Seite:Die Gartenlaube (1887) 663.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

haben, daß es ihm wenig gezieme, den häuslichen Streit vor die Augen der Dienstboten hinauszutragen; denn drüben vor den Ställen sah er Zenz und Martl bei einander stehen, und während Stoffel eben die beiden Flügel des Zaunthores aus einander zog, stand Götz inmitten des Hofes vor der mit einem kugelrunden Schimmel bespannten Kutsche, zur Abfahrt fertig, Zügel und Peitsche in Händen.

Mit verwunderten und besorgten Blicken schaute Götz in die bleichen, erregten Züge und auf die nassen, gerötheten Augen des Burschen, der in erregter Eile auf ihn zugeschritten kam.

„Ja, Karli, han, was is denn?“

„Zeit is, daß ich fortkomm’ – mach’ weiter, Götz – ich mein’, mir brennt der Boden unter die Füß’.“

Da trat unter der Hausthür drüben Kuni an des Pointner’s Seite; ihre Augen, die wie zwei glühende Kohlen aus dem blassen, starren Gesichte funkelten, überflogen mit einem raschen Blitz den Hof und dann flüsterte sie dem Bauer einige Worte ins Ohr.

„Na, na, das thu’ ich mei’m Karli net an – na – g’wiß net,“ wehrte sich der Pointner, um kleinlaut beizufügen: „Das heißt – wann Du’s halt haben willst – aber mußt es ihm schon selber sagen!“

Und mit scharfer Stimme rief Kuni in den Hof hinaus: „Du, Götz, der Bauer will haben, daß an Andrer fahrt! Dich braucht er daheim bei der Arbeit!“

„Aber, Bauer, was is denn auf amal – ah na, das laß ich mir fein net anthun!“ fuhr der Knecht mit unmuthigen Worten auf.

Karli aber nahm ihm schon mit heiserem Lachen Zügel und Peitsche aus den Händen. „Geh, Götz – sei z’frieden – ich weiß ja, warum. Man fürcht’ sich halt vor der Nachred’, wo mir zwei mit einander halten könnten. Sei z’frieden, Götz, und thu’ Dich bei der Herrschaft net verklamperln wegen meiner! Dein Herr is ja der Bauer auf der Point – und b’hüt’ Dich Gott, Götz, b’hüt’ Dich Gott! Aber wenn ich Dich net haben kann – kein’ andern Fuhrmann brauch ich net! Ich stell’ halt in der Station drin ’s Roß zum Wirth ’nein – da kannst es holen lassen – b’hüt’ Dich Gott, Götz, b’hüt’ Dich Gott!“ Die Thränen liefen ihm über die zuckenden Backen, während er sich mit zorniger Hast in den Wagen schwang. Er zog die Zügel an und ließ den Schimmel die Peitsche kosten, daß das erschrockene Thier mit fuchtelnden Hufen in die Höhe stieg. „Fort, Schimmel, fort – und b’hüt’ Dich Gott jetzt, Glück und Fried’!“

Mit schnatternden Rädern sauste die Kutsche zum Thore hinaus.

Regunglos stand Götz inmitten des Hofes. Ein herbes Lächeln irrte ihm über die Lippen, und langsam glitten seine Augen von dem enteilenden Gefährt hinüber zu der Stelle, an welcher Kuni stand.

Der Pointner aber humpelte über die Stufen herunter, wischte sich die Augen und kreischte dann, mit erhobenen Armen winkend, dem Wagen nach: „B’hüt’ Dich Gott – b’hüt’ Dich Gott, Karli – und gelt – schau fein a Bißl auf Dich – und daß mir g’sund wieder heimkommst! B’hüt’ Dich Gott!“

Drüben vor der Stallthür puffte inzwischen die Zenz ihren Ellbogen an Martl’s Arm und zischelte: „Du, da paß’ auf – da hat’s was ’geben – wirst es sehen – ganz ’was B’sonders! Leicht hat dem Unfried da der Frieden schon gar z’lang dauert, und da wird s’ halt nachher a Bißl ’was aufg’rührt haben.“

Martl zuckte die Achseln, spuckte durch die Zähne und schlurfte brummend in den Stall.

Vorn am Zaune drückte Stoffel die beiden Thorflügel zu, und als das Geräusch der Räder verhallte, warf er die Quaste der Zipfelmütze von der einen auf die andere Seite und sang gedankenlos und gähnend vor sich hin:

„’s Radel geht um und um,
Hurax dax do –
’s Glück findt man über Nacht,
Ja – aber wo!“




8.


