinrich (den andern Namen weiß ich noch gar nicht) ist Privatdocent in Leipzig. Onkel sagt: das ist ein genialer Kopf, und da oben – er meint die Astronomie – da weiß er besser Bescheid als ich in Dresden. Ein Mustersohn ist er auch, geizig für sich, um ihr Bequemlichkeiten zu verschaffen – die Mutter immer Nummer Eins. Und plagen muß er sich – und wird nicht einmal dafür bezahlt! Ist das nicht eine Ungerechtigkeit, Einem, der so viel weiß und Tag und Nacht arbeitet, nicht einmal Gehalt zu geben? Onkel sagt: es giebt in Deutschland sehr wenig Stellen für Astronomen. Ei – warum richtet man da keine neuen ein? Es ist doch so wichtig, daß man Alles über die Himmelskörper erfährt.

„Wer kein Geld hat,“ spricht Tante, „sollte sich die Passion für die Sterne vergehen lassen. Wäre er bei seinem Onkel, dem reichen Maschinenbauer, eingetreten, so hätte er jetzt schon sein hübsches Einkommen.“

„Wolltest Du vielleicht auch, ich hätte Petroleum und Heringe verkauft, wie mein Onkel wünschte, statt zu hungern und der Kunst treu zu bleiben?“

Ich drückte ihm die Hand.

„O – lieber, guter Onkel!“ rief ich, „wer könnte nur daran denken! Ich finde es herrlich, wenn Jemand ein Opfer bringt für seinen Beruf. Dein Land ist jetzt auch stolz auf Dich!“

„Da hör’ Einer die kleine Hexe, wie sie schmeicheln kann!“ spottet Tante.

„Deutschland wird einmal noch ganz andern Grund haben, auf Heinrich stolz zu sein als auf mich!“ ruft Onkel.

Ist es nicht, als ob ich seinem Bilde gleich angesehen hätte, was er für ein herrlicher Mensch ist? Mama sagt immer: ein Sohn, der seine Mutter ehrt, der hält seine Frau auch einmal werth … Vielleicht hat er in Leipzig schon eine Braut zum Werthhalten …

Schon ein Uhr, und ich bin immer noch nicht müde. Eben habe ich zum Fenster hinausgesehen. Die Nacht ist klar und es

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 671. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_671.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2023)