Seit drei Tagen stand Karli beim Regimente. Der angestrengte Dienst gestattete ihm nicht, sich allzu viel mit sich selbst und mit den Angelegenheiten zu beschäftigen, die er zu Hause verlassen. Das Alles ging ihm freilich keinen Augenblick aus dem Kopfe; aber er wußte keinen Gedanken zu fassen, der ihn weiter brachte, der ihm irgend welchen Trost oder Rath geboten hätte. Es lag wie eine Betäubung über ihm, die sich nur löste, wenn er an Sanni dachte, um dann einem tiefen, hoffnungslosen Kummer Platz zu machen. Sobald aber Karli bei solchem Empfinden zu dem Momente gelangte, in welchem seine Zukunft ihm so schwarz erschien, daß er sie schwärzer nicht mehr malen konnte, so kam auch immer wieder in ihm zum Durchbruch, was er von der leichtsinnigen Natur des Vaters geerbt hatte. Dann war er nicht übel geneigt, Alles, was er mit wachen Augen gesehen und mit eigenen Ohren gehört hatte, für einen bösen Traum zu halten, aus dem er jählings zu Freude und glückseligem Behagen erwachen müßte. Dann meinte er, das Alles müßte von selbst sich lösen und verschwinden, wie ein Herbstnebel beim Erwachen der Sonne, und da konnte er etwas Anderes sich gar nicht vorstellen, als daß er nach seiner Rückkehr von den Manövern im Pointnerhofe Alles so finden würde, wie es seinen Wünschen am besten taugte. War aber seine steigende Hoffnung auf solcher Höhe angelangt, dann kam der Rückschlag, unter dessen Wirkung ihm wieder ganz schwarz vor den Augen wurde, wenn er an die Zukunft dachte.

Das war der immergleiche Kreislauf seines rastlosen Brütens. Das ging in ihm herum wie ein Mühlrad, welches von weiß Gott welcher Kraft in Bewegung gesetzt wurde, nur nicht von des Burschen eigenem Willen. Er war zu verstört, zu betäubt, um zu einem bewußten Willen kommen zu können.

Erst am vierten Tage, der einen dienstfreien Nachmittag brachte, weil mit dem folgenden Morgen der Abmarsch ins Lager erfolgen sollte – als er da um die Mittagsstunde mit todmüden Gliedern auf seiner Pritsche lag, mit brennenden Augen aufstarrend zur Decke, da erst wurde es ein wenig heller in seinem Kopfe, und er begann sich zu sagen, daß ihm aller Zorn und Kummer nicht nagelgroßen Nutzen brächte, daß vielmehr irgend etwas unternommen werden, irgend etwas geschehen müsse. Aber was? Das war nun freilich eine heikle Frage, und Karli vergrübelte eine lange Stunde, bis ihm einfiel, daß er ja an den Vater schreiben und ihm in Güte vorstellen könnte, was eben „verstandsamer“ Weise dem Pointner in dieser Sache vorzuhalten war.

Bei diesem Gedanken sprang er mit gleichen Füßen von der Pritsche und setzte sich zum Schreiben fertig ans Fenster. Das Datum schrieb er dicht an den oberen Rand des Bogens, mit winzigen Buchstaben – ihm war ja das Herz so voll, und Alles, was da drinnen war, mußte jetzt heraus und auf das Papier hin – da hieß es natürlich mit dem Platz sparen. Dann ging es an die Ueberschrift, mit schönen Zügen und einem kühnen Schnörkel um das Ganze: „Mein lieber Vater!“

Weiter kam er nicht, der Schweiß brach ihm aus allen Poren; vor Erregung zitterten ihm die Hände; mit knirschenden Zähnen zerkaute er die Spitze des Federstiels; hundertmal fuhr er in die Tinte, beklexte das Fenstergesimse und seine Finger – aber weiter kam er nicht.

Es war aber auch ein waghalsiges Unterfangen, schreiben zu wollen bei diesem Spektakel, wie er hinter Karli’ s Rücken tobte. Seine Kameraden putzten sich für den Ausgang und genossen schon das Vorgefühl der kommenden Nachmittagsfreuden. Von dem Schabernack, den sie trieben, bekam auch Karli seinen Theil zu kosten, und als er zornig wurde, lachten die Andern vor Vergnügen. Dann wieder wollten sie wissen, was er denn so Wichtiges zu schreiben hätte, ob er um ein „Busserl“ ans „Schatzerl“ oder ans „Mutterl“ um eine „Rauchwurst“ schriebe. Schließlich zogen sie ihm die Feder aus den scheckigen Fingern, rissen ihm das Papier unter den Händen fort, und da half ihm nun kein Sträuben, er mußte die gute Montur aus der Truhe holen, und dann ging es hinaus zum Tempel, geraden Wegs zum „Schimmelwirth-Garten“, wo die Blechmusik unter grünen Bäumen schmetterte und das Hofbräu schäumte in steinernen Krügen.

Dort saß nun Karli wie ein „angemalter Türk’“ inmitten der lustigen Schar. Als aber einmal das Gespräch aufs „Dahoam“ kam und jeder mit leuchtenden Augen von seinem „Ort“ erzählte, fing er doch an, die Ohren zu spitzen und sich mit Eifer in das Gespräch zu mischen. Und da sah er es nicht als einen Zufall, sondern als eine offenkundige Fügung Gottes an, daß einer der Kameraden in Rosenheim zu Hause war, ein anderer im Oberisarthal, in Kuni’s Heimath.


(Fortsetzung folgt.)


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 663. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_663.jpg&oldid=- (Version vom 14.1.2024)